„Tod, Wonne, Schmerz, Liebe und Leben“

„Dame Luzifer“: Vor 250 Jahren wurde die prägende Frau der deutschen Romantik, Caroline Schlegel-Schelling, geboren.

Sie hinterließ kein einziges belletristisches Werk. Dennoch prägte sie die deutsche Frühromantik ebenso wie die berühmten Männer, die sie um sich versammelte, hießen sie nun Brentano, Goethe, Novalis, Schelling, Schiller, Schlegel oder Tieck. Am Mittagstisch ihres Hauses am Jenaer Löbdergraben speiste eine Zeitlang die Crème de la Crème der deutschen Intellektuellen, gelegentlich 20Personen. Und sie bildete die souveräne Mitte, sorgte für das optische, kulinarische und geistige Wohlbefinden ihrer illustren Gäste. Dabei war Caroline Schlegel, wie sie damals hieß, bereits als Revolutionsliebchen verschrien.

Nach Jena war sie nämlich im Sommer 1796 gekommen, nachdem sie – der Vernunft gehorchend, nicht der eigenen Liebe – August Wilhelm Schlegel ihr Jawort gegeben hatte. Denn nach den drei Monaten, die sie schwanger mit fünf anderen Frauen und ihrer achtjährigen Tochter Auguste auf der Festung Königstein im Taunus einsaß, war ihr Ruf in Deutschland ruiniert. „Ich bin isoliert in der Welt“, notierte sie. Der Grund: Kollaboration mit dem Feind, hatte sie doch mit dem Mainzer Jakobiner Georg Forster zusammengelebt, der die französischen Soldaten beim Einmarsch in die Stadt freudig begrüßt hatte. Dass sie das Kind eines Revolutionsgardisten im Leib trug, war bei ihrer Verhaftung noch gar nicht bekannt. Als Ausweg aus dieser aussichtslosen Lage erschien ihr einzig die Ehe mit dem langjährigen Verehrer August Wilhelm, der ihr half, dass sie noch vor der Entbindung freikam.

Revolutionärin gegen die Monarchie oder Rebellin gegen das Patriarchat war die am 2.September 1763 – vor 250 Jahren – als Caroline Michaelis Geborene aber keine. Sie lebte zwar ein für damalige Verhältnisse außergewöhnlich libertäres Leben, aber weniger, um gesellschaftspolitische Veränderungen herbeizuführen, als um sie selbst bleiben zu können. „Sie vertrat zum Teil konventionelle Ansichten über die Rolle der Frau, die ihr Leben eigentlich Lügen straften“, konstatiert ihre jüngste Biografin, Sabine Appel. In einem Brief an Luise Gotter, ihre einzige echte Freundin, warnte Caroline vor dem Beispiel der späteren ersten deutschen Doktorin der Philosophie, Dorothea Schlözer: „Dortchen hat unendlich viel Talent und Geist, aber zu ihrem Unglück, denn mit diesen Anlagen kann sie weder wahres Glück noch Achtung erwarten. Man schätzt ein Frauenzimmer nur nach dem, was sie als Frauenzimmer ist.“ Das war sehr realistisch, aber wenig feministisch gedacht.

Obwohl Caroline früh wusste, dass sie für die Ehe nicht geschaffen war, heiratete sie dreimal, zuletzt sogar aus Liebe. Die erste Ehe stiftete ihr geliebter Bruder Fritz. Gehorsam tauschte sie mit dem braven, aber biederen Arzt Franz Wilhelm Böhmer die Trauringe, um im Übrigen frei leben zu können. Böhmer nahm sie ins entlegene Bergbaustädtchen Clausthal im Harz mit, wo sie intellektuell darbte. Sie gebar ihm drei Kinder, das letzte erst nach seinem Tod. Die zweite Ehe wurde nach ihrem Mainzer Abenteuer nötig, um ihre gesellschaftliche Reputation wiederherzustellen. Was nicht ganz klappte. Das lag aber mehr an den Feindfreundinnen als an den Männern.

Denn die Universitätsmamsellen, wie die einflussreichen Gelehrtentöchter genannt wurden, waren im Kampf um Macht und Männer, was nahezu synonym war, wenig zimperlich. Legendär sind Carolines Auseinandersetzungen mit ihrer Schwägerin Dorothea Veit. In einer Art Wohngemeinschaft lebten die beiden mit den Brüdern Schlegel in Jena zusammen. Als Caroline sich dann in den um zwölf Jahre jüngeren Philosophen Schelling verliebte, wurde sie von Charlotte Schiller und Dorothea Veit, selbst acht Jahre älter als ihr Mann Friedrich, schnell als „Dame Luzifer“ apostrophiert. Diesen Ruf verdankte sie aber nicht nur ihrem Lebenswandel, sondern auch ihrer losen Zunge. Ihre Spottlust, die sie nicht nur in ihrem Hauptwerk, ihren Briefen nämlich, bewies, sondern auch in den Rezensionen, die sie schrieb, war gefürchtet.

Das Leben, so wie Caroline es anlegte, forderte zweifellos einen hohen Tribut, dafür war es aber ein reiches, intensives und– so weit möglich – ein selbstbestimmtes Leben. Sabine Appel beschreibt dieses Leben, das 46 Jahre dauerte, im Gegensatz zu Brigitte Roßbeck (in ihrer vor fünf Jahren erschienenen Biografie), ohne ständig zu werten und dem Leser gouvernantenhaft ihre Ansichten aufzudrängen. ■

Sabine Appel

Caroline Schlegel-Schelling

Das Wagnis der Freiheit. Eine Biografie. 288S., geb., €20,60 (C. H. Beck Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2013)

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