Kapital bilden!

Wenige Bücher verändern die Welt. „Des Bankers neue Kleider“ hat das Zeug dazu. Zwei Gelehrte spießen mit bestechender Logik und gestützt auf empirisches Wissen die Ausreden der Banken auf, warum sie ihre Eigenkapitalquote so niedrig halten. Beeindruckend.

Der Untertitel skizziert das Thema: „Was bei Banken wirklich schiefläuft und was sich ändern muss.“ Klingt nicht sehr aufregend in einer Zeit, in der sich Krethi und Plethi berufen fühlen, ihre Ideen zur Finanzkrise mitzuteilen. Doch was die Stanford-Professorin Anan Admati und der Direktor des Max-Planck-Instituts für Gemeingutforschung in Bonn, Martin Hellwig, hier vorlegen, ist ein Meisterwerk.

Die zentrale Forderung des Buchs: Die Eigenkapitalquote der Banken muss höher werden. Und zwar viel höher, nämlich 20 bis 30 Prozent der Bilanzsumme. Klingt weder spannend noch originell. Dennoch entscheidet sich gerade an dieser Frage, wie krisenanfällig unser Finanzsystem ist. Was nach einem technischen Detail von Bankbilanzen klingt, erweist sich als der entscheidende Punkt, an dem die Interessen der Gesellschaft mit jenen der Banken kollidieren. Den Banken gelingt es, die Diskussion zu diesem Thema zu dominieren und in ihrem Sinn zu gestalten. Wer kann schon mithalten, wenn Wörter wie Hybridkapital, Tier 2, Basel III oder Value-at-risk verwendet werden? Und dennoch: An der Frage der Eigenkapitalquote von Banken entscheidet sich, ob wir für die nächste Finanzkrise besser als 2007 gerüstet sind. Davon sind wir alle betroffen, und die Arbeitsplätze von Millionen von Menschen hängen davon ab.

Anan Admati und Martin Hellwig erklären mit einfachen Worten und schneidend scharfer Logik, worum es in diesem Interessenkonflikt zwischen Banken und Gesellschaft geht. Warum haben die Banken eigentlich so starkes Interesse daran, ihre Eigenkapitalquote niedrig zu halten? Was sind ihre Argumente gegen eine Erhöhung ebendieser? Admati und Hellwig gelingt es, die Argumente gegen eine Erhöhung des Eigenkapitals Punkt für Punkt zu entkräften.

Die Kernthese des Buchs: Eine solide Eigenkapitalbasis von Banken kann Verluste auffangen, bevor der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Das ist die einfachste und wirksamste Prävention gegen Finanzkrisen. Vor allem: Sie kann bei entsprechendem politischen Willen ohne wesentliche Belastung der Gesellschaft in die Tat umgesetzt werden. Die ständig behaupteten katastrophalen Auswirkungen von strengeren Eigenkapitalregelungen entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Hirngespinste, ähnlich des Kaisers neuen Kleidern im Märchen von Hans Christian Andersen.

Doch der Reihe nach. Die Eigenkapitalquote gibt an, welcher Anteil der gesamten Aktiva eines Unternehmens von den Eigentümern gehalten wird. Der Rest wird mit fremdem, also geliehenem Geld finanziert. Bei den im deutschen Aktienindex DAX gelisteten Unternehmen liegt die Eigenkapitalquote im Durchschnitt bei 35 Prozent.

Bei Banken ist es anders: Dort beträgt die Eigenkapitalquote manchmal weniger als drei Prozent und selten wesentlich mehr. Im Rahmen der heiß diskutierten Neuregelungen im sogenannten Basel-III-Abkommen wird erstmals die Forderung erhoben, dass dieser Wert mindestens drei Prozent betragen muss, mit einer Übergangsfrist bis 2019. Dagegen erhebt sich aber ein Sturm der Entrüstung. Vor einiger Zeit hat etwa der britische Unternehmensminister Vince Cabledie Londoner Aufsichtsbehörde vollmundig als „Taliban des Kapitals“ beschimpft, weil sie durch ihr Beharren auf mehr Eigenkapital „es den Unternehmen erschwert, in dieser heiklen Phase der Erholung zu arbeiten und zu expandieren“.

Eigenkapital liegt nicht brach

Damit sind wir schon beim ersten Argument der Bankenlobby: Höhere Eigenkapitalquoten seien schädlich, denn sie führen zu einem Brachliegen von Mitteln, die sonst für dringend benötigte Kredite in die Realwirtschaft zur Verfügung stehen. Klingt einleuchtend, ist aber falsch. Es liegt hier eine Verwechslung von Aktiv- und Passivseite der Bilanz vor. Das Eigenkapital liegt ja nicht brach, sondern kann sehr wohl dafür verwendet werden, Kredite zu finanzieren.

Das zweite Argument ist schon etwas subtiler: Eigenkapital sei wesentlich teurer als Fremdkapital. Daher würden höhere Eigenkapitalvorschriften die Kredite an die Realwirtschaft empfindlich verteuern. Wieso eigentlich? Die angeblich höheren Kosten von Eigenkapital müssten doch auch für andere Unternehmen gelten. Wieso finanzieren sich Nichtbanken viel stärker mit Eigenkapital? Im Fall von Apple beispielsweise zu 100 Prozent.

Die Frage der optimalen Kapitalstruktur von Unternehmen ist selbstverständlich nicht neu. Vor über 50 Jahren haben Franco Modigliani und Merton Miller dazu einen berühmten Satz formuliert. Unter gewissen– präzise formulierten – Voraussetzungen sind die Kosten der Finanzierung eines Unternehmens unabhängig von der Zusammensetzung aus Fremd- und Eigenkapital. Das klingt auf den ersten Blick vollkommen absurd und weltfremd. Aber schauen wir genauer hin.

Der Satz von Modigliani und Miller spielt in der Ökonomie eine ähnliche Rolle wie der Energie-Erhaltungssatz in der Physik, der besagt, dass in einem geschlossenen System die Energie konstant bleibt. Auch diese Aussage scheint auf den ersten Blick absurd und jeder Lebenserfahrung widersprechend. Wer aber das Glück hatte, dies von einer guten Physiklehrerin oder einem guten Physiklehrer erklärt zu bekommen, dem ist für den Rest des Lebens ein Licht aufgegangen. Die Idee hinter dem Energie-Erhaltungssatz ist im Grund ganz einfach, fast banal. Das heißt aber nicht, dass der Energie-Erhaltungssatz uninteressant wäre. Ganz im Gegenteil! Wenn man ihn verstanden hat, sieht man die Welt mit anderen Augen.

Auch dem Satz von Modigliani und Miller liegt eine genau genommen triviale ökonomische Einsicht zugrunde. Bei der Finanzierung eines Unternehmens muss irgendjemand die Risken tragen. Dafür möchte er oder sie eine entsprechende Kompensation. Ob das Übernehmen des Risikos in Form von Eigen- oder Fremdkapital passiert, ist letztlich irrelevant.

Was bedeutet das für die Praxis? Warum halten funktionierende Industrieunternehmen einen Eigenkapitalanteil von mindestens 20 Prozent und lamentieren nicht, dass Eigenkapital so teuer sei? Die Antwort liegt auf der Hand. Je stärker sie sich verschulden,desto teurer werden die Kredite, ganz im Einklang mit dem Satz von Modigliani und Miller. Warum gilt der Satz von Modigliani und Miller bei Banken plötzlich nicht mehr? Der Grund ist, dass Banken eine Voraussetzung nicht erfüllen, die der physikalischen Forderung nach der Abgeschlossenheit eines Systems entspricht. Wenn jemand von außen für ein Unternehmen Haftungen übernimmt, wird Fremdkapital tatsächlich billiger als Eigenkapital. Genau das ist bei Banken der Fall. Sie verfügen, im Gegensatz zu Alpine oder Dayli, über explizite und vor allem implizite Staatsgarantien. Dafür muss letztlich der Steuerzahler geradestehen. Stichwort: „Too big to fail.“

Wenn das Unternehmensziel (und die Basis für die Boni) einer Bank „return on equity“ ist, also eine möglichst hohe Eigenkapitalrendite, dann gelingt das am einfachsten, wenn der Nenner dieser Größe, das Eigenkapital, möglichst klein ist. Dann wird verständlich, dass es aus Sicht von Herrn Ackermann, dem früheren Chef der Deutschen Bank, keineswegs frivol gewesen ist, eine Kapitalrendite von 25 Prozent als Unternehmensziel zu formulieren.

Wenn der Hebel, also das Ausmaß des eingesetzten Fremdkapitals, genügend hoch ist, ist das nicht so schwer zu erreichen. Daraus leitet sich die wohlbekannte Tatsache ab, dass es fein ist, mit geliehenem Geld zu spekulieren, solange alles gut geht. Das Wesen des Bankgeschäfts ist es aber, dass Banken Risken übernehmen. Dass also auchetwas schiefgehen kann. Übrigens nicht nur bei Investmentbanken, sondern auch bei den guten alten Geschäftsbanken, die Hypothekar- und Kommerzkredite vergeben. Doch das sollte nicht das Problem sein: Es ist eine Kernaufgabe von Banken, Risiko zu übernehmen. Wenn aber der Eigenkapitalpuffer nur drei Prozent oder weniger beträgt, dann können schon relativ kleine Verluste einer Bank diese in die Insolvenz führen.

Seit 2008 ist eine Reihe von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen durchgesetzt worden, die die Verwundbarkeit des Finanzsystems verringern sollen. Das würdigen Admati und Hellwig als durchaus positive Entwicklung. Aber es ist bei Weitem zu wenig, und wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass das Finanzsystem so dem nächsten Sturm standhalten könnte. Das Verbot von Bail-outs, das in den USA seit 2010 besteht, ist eher eine kontraproduktive Selbstfesselung. Die Lehman-Pleite von 2008 war ja ein gigantisches Realexperiment, das aufgezeigt hat, dass die Situation nur noch katastrophaler wird, wenn eine Bank dieser Größe in Konkurs geschickt wird.

Kommen wir zum nächsten Argument, das gegen höhere Eigenkapitalquoten angeführt wird. Es lautet: Ja, aber! Es sei schon richtig, dass das Eigenkapital erhöht werden müsse, aber leider, leider sei das in der gegenwärtigen schwierigen Situation unmöglich. Wieder fragen Admati und Hellwig: Wieso eigentlich? Sofern eine Bank ein viables Geschäftsmodell hat, sollte sie keine Schwierigkeiten haben, neue Aktien zu begeben und so das Eigenkapital zu erhöhen. Oder sie schüttet für einige Zeit keine Dividende aus, was auf dasselbe hinausläuft. Das ist eine Maßnahme, die bei entsprechendem politischen Willen leicht durchgesetzt werden kann.

Die Banken und die Politik

Dem Verhältnis der Politik zu den Banken widmen Admati und Hellwig besondere Aufmerksamkeit. Politiker sehen die Banken gern als Geldgeber. Zum Beispiel waren sich Politik und Banken wunderbar einig, als in einem der Basel-Abkommen verankert wurde, dass Ausleihungen an Staaten in der eigenen Währung die Risikogewichtung null erhalten sollen. Dass solche Kredite also ebenso sicher wie bares Geld seien!

Die Idee der Risikogewichtung geht auf das erste Basel-Abkommen von 1988 zurück. Aus theoretischer Sicht ist die Idee einleuchtend. Die Risken, die die unterschiedlichen Aktiva der Bank verursachen, sind ja sehr verschieden. Es ist daher nur konsequent, eine Risikogewichtung bei der Berechnung des notwendigen Eigenkapitals zu fordern. Hellwig räumt ein, selbst in den 1990er-Jahren in der akademischen Diskussion für die Idee der Risikogewichtung plädiert zu haben.

Aber, wie Charles Goodheart von der London School of Economics so treffend formuliert hat: „When a measure becomes a target, it ceases to be a good measure.“ Die Banken fanden rasch Wege, die Regeln so zu nützen, dass für die risikogewichtete Eigenkapitalquote ein Wert von acht und mehr Prozent ausgewiesen werden konnte, während sie manchmal unter dem Strich weniger als zwei Prozent betrug– zum Beispiel durch den Ankauf von griechischen oder portugiesischen Staatsanleihen.

Wenige Bücher verändern die Welt. Dieses Buch versucht in einfacher Sprache, mit bestechender Logik und gestützt auf ein beeindruckendes empirisches Wissen, falsche Argumente zu entkräften. Das erinnert an Sigmund Freud: „Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat.“ ■

Das Buch

Martin Hellwig, Anat Admati

Des Bankers neue Kleider

Was bei Banken wirklich schiefläuft und was sich ändern muss. 350S., geb., €25,70 (FinanzBuch Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.