Wenn es in der Hölle kalt wird

Plädoyer für eine religiöse Fantasie: Hans Conrad Zanders danteske Reise durch das Jenseits, „Warum ich unsterblich bin“.

Die Angst vor dem, was nach dem Tod kommen mag, ist so alt wie die Menschheit selbst. Genauso alt sind die Bilder, die wir uns von „jenem unentdeckten Land“ machen, „aus dem kein Wanderer wiederkehrt“ (Shakespeare, „Hamlet“). Die Angst steigert sich zu blankem Entsetzen, folgen wir Hans Conrad Zander auf seiner dantesken Reise in ein Jenseits, das vielerlei Gestalt annehmen kann.

Wir finden uns in Helheim, der Nachwelt der alten Germanen, wieder und in den unwegsamen Schluchten der ägyptischen Unterwelt. Wir steigen mit ihm hinab in den Hades des Homer, der weit draußen im Westen an der äußersten Grenze der bewohnbaren Erde liegt und in dem die Seelen der Verstorbenen ein trostloses Schattendasein führen. Dantes Vision vom Jenseits hat auch wenig Beruhigendes an sich. Wer kann schon von sich behaupten, ganz frei von Schuld und nicht möglicherweise doch ein Anwärter auf einen der infernalen Höllenkreise zu sein?

Des Schweizer Schriftstellers Reiseführer durch das Jenseits begleitet uns weiter durch die Jahrhunderte, durch John Miltons „Paradise Lost“ in die „modernisierte Ewigkeit“. Mit einem Schlag wird es kalt in der Hölle – und gähnend leer. Der aufgeklärte Mensch hat sie, sicher ist sicher, zur Allegorie erklärt – und mit ihr den Himmel wohl auch. Damit kann Zander gar nicht. Er lässt kein gutes Haar auch an namhaften Vertretern derkatholischen Kirche, wie etwa Karl Rahner (1904 bis 1984) einer war. Rahners verzweifelter Versuch, „ein neues bildhaftes Modelleiner modernisierten Ewigkeit“ zu entwerfen,führe unweigerlich in den „qualvollen Abgrund bildlosen, düsterkalten Entsetzens“. Die Wirklichkeit des Himmels: abgeschoben in die „Unwirklichkeit einer geistig-transzendentalen Kategorie“? Das geht dem ehemaligen Dominikaner Hans Conrad Zander zu weit.

Wenn die religiösen Bilder verblassen, die unisono besagen, dass all das, was hier begonnen wird, dort zur Vollendung kommt, und zwar im Guten wie im Schlechten, bringt sich jede Religion um ihre Essenz, auch die katholische Kirche. Dann lieber doch nicht sterben! Der Ausweg, den Zander anbietet, ist bemerkenswert. Er plädiert für das Wiederaufleben-Lassen der „religiösen Fantasie“. Sie ist das „Auge der Religion“. Das Jenseitige ist nur mit den Bildern einer gleichsam visionären Vorstellungskraft zu fassen – und nicht mit dem nüchternen Blick der Wissenschaft, die lediglich das Diesseitige seziert.

Nein, das Buch rutscht jetzt nicht ab ins Esoterische. Auch nicht ins Frömmelnde. Es sind große Denker des Abendlandes, auf die sich Zander beruft. Es war Platon, der gesagt hat, dass dort, wo der Logos versagt, der Mythos – das Bild – für ihn eintritt. Und kein anderer als Thomas von Aquin hat behauptet, dass alle Dinge, bevor sie Wirklichkeit werden, schon bildhaft vorhanden sind. Das Endliche, Sinnfällige hat seinen letzten Sinn nie nur in sich, es weist über sich hinaus. Es weist auf Gott und die Ewigkeit, und der Mensch ist von seinem Wesen her in einem sehr hohen Maße empfänglich dafür. Er hat ein Organ für das Vollkommene: die religiöse Fantasie. In ganz platonisierender Weise sagt etwa Goethe: „Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft, wie könnt uns Göttliches entzücken.“

Es ist das Verhältnis des Menschen zum Ganzen der Wirklichkeit, das Zander in seinem Buch über die Unsterblichkeit beschreibt. Er scheut sich nicht davor, zu hinterfragen, an Größen zu rütteln, aus orthodoxen Normen zu treten. Er gleicht darin demjenigen vorchristlichen Philosophen,den er als das leuchtende Beispiel für den Versuch der Synthese von kritischem, wissenschaftlichem Denken und religiöser Vorstellungskraft anführt: Sokrates, für den der Glaube an die Unsterblichkeit zwar ein Wagnis, jedoch ein wundervolles Wagnis war. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.