Neue Kinderbücher: Wo ist der Wolf?

Neue Kinderbücher: Wo ist der Wolf?
Neue Kinderbücher: Wo ist der Wolf? Residenz Verlag
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Es ist nicht so einfach: Der Vater will nicht schlafen, die Mutter könnte eine Meerjungfrau sein, und die Großmutter ist ein Wolf. Highlights aus der Welt der Kinderliteratur.

Der Schweizer Aracari Verlag hat besonders bezaubernd illustrierte Bilderbücher, etwa dieses: Rotkäppchen ohne Text, mit Bildern versehen von Adolfo Serra. Das Böse ist immer und überall, selbst durch sichere Häuser schlängelt sich der Schwanz des Wolfes, und in seiner Gefräßigkeit trachtet der Wolf nicht nur dem Rotkäppchen nach dem Leben, sondern auch dem Schmetterling, der es begleitet. Ein weiteres Bilderbuch handelt von einem Stimmungsbarometer – von nervös bis glücklich: Mies van Houts minimalistische Illustrationen, Fische, erinnern an die alte Technik der Auskratzbilder mit Ölkreiden. Ebenfalls kaum Text hat „Sechs Gründe für schwarze Katzen“ von Francesca Cosanti: Ein kleines Mädchen begeistert sich für eine Schar Katzen, die sich bei ihm einquartieren wollen.

  • Adolfo Serra: Rotkäppchen. Ab vier Jahren (40 S., geb., 14,90€)
  • Mies van Hout (Text und Bild): Heute bin ich. Ab drei Jahren (48S., geb., 14,90€)
  • Francesca Cosanti (Text und Bild): Sechs Gründe für schwarze Katzen. Ab vier Jahren (32S., geb., 14,30€. Alle: Aracari Verlag, Zürich)

Vater will nicht schlafen gehen

„Noch eine Geschichte, noch eine Geschichte, fleht Papa.“ Das ist eine nette Mode, Alltagsgeschichten von Kindern so umzudrehen, als würden sie Erwachsenen passieren – die ja genau genommen auch nie ins Bett finden. Dieser Vater ist groß und stark und doch ist es jeden Abend dasselbe Theater mit ihm. Er will nicht schlafen gehen, ruft „Ich will nicht ins Bett!“, schlägt Purzelbäume quer durch die Wohnung, will beim „Sohnemann“ im Bett schlummern und fürchtet sich vor der Dunkelheit. Die in Paris lebende Brasilianerin Kris Di Giacomo hat dieses entzückende Buch vom widerspenstigen Papa mit witzigen Bildern versehen. Coralie Saudo, ebenfalls Französin, ist Autorin und Illustratorin.

  • Coralie Saudo (Text) Kris Di Giacomo (Bild): Mein Papa, der ist groß und stark, aber... Ab drei Jahren. Aus dem Französischen von Jacqueline Kersten (32 S., geb., 17,40€, Carlsen Verlag, Hamburg)

Eine Meerjungfrau zur Mutter

„Mirja merkte, dass der Wind auffrischte. BF und Captain hatten sich zu ihren Füßen eingekuschelt.“ Ein Mädchen treibt in einem winzigen Boot auf dem Meer – mit seinem „besten Freund“, dem Hund, und einer zahmen Möwe. Mirjas Mutter ist verschwunden, Signe und der Surfbrettverleiher Dogie ziehen die Kleine auf. Mirja glaubt fest daran, dass ihre Mutter eine Meerjungfrau ist. Als an einem Tag alles schiefgeht, was nur schiefgehen kann und Mirja auch noch die lebenden Krabben freilässt, die in den Topf wandern sollten – beschließt das Kind, seine Mutter zu suchen. Ein Sturm zieht auf – doch dann passiert ein Wunder. Kathi Appelt ist Autorin und Lehrerin, ihre Geschichte, reich an Naturschilderungen über die Küste von Texas, ist ein modernes, romantisches Märchen.

  • Kathi Appelt: Das Meer und das Mädchen. Ab neun Jahren. Aus dem Englischen von Alexandra Ernst (300S., geb., 14,99€, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg)

Aus der Waffe des Zeus

„,Worüber reden Nils und Papa?‘, fragte ich. ,Nichts Besonderes, glaube ich. Nur über die Füchse von Andorra.‘ ,Die Füchse von Andorra!‘, Jonathan runzelte die Stirn.“ Papa und der reisefreudige Junggeselle Nils reden nicht über die Füchse von Andorra, sondern über die Büchse der Pandora. Aus dieser Waffe des Zeus kam das Unheil über die Welt. Unheil droht auch einer Vierlingsfamilie, nachdem die Mutter erkrankt ist. Fantasievoll und mit großem, auch sprachlichem Einfühlungsvermögen erzählt die finnische Autorin Marjaleena Lembcke, die auch Bildhauerin ist und in Deutschland lebt, von den zehnjährigen Geschwistern und ihrem Vater, einem Taxichauffeur mit Faible für Latein und abenteuerliche Geschichten. Das Buch erinnert ein wenig an Astrid Lindgren, aber auch an Hans Magnus Enzensbergers wunderbaren Kinderbuchklassiker „Wo warst du, Robert?“, der hier noch einmal zur Lektüre wärmstens empfohlen sei.

  • Marjaleena Lembcke: Die Füchse von Andorra. Ab neun Jahren (128 S., geb., 13,30€, Deutscher Taschenbuch Verlag, München)

Ausgebildet zum Meisterdieb

„Für einen Dieb ist der Tod ein Berufsrisiko. Peter hatte mehr als einmal den Tod vor Augen gehabt. Doch der Gedanke, jetzt zu ertrinken, erfüllte ihn mit Traurigkeit.“ Eine schaurig-schöne Fantasygeschichte für Kids mit starken Nerven: Peter Nimble wurde als Baby ausgesetzt. Er ist blind. Mit unvorstellbarer Energie und Cleverness schlägt er sich durch. Der widerliche Mr. Seamus bildet ihn zum Meisterdieb aus. Eines Tages stiehlt Peter eine Kiste, in der er Schätze vermutet, es sind aber bloß Eier drin – magische Eier, die spezielle Sehkraft verleihen, neue Welten erschließen. Jonathan Auxier hat eine witzige Homepage. Er lebt in Los Angeles. Es wäre nicht überraschend, würde sein spannendes Buch verfilmt.

  • Jonathan Auxier: Peter Nimble und seine magischen Augen. Ab zehn Jahren. Aus dem Englischen von Claudia Feldmann (416 S., geb., 17€, Aufbau Verlag, Berlin)

Butterball verteilt Prügel

„Ich hatte Maurice bis zu jenem Tag nie zu mir nach Hause eingeladen, weil es bei uns so viel schäbiger war als in seiner schicken Vorstadthütte.“ Burton, seines erheblichen Leibesumfangs wegen „Butterball“ genannt – was er hasst – ist 13. Die Mutter hat sich vom Vater getrennt und ist mit dem Sohn aus der City an den Rand von New York gezogen. Eines Tages verprügelt „Butterball“ ohne ersichtlichen Grund einen Mitschüler. Er muss zur Psychotherapie – warum hat er Maurice geschlagen? Das will er nicht verraten. US-Gangsta-Rapper Curtis Jackson alias „50 Cent“, dessen Album „Get Rich or Die Tryin'“ weltweit 15 Millionen Mal verkauft wurde, hat in dieses harte, aber spannende Jugendbuch wohl auch seine
eigene schwierige Kindheit eingearbeitet.

  • 50Cent mit Laura Moser: Playground. Ab 13 Jahren. Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt (256 S., 14,40€, Rowohlt Polaris, Reinbek).

Neue Bilderbücher, kurz und bündig

Heinz Janisch, der große Fantast, beschäftigt sich mit dem Wind: Nella will zeichnen, doch sie kommt nicht zur Ruhe. Kurzerhand steckt sie den Wind in ihre Handtasche. Aber was wird jetzt aus Drachen, Segelbooten und Windrädern? Florian hat zwei Drachen, einen guten und einen bösen. Wenn sie ihn daheim besuchen, machen sie sich ganz klein. Auf dem Spielplatz kann der böse Drache aber auch sehr wütend werden, wenn Lea Florian zwickt und beißt: Christine Nöstlinger, immer originell. Der Wolf Wolfgang ist nicht wie seine Artgenossen, er will allen helfen, doch er ist furchtbar ungeschickt. Mit seiner neuen Freundin Kitty geht Wolfgang in den Wald, doch die beiden verirren sich.Der Schriftsteller Arno Geiger („Es geht uns gut“, „Alles über Sally“) hat die biblische Geschichte von Jona und dem Wal neu erzählt. Besonders deutlich wird dabei, dass Gott anders als der zornige „gerechte“ Prophet, der will, dass die gottlosen Bewohner von Ninive bestraft werden, Milde walten lässt.

  • Heinz Janisch, Erwin Moravitz „Nella und der Wind“, „edition lex liszt 12“
  • Christine Nöstlinger, Jens Rassmus „Guter Drache & böser Drache“, Nilpferd im Residenzverlag;
  • Daniel LoCascio, Dorothea Löcker „Kann ich helfen?“, Picus;
  • Arno Geiger & Kitty Kahane „Jona tobt“, edition chrismon.

„Der Mann röchelte und stöhnte. Und hob ganz leicht den Kopf. Nur ein kleines bisschen und auch nur für einen kurzen Moment, aber es genügte, dass wir ihm ins Gesicht blicken konnten . . .“ Erkennen Sie die Melodie. Hier wird mal wieder Frankenstein zum Leben erweckt. Wie bringt man Jungs zum Lesen? Vor allem Erstleser. Vielleicht indem man ihnen ihre Film-, Comic-Spielzeug-Helden - was heute dank der cleveren Kinder-Industrie schon oft fast ein-und dasselbe ist – in Buchform vorstellt? Batman kämpft gegen einen Nebel des Grauens, der dazu führt, dass man Vorstellungen wie real wahrnimmt, von Würgeschlangen und Monsterspinnen aufwärts. Lego liefert zu seiner multimedial vermarkteten Ninjago-Serie auch Bücher für Volksschüler, natürlich auch Volksschülerinnen. Sehr kommerziell das Ganze, klar, aber was tut man nicht alles, um Kinder zum Lesen zu bringen, ihnen das Lesen beizubringen?

  • Andreas Schlüter/Bernhard Speh „Frankenstein und ich“, Carlsen, 128 Seiten, 8.20 Euro, ab 8J;
  • „Ninjago“, „Versteck der Würgeboas“, „Geheimnisse der Hypnokobras“, die Bände sind mit Info, Aufmerksamkeitstests versehen, Carlsen, 10.30 Euro;
  • Martin Powell „Batman - Der Nebel des Grauens“, übersetzt von Christian Dreller, Bilder von Erik Doescher, Mike DeCarlo, Lee Loughridge nach Bob Kane, 2./3. Klasse, Fischer, 8.30 Euro

„Richard knallte das Fenster zu. Er zeigte Benji und seiner Mutter seine blutige Hand: ,Da hat irgendein Vollidiot einen Fleischpatzen aufs Fensterbrett geworfen!'“ Halloween ist zwar vorbei, kommt aber verlässlich 2013 wieder. Und überhaupt, für gute Gruselgeschichten gibt es keine Jahreszeit. Der dicke Moritz, der kluge Micha, der draufgängerische Benji und die abenteuerlustige Issi sind Freunde und beobachten seltsame Vorgänge im alten Pavillon ihres Städtchens. Hier soll vor vielen Jahren ein Mord geschehen sein. Der österreichische Autor Walter Thorwartl hat diesen Krimi und auch andere interessante Kinderbücher geschrieben, darunter „Engelraub“ über einen Kunstdiebstahl und das Sommerferien-Abenteuer „Die Klippen der Diebe“ (Obelisk).

  • Walter Thorwartl „Schatten im Park“, mit Vignetten von Sabine Wiemers, Nilpferd im Residenz-Verlag, 144 S, 13.90, ab 9J

„,Körperlich fehlt dem Jungen nichts. Aber er ist zutiefst unglücklich. Vielleicht wissen Sie ja, warum', sagte Dr. Rutherford“. Henrys Vater jettet durch die Welt, die gelangweilte Luxus-Mama kauft dem Knaben ständig neues, teures Elektronik-Spielzeug. Doch Henry wünscht sich nur eins: Einen Hund. Schließlich wird einer ausgeborgt. Als „Fleck“ mit den ungleichen Augen ins Tier-Geschäft zurück gebracht wird, rastet der sanftmütige, melancholische Henry aus. Seine Eltern wollen ihn daraufhin ins Internat stecken. Henry reißt aus. Eva Ibbotson (1925-2010) schrieb dieses moderne und kenntnisreiche Buch über die Sehnsucht von Kindern, die mitten im Luxus das echte, warme Leben vermissen. Ibbotson stammt aus Wien, die Eltern trennten sich, der Vater emigrierte nach Schottland und holte die Tochter nach. Sie wurde Lehrerin, bekam vier Kinder, schrieb viele Kinderbücher, darunter auch „Das Geheimnis von Bahnsteig 13“, Joan K. Rowling verwendete diesen in ihren Potter-Romanen.

  • Eva Ibbotson „Fünf Hunde im Gepäck“, übersetzt von Sabine Ludwig, mit Vignetten von Sharon Rentta, 256 S, dtv junior, ab 9J

„In der Nähe von St. Veit steht die Ruine Taggenbrunn. Dort lebten vor vielen Jahren Ritter Heinrich und seine junge Frau. Und dann kam diese Mode in Europa auf, dass alle ins Morgenland ziehen wollten - die Kreuzzüge eben ...“ Heinrich und seine Frau sorgen sich, werden sie einander treu bleiben? Michael Köhlmeier, der sich nicht nur Geschichten, sondern auch die Gewohnheiten der Erzähler, spontane Einfügungen, Auslassungen einzufügen anverwandelt hat, erzählt 16 Märchen und Sagen aus Österreich, vom Doktor Faust, der in einem Wiener Wirtshaus ein rotes Mandl an die Wand malt, vom schrecklichen Ritter Wolf, der den Sohn des Glockengießers, den er in seinem Wald erwischt, hängen lässt, von Zaubertopf und Zauberkugel: Gruselig, grausam und natürlich sehr packend.

  • Michael Köhlmeier „Das Sonntagskind“, 16 Märchen und Sagen aus Österreich, Illustrationen: Monika Maslowska, Jugendausgabe, 147 Seiten, Obelisk, 14.95 Euro, ab 10J

„Es war alles so aussichtslos, dass ich heulen musste, als Iwan mich aus dem Zelt ins Licht des späten Vormittags zerrte und einen flachen Hügel hinunter, der zur Straße führte. Dort stand die schwarze Kutsche des Dunklen bereit, umringt von berittenen Grischa der Ätheralki und flankiert von bewaffneter Kavallerie.“ Fluch und Segen des Erfolgs oder bloß das ewige Gesetz der Serie? Die Kids-Entertainment-Industrie muss ständig neue Geschichten für die hungrige Leserschaft auftreiben. Hier ist quasi eine Fortsetzung bzw. eine Variation der „Tribute von Panem“ bzw. „Shades of Gray“ auf keusche Art. Alina ist Kartografin in der Armee des Zaren, als bei einem Angriff von Monstern ihre magischen Fähigkeiten hervorbrechen. Sie soll eine Grischa werden, eine Magierin, „der Dunkle“, der mächtigste Magier, ein schöner, junger Mann, kümmert sich um ihre Ausbildung. Doch etwas ist nicht in Ordnung mit diesem Burschen. Die israelische Autorin Leigh Bardugo, die in Yale studierte und auch Maskenbildnerin ist, hat dieses Mädchen-Fantasy-Buch mit historischen Bezügen zum alten Russland verfasst.

  • Leigh Bardugo „Grischa – Goldene Flammen“, übersetzt von Henning Ahrens, zwei weitere Bände sind in Vorbereitung, 352 Seiten, Carlsen, 18.40 Euro, ab 14J

„,Echt fies! Ich habe nicht einen einzigen Kurs mit Max zusammen!', Anthony knallte die Tür seines Schließfachs zu und wedelte Paula mit seinem Stundenplan vor der Nase herum.“ Anthony ist schwul, seine beste Freundin ist Paula - beide sind begeistert vom attraktiven Max, der anscheinend nichts mitbekommt von der Leidenschaft, die er erweckt. Ist er hetero-oder homosexuell? Dieses Buch befasst sich auf äußerst jugendgerechte, also würdige und doch flotte, amüsante Weise mit einem im wahrsten Sinne des Wortes heißen Thema, das viel zu selten behandelt wird. Stattdessen produziert der Markt Tonnen von Trivialliteratur, Fantasy, in der traditionelle Geschlechterrollen zelebriert werden. „So sexy“ irritiert allerdings auch in mancher Hinsicht: Die Geschichte spielt im Milieu der Reichen bis Superreichen von New York und liest sich teilweise wie ein Franchise-Produkt mit den vielen „angesagten“ Marken für Jugendliche, die erwähnt werden. Man denkt an den Marken-Kult von Bond-Filmen. Ein Zufall? John Hall ist Lektor, lebt in New York City und begeistert sich für Model-Casting-Shows und „Desperate Housewives“.

  • John Hall „So sexy“, übersetzt von Christina Sarembe, Ravensburger-Verlag, 316 Seiten, ab 17J

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2012)

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