Wie messe ich Glück?

Beim „Happy Planet Index“ liegt Österreich 2012 auf Platz 48, einen Rang hinter Syrien. Hans Bürger hat ein Faible für Tabellen und Diagramme. In seinem Buch „Der vergessene Mensch in der Wirtschaft“ befindet er sich im Vermessungsfieber. Aber nicht alle Daten sind aussagekräftig.

Wirtschaft ist das, wovon niemand etwas versteht, aber bei dem alle mitspielen. Das Mitmachen ist jedoch kein freiwilliges, da hat sich niemand etwas auszusuchen. Es regiert das „Es“, wie Hans Bürger vermerkt. „Sind wir also verrückt geworden?“, fragt er. „Wir haben Angst vor Märkten.“ Zweifellos, so ist es, und es hat so kommen müssen. Denn geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut, ist nicht nur ein griffiges Motto, es ist auch konsensuales Vorurteil.

Bürgers Zurückweisung des neoliberalen Homo oeconomicus hat durchaus seine Berechtigung. Wenn er nun aber meint, es gäbe ihn gar nicht, dann stimmt das – und auch wieder nicht. Es gibt diese Figur zwar nirgendwo als Voraussetzung, sehr wohl aber existiert sie als Resultat. Denn gerade in der Ökonomie müssen sich die Menschen so verhalten, wie man ihnen nachsagt, dass sie sind. Jetzt, da sie sich tatsächlich so verhalten, behauptet man inständig, dass sie auch nur so sein können. Bürger hält ja selbst fest: „Zuerst die Kunstfigur und erst dann der fleischgewordene Egoist und Rechner.“ Als Marktteilnehmer werden wir von Kindesbeinen an so formiert. Daher ist auch die Gier gesellschaftlichen Ursprungs und nicht Hervorbringung irgendeiner menschlichen Natur.

Alternativen, so Bürger, wären längst in Sicht, etwa die Neuroökonomie, der „ökonomisch motivierte Blick ins Gehirn“. Neuromarketing ist angesagt, eine Spezialabteilung derselben wäre Neurofinance. Diese „untersucht das Handelsverhalten auf Finanzmärkten“. Begriffe wie „funktionelle Magnetresonanztomografie“ werden als erfrischend und nicht als bedrohend beschrieben. Hans Bürger hat überhaupt ein Faible für Laborversuche. Seitenweise listet er sie auf und beschwert sich, dass sie ignoriert statt realisiert werden. „Ein unerschöpfliches Feld für die Anwendung von Hirnforschung ist die Produktwerbung“, schreibt der Autor. Neuroökonomie ist nunmehr ein Konkurrent der herkömmlichen Meinungsforschung, da sie noch direkter in die Gemüter der Konsumenten einzugreifen verspricht. Bei alledem geht es letztlich darum, Kaufentscheidungen im Sinne von Absatz und Wachstum zu optimieren. Damit hat unser Autor auch kein Problem. Sein Vorwurf an die Neoliberalen ist vielmehr der, dass sie mit ihren Modellen die Menschen gar nicht richtig erfassen. Erfasst werden müssen sie unbedingt, auch weiterhin.

Menschen werden in der Ökonomie auch nicht vergessen. Sie sind zwar nicht selbstbestimmte Akteure, aber doch reaktive Objekte derselben. Sie müssen kaufen, das ist der Zweck der Sache, egal was, egal wie, egal womit. Auf jeden Fall viel. Diesen Zweck des universellen Geschäfts stellt Bürger nie zur Diskussion. Es fällt ihm gar nicht auf, dass all seine Spiele monetärer Provenienz sind. Alles erscheint durch den Geldfilter in Geldform. Aussagen wie „Warum sind wir so? Weil wir eben so sind“ wirken eher trotzig als erhellend. Niemand ist eben so.

Bürger versteht sich als ein Vertreter des Glücks, das er aber sofort betriebswirtschaftlich programmieren will. „Wie messe ich Glück?“, fragt er. Dass es vermessen ist, dieses zu messen, will ihm gar nicht in den Sinn kommen. Glücksökonomen schreien bereits nach einem Hedonometer. Ob man glücklich ist, wird einem per Statistik nachgewiesen. Unser Autor ist jedenfalls im Vermessungsfieber. Tabellen und Diagramme sollen anschaulich machen, was gemeint ist. Sie werden auch selten hinterfragt. Warum etwa stürzt Österreich zwischen 2009 und 2010 beim „United Nations Human Development Index“, kurz HDI, vom 14. auf den 25. Platz ab? Was ist geschehen? Und was hat sich dann 2011 ereignet, dass das Land plötzlich wieder auf Rang 19 rangiert? Beim „Happy Planet Index“, kurz HPI, liegt Österreich 2012 auf Platz 48, einen Rang hinter Syrien. Was machte die Syrer heuer glücklicher als die Österreicher? Der Bürgerkrieg wird ja nicht gemeint sein. Oder? Wer weiß?!?Möglicherweise gibt es wissenschaftlich geeichte Gehirnstrommesser, die nachweisen könnten, dass die Menschen sich freier und besser fühlen, wenn sie aufeinander schießen. Hormonell soll da einiges abgehen. Im Ernst: Was sagen diese Daten?

„Weniger Arbeit kann nicht gleichbleibenden Wohlstand bedeuten.“ Das ist Unsinn. Die Arbeitsproduktivität widerlegt das Tag für Tag, und dass das „Arbeitsvolumen geringer“ wird, konzediert auch Bürger. Warum wir vor diesem Hintergrund überhaupt immer mehr arbeiten sollen, ist völlig schleierhaft. Es hat nichts mit objektiven Anforderungen, wohl aber mit der Sorte Ökonomie zu tun, die sich Kapitalismus nennt. Das Problem ist allerdings, dass unser Wohl nicht an Dispositionen und Möglichkeiten, an Fähigkeiten und Fertigkeiten gemessen wird, sondern an Geld, primär Profiten und Löhnen. Das gute Leben ist möglich, aber es ist nicht finanzierbar. Das ist schon ein Problem. Aber wenn dem so ist, sollte man sich entscheiden: Geld oder Leben.

Der Band ist einfach geschrieben, zweifellos kann er ohne Vorkenntnisse gelesen werden. Doch bringt die Lektüre wirklich weiter? Schärft sie irgendwo ein kritisches Bewusstsein? Hans Bürger fundiert seine Überlegungen nicht, sondern streift seine Themen. Was in einer Zehnsekundensequenz pointiert wirken kann, wirkt auf 250 Seiten monoton. Trotz der vielen Ingredienzien ist das eine recht dünne Suppe geworden. Dieses Denken konzentriert sich nicht, es zerstreut. „Und wäre es nicht auch gut, wenn die Zahl derer, die unbelastet von ökonomischem Druck nachdenken könnten, wieder steigt?“ Ja! ■



Hans Bürger
Der vergessene Mensch in der Wirtschaft

Ökonomie zwischen Gier und Fairness. 280S., geb., €21,90 (Braumüller Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2012)

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