Literatur: Assange und Pariser über digitale Spione

Literatur Assange Pariser ueber
Literatur Assange Pariser ueber(c) REUTERS (� Suzanne Plunkett / Reuters)
  • Drucken

Es lohnt sich, Leuten wie Julian Assange oder dem digitalen Aktivisten Eli Pariser zuzuhören. Sind sie es doch, die gefährliche Entwicklungen im Netz erkennen und vor ihnen warnen.

Hört, hört. Der US-Geheimdienst NSA greift also flächendeckend E-Mails ab. Das einzig Überraschende an dieser Meldung, die die Schlagzeilen der vergangenen Tage beherrscht hat, ist die Überraschung, die einem darüber allenthalben begegnet. Schnell brachten ranghohe US-Vertreter das T-Wort ins Spiel, hat man doch seit 2001 entdeckt, dass sich Terrorismus als Passepartout zur Rechtfertigung für jeden noch so dreisten staatlichen Eingriff eignet.

Doch die Sache ist viel simpler. Die NSA macht das aus einem Grund: weil sie es kann. Weil die Speicherung und Verarbeitung immenser Datenmengen heute kein Problem ist. Und weil der Datenverkehr so zentralisiert ist, dass man verhältnismäßig wenige Zapfstellen braucht. Im Übrigen gilt, worauf Frank Rieger vom „Chaos Computer Club“ in der „FAZ“ hingewiesen hat: Das Abschöpfen von Daten ist schlicht der Modus Operandi der NSA. Dafür wurde sie eingerichtet, gewandelt haben sich nur die Methoden. Das Aufdampfen von Briefen kam eben etwas aus der Mode.

Vor einigen Wochen erschien nun ein Buch, das post Datenskandal fast prophetisch wirkt: Julian Assange, selbststilisierter Internetrebell und Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, hat 2012 mit drei Kollegen, die ähnlich denken, ein wenig geplaudert. Das Ergebnis wurde, angeblich redigiert, aber offenbar kaum lektoriert, zwischen zwei Buchdeckel gepresst und mit dem Titel „Cypherpunks“ versehen. Lange vor Bekanntwerden der NSA-Aktivitäten spricht das Quartett über „strategische Überwachung“ (die alles abschöpft) und von der Kollaboration der Internetgiganten. „Facebook und Google sind in gewisser Weise die verlängerten Arme dieser Geheimdienste“, sagt Jérémie Zimmerman. Nun hat die Realität den Beleg nachgeliefert.

Jene Passagen, in denen es um das systematische Ausspähen von Daten geht, zeigen: Es lohnt sich, Leuten wie Assange zuzuhören, die eine Sensibilität für die oft unsichtbaren Fäden haben, mit denen das Internet gewoben ist – und für die Kräfte, die daran ziehen. Leuten, die Entwicklungen so früh aufspüren, dass es noch nicht zu spät ist, vor ihren Gefahren zu warnen. Und darum geht es Assange und seinen Mitstreitern. „Dieses Buch ist kein Manifest. Dafür bleibt keine Zeit. Es ist eine Warnung“, hebt Mister WikiLeaks in seiner Vorrede pathostrunken an und versteigt sich zu der Behauptung, das Internet sei „eine Bedrohung der menschlichen Zivilisation“. Kann man ein Buch nach einem solchen Satz noch ernst nehmen? Soll man es gar zu Ende lesen? Ja, siehe oben, doch das digitale Quartett macht es einem nicht leicht.

Hat man sich durch die zwischen hochtrabend und peinlich pendelnden Formulierungen der Einleitung gekämpft („Losgelöst von der alten Welt roher Atome, sehnte sich das ätherische Netz nach Unabhängigkeit“), lauert die Selbstgerechtigkeit, mit der die vier den Hacker – und damit sich selbst – als Art digitalen Prometheus begreifen. Geradezu menschenverachtend die Begründung, mit der selbst bei Kinderpornografie eine Überwachung des Internets abgelehnt wird: Damit würde man das Problem an sich – also den Missbrauch – nur aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung verdrängen.

Dennoch bleiben unter dem Strich zahlreiche erhellende Pfade, die es weiterzuverfolgen lohnt. Der emanzipatorische Ansatz – jeder sollte in der Lage sein, die dem Internet zugrunde liegenden (Macht-)Strukturen auch technisch zu begreifen – kommt Assange zuletzt selbst unrealistisch vor. Er sieht als letzte freie Menschen „eine Elite von Hightechrebellen“, die der Kryptografie (daher „Cypherpunks“) mächtig ist. Die Menschenwachrütteln, sie animieren, den Ausgang aus ihrer zum Teil selbst verschuldeten digitalen Unmündigkeit zu wagen, das versucht auch Eli Pariser – allerdings auf sympathischere und viel sachlichere Weise. Seine Grundthese ist so einfach wie beunruhigend: Durch eine stetig zunehmende Personalisierung der Web-Angebote, also ein auf den Einzelnen maßgeschneidertes Internet, büßen wir unmerklich unseren Sinn für das Neue, Unerwartete und schließlich unsere Lern- und Innovationsfähigkeit ein. Das Internet gibt es in dieser schönen neuen Monadenwelt längst nicht mehr, jeder hat sein eigenes Netz, dämmert glücklich und von produktiven Dissonanzen unbehelligt in einer Blase dahin.

Detailliert schildert Pariser, wie Internetdienste mit jedem Klick, den wir leisten, Informationen über uns generieren, kombinieren und allenfalls weiterverkaufen. Aus den einzelnen Datenschnipseln werden digitale Identitäten gebastelt, und auf deren Basis errechnen Algorithmen unsere Wünsche. Das noch harmloseste und bekannteste Beispiel sind die Vorschläge, mit denen uns Amazon beglückt. Ergebnis: Wir werden mit immer mehr vom Gleichen oder von Ähnlichem zugeschüttet.

Das Kalkül dahinter: Je personalisierter Informationen sind, desto mehr Werbung kann verkauft werden, desto wahrscheinlicher ist, dass ich etwas kaufe, erläutert Pariser. Der Autor spinnt den Gedanken aber weiter, und da wird es dann wirklich beunruhigend: Wieso sollte dieses System eigentlich bei Waren stehen bleiben und sich nicht auch auf (politische) Ideen ausweiten? Jedem Wähler seinen eigenen Köder. Freilich, jedes Medium selektiert, muss selektieren, man wusste bisher aber in aller Regel, mit wem man es zu tun hat, beim „Spiegel“ wie bei „Fox News“. Die Algorithmen haben das grundlegend geändert. Pariser: „Das Internet weiß vielleicht, wer wir sind, aber wir wissen nicht, für wen es uns hält und wie es diese Information nutzt.“

Eli Pariser nähert sich seinem Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln, ruft Dostojewski, Niels Bohr und Karl Popper in den Zeugenstand und liefert dabei gelungene Beispiele von erhellenden geistigen Umwegen, die eine hermetische „Filter Bubble“ kaum erlauben würde. Eine Blase, die unsere Neugier abtötet. „Wenn der eigene Teller schon voller schmackhafter Informationen ist, muss man nicht mehr über den Rand hinausschauen“, warnt Pariser vor der endlosen „Ich-Schleife“ und „sich selbst erfüllenden Identitäten“. Und er zeigt sich überzeugt: „Große Entdeckungen sind oft jene, mit denen wir am wenigsten gerechnet haben.“

„Web Site Morphing“, „Advertar“, „Ambient Intelligence“, „erweiterte Realität“ (was für ein Wort!), mit immer neuen Begriffen zeichnet Pariser die Schreckensvision einer Zukunft, die man eigentlich gar nicht mehr zu leben braucht, weil ohnehin alles schon vorberechnet ist. ■

Überwachung: Die Bücher

Julian Assange: Cypherpunks. Unsere Freiheit und die Zukunft des Internets. Aus dem Englischen von Andreas Simon dos Santos. 200S., brosch., €17,50 (Campus Verlag, Frankfurt/Main).

Eli Pariser: Filter Bubble. Wie wir im Internet
entmündigt werden. Aus dem Englischen von Ursula Held. 288S., brosch., €20,50 (Hanser Verlag,
München).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.