Rios heißeste Seiten

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Rios heisseste Seiten(c) REUTERS (RICARDO MORAES)
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Ökonomen sprechen vom „vôo de galinha“, vom Hühnerflug: ein paar Flügelschläge – und schon sitzt das Hendl wieder auf dem Boden. Brasilien: Seit Juni entzaubern Massenproteste das Wunderland. Kommende Woche aber ist Brasilien Gastland der Frankfurter Buchmesse: ein Blick in die Bücher.

yes nach brasilien
wulld ich like du go
Ernst Jandl


Die Brasilianer sind da! 70 Autorinnen und Autoren sowie eine Hundertschaft von Verlegern undJournalisten, von Lektoren undÜbersetzern stürmen kommende Woche die Frankfurter Buchmesse, selbstbewusst, souverän, erfolgreich, als Vertreter eines Landes, welches die Unterentwicklung abstreift und Großmachtallüren anlegt. Was für ein Unterschied zum Jahr 1994, als Brasilien in Frankfurt schon einmal den Schwerpunkt gesetzt hat. Damals musste finanziell gefördert und verlegerisch geholfen werden. Es verpuffte auch innert kürzester Zeit die literarische Offensive. Fast alle damals vorgestellten, aus dem brasilianischen Portugiesisch ins Deutsche übersetzten Texte sind vergriffen oder wurden verramscht. Diesmal wollen die Brasilianer bleiben. Aus eigener Kraft: Viele der neuen Übersetzungen verdanken wir der Finanzkasse des brasilianischen Kulturministeriums (Ministério de Cultura – Fundacão Biblioteca Nacional).

Brasilien. Ein Land vonder Größe eines Kontinents, reich an Bodenschätzen, landwirtschaftlichen Gütern, an Wasser,Energie, Schönheit, bevölkert von fast 200 Millionen Menschen, in denendie kreativen Gene vieler Ethnien stecken: Indianer, Portugiesen, Afrikaner, Juden, Japaner, Libanesen, Araber, heute allesamt „stolze Brasilianer“, die wissen, dass die Zukunft ihnen gehört – wenn jetzt nur nicht schwerwiegende Missgriffe passieren.

Brasiliens Geschichte dokumentiert zahlreiche Entwicklungsversuche, die immer wieder scheiterten. Deswegen der boshafte Satz, Brasilien sei das Land der Zukunft – und würde es auch immer bleiben. Tapfer hielten wohlmeinende Autoren aus Europa dagegen, zumeist mit geografischen Texten. „Brasilien. Ein Land der Zukunft“ heißt der 1912 in Stuttgart publizierte Text von Heinrich Schüler. Hat Stefan Zweig das betreffende Exemplar in der Wiener Universitätsbibliothek eingesehen? Denn genau diesen Titel verwendet er für sein eigenes Brasilien-Buch,1941 im exilierten Bermann-Fischer Verlag in Stockholm herausgebracht. Darin feiert Zweig das Land, das ihm Exil gewährte, in überströmend dithyrambischen Sätzen. Ein Paradies winkt. Aber manches sei noch zu tun, meint Zweig. Für den entscheidenden Entwicklungssprung müsse eine „Transfusionvon Blut und Kapital“ erfolgen – womit der Autor verschlüsselt jüdisches Blut und jüdisches Geld meinte. Denn der realistisch denkende Stefan Zweig misstraute Theodor Herzls Palästina-Projekt und hätte Brasilien als Zufluchtsort für Europas Juden vorgezogen. (Alberto Dines, Journalist in São Paulo und unermüdlicher Zweig-Biograf, hat mit seinem 700 Seiten starken Band „Tod im Paradies“, lieferbar in der Edition Büchergilde, diese bis dato nur vage Annahme präzise dokumentieren können.)

Aber auch so kamen Vertreter aller Völkerdieser Erde nach Brasilien, die in der Melange 150 verschiedene Hautschattierungen in den Statistikbögen angeben dürfen. Sie alle treibt das positivistisch konnotierte Motto „ordem e progresso“ in der brasilianischen Flagge. Ordnung und Fortschrittsollten den Kern der „brasilidade“, Synthese ausRassenmischung, geopolitischen Vorteilen und körperbetontem Vitalismus,ausreifen. Eine Flankenhilfe erwartete man sich von der Literatur. Indes, die ursprünglichen Versuche, Kopien aus Europa, Klassik, Romantik, französischer Parnass, Naturalismus, warfen zwar viele Texte aus, die aber nurwenig der eigenen Identitätsfindung nützten. Erst die in ganz Lateinamerika um 1900 auftauchende Kulturströmung des „Modernismo“ (ein schillernder Begriff mit Erlaubnis für kühnere Schreibstile) ließ neue Profile aufkommen.

Brasilien wagte sogar den Befreiungsschlag: Genau zur Hundertjahrfeier der brasilianischen Unabhängigkeit, in der Woche vom 13. zum 17. Februar 1922, organisierte São Paulos Schickeria, jubelnd unterstütztvon Poeten, Malern, Intellektuellen, Philosophen, Aktionisten und frühen Futuristen, eine„Semana de Arte Moderna“, eine Woche der modernen Kunst, auch heute noch Brasiliens kulturelles Alpha.

Schluss mit dem sklavischen Kulturimportaus Europa! „Was ist Wagner gegen den Karneval von Rio“, ereiferte sich Oswaldo de Andrade, der befahl, Importliteratur durch Exportpoesie zu ersetzen. Dazu lieferte er viel Sprachexperimentelles und einfach Witziges, wie seine dem Tupy-Indio entlehnte Shakespeare-Parodie „Tupy or not Tupy, that is the question“. Mit der 1928 initiierten Zeitschrift „Revista de Antropofagía“ (Menschenfresser-Zeitschrift) sowie mit dem „Manifesto Antropófago“ tastete er sich in eine Sphäre vor, wo ungeniert auch der Freudsche Diskurs (in SãoPaulo sehr wohl bekannt) einverleibt wurde. Damit nahmen die intellektuellen Wilden von São Paulo ansatzweise die postkoloniale Theorie vorweg. Fressen statt gefressen werden! Europäisches ist einzunehmen, zu verdauen und schließlich, bis auf das Brauchbare, auszuscheiden, auszuscheißen. Nur so sei Autonomie zu gewinnen und die Peripherie zu erlösen. Ein Kollege, Mário de Andrade, schrieb 1928 den anthropophagischen Schelmenroman„Macunaíma“ und verdinglichte damit alle diese Experimente im Gefolge der „Semana de Arte Moderna“ in magische, zugleich urkomische Literatur.

Zwar ließ die Weltwirtschaftskrise nach 1929 viel von diesem spezifisch brasilianischen Modernismo verblassen, aber Türen für eine nicht mehr provinzielle brasilianische Literatur blieben offen. Politische Turbulenzen, Autoritäres, Militärregime, Krisen jeder Art – Euphorie gab es nur kurz während der Präsidentschaft von Juscelino Kubitschek (1956–61), der Brasilia als neue Hauptstadt durchboxte – konnten die ersten bedeutenden Dekaden brasilianischer Literatur nicht verhindern. Eine starke Romanliteratur, mit Akzent auf Regionalismus (immer wiedertaucht der sonnenverbrannte Nordeste, derNordosten des Landes, auf), gewann internationale Aufmerksamkeit: Érico Veríssimo, Graciliano Ramos, Rachel de Queiróz, José Lins do Rego, João Guimarães Roas(dessen Roman „Grande Sertão: Veredas“von 1956 als Jahrhundertwerk gilt); parallel die gefeierten Ethno-Literaten Gilberto Freyre und Darcy Ribeiro; vor allem auch die singuläre Clarice Lispector mit ihrer intimistischen Prosa. Bestseller schaffte freilich nur der immer auch klassenkämpferische Magier Jorge Amado, dessen burleske Mulatto-Figuren dem brasilianischen Niedervolk, trotz Ausgrenzung vital und fröhlich, entspringen. Deutsche Fassungen jener epischen Romanliteratur verdanken wir einigen Übersetzer-Altmeistern wie dem begnadeten Curt Meyer-Clason, der sensiblen Ray-Güde Mertin, dem geschichtskritischen Berthold Zilly.

Und doch verlor die klassische Literaturproduktion als Sinnlieferant nach 1950 vorübergehend an Boden. Modernisierung und Industrialisierung ließen ein anderesBrasilien wachsen, ein Brasilien, in dem Bankenkonsortien, imperiale Multimedia-Moguln, einflussreiche Zeitschriften und vor allem das Fernsehen – deren tägliche „Telenovelas“ eine faszinierende Trivialliteratur ausstoßen – variierende Definitionen von „brasilidade“ lieferten.

Im Gefolge der Militärdikatur der Jahre 1964 bis 1985 geriet das literarische Schreiben überhaupt in den Verdacht der Subversion. Bücher wurden verboten. Schriftsteller flüchteten ins Ausland. Widerstand verlagerte sich ins Musikalische, wo der süße Bossa Nova zur proteststarken Música Popular Brasileiro mutierte, deren tropikalistischer Stil mit der vorangegangenen geruhsamen Ästhetik radikal brach, was die militärischen Zensoren – oft alternde Fußballspieler – in Bedrängnis brachte.

Im Gefolge der „abertura“, der von Brasiliens Zivilgesellschaft erzwungenen Re-Demokratisierung, nach 1994 um eine monetäre Stabilisierung erweitert, bereitete sich das Wunder des Wirtschaftsbooms vor. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre erlebte das Land eine an China erinnernde Expansion, die plötzlich eine grandiose Zukunft aufriss. Brasilien schaffte – statistisch – Vollbeschäftigung und stieg in die Liga der führenden Industrienationen auf. Politische Freiheiten, Demokratie und Wachstum beflügelten in der Folge das Kulturelle, was Gilberto Gil, afrobrasilianischer Sängerstar und 1994 Kulturminister, die bisherige Trennung zwischen Volkskultur und Hochkultur beseitigen ließ. Brasiliens jüngere Schriftsteller profitierten enorm davon. Für die im Boom aufsteigenden (finanziell immer noch prekären) Mittelschichten, die heute an die 90 Millionen Köpfe – also fast die Hälfte der Bevölkerung – zählen, wurde Lesen wichtig, es wurden mehr Bücher gedruckt (heute 26.000 Titel im Jahr) und mehr Bücher gekauft. Junge Autoren können dank Tantiemen, Lesungen, TV-Auftritten, Sponsoring oder Stipendien erstmals einigermaßen vom Schreiben leben.

Neben der faden Buchmesse von Rioblühte in jüngsten Jahren das mitreißende Festival FLIP im Kolonialstädtchen Paraty südwestlich von Rio auf. Diese Fiesta Literária Internacional de Paraty (www.flip.org.br) vereinigt im Wintermonat Juli für fünf Tage junge Autoren mit Lesern, Übersetzern, Verlegern, Literaturfans, Künstlern und Cineasten zu einer kreativen Explosion, die auf das gesamte Land ausstrahlt. Auch die afrobrasilianische Erzählweise (Sklaverei gab es in Brasilien bis 1888!) tritt dort aus dem Schatten. Und sogar die „literatura de cordel“, die „Literatur von der Wäscheleine“aus dem Nordosten, gereimte Balladen, vorgetragen im heiseren Singsang, von Akademikern lange als Schund verlacht, findet Beachtung.

Als eigene Gruppe treten dort auch die Kinder und Enkel von deutschsprachigen Juden auf, die vor den Nazis nach Brasilien flüchten konnten. Clarice Lispector, ukrainisch-jüdischer Abstammung, hat ihnen den Weg geebnet. Dass diese Autoren um ihre eigene Definition von „brasilidade“ ringen, leuchtet ein: Luis Krausz, Ronaldo Wrobel, Bernardo Kucinski oder Moacyr Scliar bereichern das brasilianische Schreiben um schmerzhafte Erinnerungskultur und jüdische Fabulierkunst.

Brasiliens junge Autoren, alle durchwegs universitär gebildet, spielen mit verschiedenen literarischen Stilen, pendeln zwischen Genres,meistern die Kurzgeschichte und gehen auch an metaliterarische Grenzen. Dank einer jungen Übersetzergeneration (Michael Kegler, Marlen Eckl, Timo Berger) können wir neuerdings viel von ihnen auf Deutsch lesen.

Währen die hispanoamerikanischen Autoren des sogenannten Boom (Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa et cetera) im „magischen Realismus“ schwelgten, entstand in Brasilien die Praxis eines „realismo violento“. Viel davon wurzelt bei Ignacio de Loyola Brandão, wo das Thema des schwierigen Alltags für die aufsteigenden Mittelschichten in den Mega-Cities – die Reichen fliegen im Hubschrauber drüber – dominiert. In diesem Sinne schaffen die jungen Nachfolger eine spezifisch brasilianische Stadtliteratur, lakonisch, schnörkellos, ohne Larmoyanz, die alles Provinzielle abgestreift hat und transkulturelle Qualität zeigt, mit intellektuellen Verknüpfungen nach Japan oder Frankreich.

Ignacio de Loyola Brandão hat bereits in den 1980ern unbarmherzig die literarische Apokalypse projiziert, indem er in „Kein Land wie dieses“ (auf Deutsch 1986) ein São Paulo im Jahr 2000 schildert: ein Pferch für 60 Millionen Menschen, die nur noch künstliche Nahrung konsumieren, da Natur und Landwirtschaft in Wüsten, vor denen grün bemalte Kartons hängen, untergingen. Erfreulicherweise blieb diese Vision auf dem Papier. Jedoch der Alltag für die Mittelschichten, die in verlotternden Infrastrukturen leben, von den Bewohnern der Favelas ganz zu schweigen, ist harsch genug. Darüber schreiben Brasiliens junge Autoren, nicht als Soziologen, sondern als literarische Dokumentaristen mit vektoraler Kraft, sodass die Botschaft unverfälscht auf uns kommen kann. Nach Abschluss der Frankfurter Buchmesse werden einige von ihnen – Luis Ruffato, Beatriz Bracher, João Paulo Cuenca – nach Wien kommen, um in der Stadtbibliothek aufzutreten.

Hingehen und zuhören! Und vor allem auch fragen, was denn nun eigentlich in Brasilien los sei! Denn seit Juni 2013 steht alles kopf. Massendemonstrationen entzauberten den Giganten. Es sind ausgerechnet die beispiellosen wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen Dekade, welche die Schattenseiten des brasilianischen Wunders hervortreten lassen. Seit zwei Jahren schwächelt die Wirtschaft. Eine neue Inflation zeigt ihr hässliches Gesicht. Dies trifft vor allem die Angehörigen der aufsteigenden Mittelschichten, die sich für lange begehrte Konsumgüter verschuldet haben und nun die hohen Kostender öffentlichen (zudemmiserabel funktionierenden) Dienstleistungen –Schulen, Spitäler, Wasser, Elektrizität, Verkehr –kaum noch begleichenkönnen. Allem voran quälen die überfüllten Bussedes Nahverkehrs, der inprivaten Unternehmerhänden liegt und dessenPreise im Vergleich zu denhöchsten in der Welt zählen. Deswegen zündete das Dekret betreffenddie Anhebung der Fahrscheine um 20 Centavos (circa sieben Euro-Cents) wie eine Lunte das Pulverfass. Brasiliens Städte explodierten in Massendemonstrationen. Zusätzlich angeheizt haben den Zorn die Milliarden, die für die Weltmeisterschaft der Fußballer der Fifa-Oligarchie in den Hintern geschoben werden. Prompt lautet eine der poetischen Forderungen der Protestierenden: „Schulen und Krankenhäuser mit Fifa-Standard!“

Die Zivilgesellschaft brodelt. „Globo“,Brasiliens gigantisches TV-Konglomerat,unterbrach erstmals in der Geschichte die tägliche Telenovela, um live von der Straße zu berichten. Zu den Forderungen nach Kontrolle der sagenhaften Korruption im Kongress sowie nach besseren Public Services treten inzwischen auch Problemkataloge von Frauen, Homosexuellen, Transvestiten, Landlosen, Indigenen oder Favela-Bewohnern (wobei Letzteren die militärische „Disziplinierung“ zugunsten von Fußballund Olympia aufstößt). Auf die Protestkraft der rebellischen Zivilgesellschaft reagiert Präsidentin Dilma Rousseff, Vorsitzende der ursprünglich revolutionären Arbeiterpartei, aber letzthin der Großindustrie im Wort, eher hilflos. Immerhin wurde die Preiserhöhung bei den Bussen zurückgenommen, und immerhin wurden Reformen in Aussicht gestellt.

Das Wunderland Brasilien steht plötzlich zur Disposition. Auch wirtschaftlich. Ökonomen prägten für die bisherigen Entwicklungsversuche das Wort vom „vôo de galinha“, vom Hühnerflug: ein paar Flügelschläge – und schon sitzt das Hendl wieder auf dem Boden. Brasiliens heutiger Höhenflug könnte Dauer schaffen – sofern die protestierenden Bürger gehört werden und deren Anliegen in praktische Politik einfließen. – Es wird spannend sein. ■

Frankfurter Buchmesse: Schwerpunkt Brasilien, Ein Dutzend Buchempfehlungen

Jorge Amado: Die Werkstatt der Wunder. Roman. Übersetzung: Nicolai von Schweder-Schreiner.
432 S., geb., € 25,70 (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main).– Eine augenzwinkernd erzählte Geschichte mit afrobrasilianischer Zauberei, bahianischer Küche, praller Erotik und Anklage gegen Rassismus.

Mário de Andrade: Macunaíma, der Held ohne Charakter. Roman. Übersetzung aus dem brasilianischen Portugiesisch: Curt Meyer-Clason. 218 S., geb., € 18,50 (Suhrkamp Verlag, Berlin). – Der anthropophagische Schelmenroman aus dem Jahr 1928, der im brasilianischen Urwald beginnt und im urbanen Dschungel von São Paulo endet. Umwerfend komisch.

Dawid Danilo Bartelt: Copacabana. Biografie einesSehnsuchtsortes. 222 S., brosch., € 11,30 (Wagenbach Verlag, Berlin).–Was wie ein Touristenführer aussieht, entpuppt sich als glänzend geschriebene, unterhaltsame Kulturgeschichte von Rio. Der ideale Begleiter im Flugzeug nach Brasilien.

Beatriz Bracher: Antonio. Roman. Übersetzung: Maria Hummitzsch. 192 S., geb., € 18,50 (Assoziation A, Berlin/Hamburg).–Die in Hispanoamerika so beliebte Familienchronik auf den Kopf gestellt, denn der „Held“ Antonio ist noch nicht geboren. Damit er eine Zukunft bekommen kann, müssen Vergangenheiten rekonstruiert werden, wobei
der Wandel in Brasiliens Gesellschaft überzeugend herauskommt.

Daniel Galera: Flut. Roman. Übersetzung: Nicolai von Schweder-Schreiner. 426 S., geb., € 23,60 (Suhrkamp Verlag, Berlin). –Der Held wandert durch die Landschaften Südbrasiliens auf der Suche nach einem Großvater, den sein Selbstmord-Vater verleugnet. Klarsichtige, an Musil erinnernde Prosa.

Luis S. Krausz: Verbannung. Erinnerungen in Trümmern. Übersetzung: Manfred von Conta. 166S., brosch., € 15,40 (Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin). – Dokumentation eines speziellen Mikrokosmos von Brasilien-Einwanderern, nämlich der bürgerlichen österreichischen und deutschen Juden auf der Flucht vor Hitler. Der Autor entstammt selbst einer jüdischen Wiener Familie.

Clarice Lispector: Nahe dem wilden Herzen.Übersetzung: Ray-Güde Mertin, überarbeitet von Corinna Santa Cruz. 320 S., geb., € 20,60 (Schöffling Verlag, Frankfurt/Main). –Der Schöffling Verlag bereitet eine deutsche Werkausgabe der singulären brasilianischen Autorin mit ihrer intimistischen Prosa vor, die zwischen Frauenemanzipation und Judentum pendelt.

Patrícia Melo: Leichendieb. Roman. Übersetzung: Barbara Mesquita. 202 S., geb., € 19,50 (Tropen Verlag, Stuttgart).–Der Tunichtgut-Held findet im abgestürzten Sportflugzeug nicht nur den toten Piloten, sondern auch einen Rucksack voller Kokain. Kann er der Versuchung widerstehen? Ein Beinahe-Krimi mit Happy End.

Popcorn unterm Zuckerhut. Junge brasilianische Literatur. Hrsg. von Timo Berger. 144 S., brosch., € 10,20 (Wagenbach Verlag, Berlin).–Brasiliens junge Autoren erweisen sich als Meister der Kurzgeschichte, die im urbanen Ambiente besonders wirkt.

João Ubaldo Ribeiro: Brasilien, Brasilien. Roman. Übersetzung: Curt Meyer-Clason und Jacob Deutsch. 734 S., brosch., € 17,50 (Suhrkamp Verlag, Berlin). –Brasiliens Geschichte als turbulentes Abenteuer atemlos erzählt, mit allen Stärken,
aber auch mit den zahlreichen Widersprüchen des Landes .

Luis Ruffato: Es waren viele Pferde. Roman. Übersetzung: Michael Kegler. 160 S., geb., € 18,50 (Assoziation A, Berlin/Hamburg).– Literarische Collagen über Schicksale in São Paulo auf der Basis von Zeitungsausschnitten. Ein normaler Tag im Mai mit wenig Glanz und viel Elend, Gewalt, Hass, Angst.

Moacyr Scliar: Kafkas Leoparden. Roman. Übersetzung: Michael Kegler. 136 S., geb., € 19,50 (Lilienfeld Verlag, Düsseldorf). – Ein Büttel der Militärregierung stößt auf einen Zettel mit dem Satz eines gewissen Franz Kafka und verlangt dessen sofortige Untersuchung, da im rätselhaften Deutsch eine verschlüsselte revolutionäre Botschaft
vermutet wird. Eine meisterhafte „kafkaeske“
Geschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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