Haschisch vor der bösen Tat

Der Arabist Heinz Halm erzählt von Eunuchen und Konkubinen, Revolten und Intrigen wie ein Reporter, der bei Glaubenskon-ferenzen mitgeschrieben und an verbotenen Türen gelauscht hat. „Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge“: wie ein Krimi aus der Gegenwart.

Bewaffnete Esoterik? Zur Beschäftigung mit den Werken des Arabisten Heinz Halm (Universität Tübingen) hat mich meine Vorliebe für Ketzereien gebracht. Die neueste Studie des renommierten Islamwissenschaftlers über Ägypten und den Vorderen Orient zwischen 1074 und 1171 setzt fort, was er vom Aufstieg des Kalifats von Kairo und dessen Blütezeit in früheren Arbeiten bereits vorgelegt hat. Von einer flüchtigen Lektüre ist abzuraten, sonst könnte sich rasch das Gefühl einstellen, in ein Who's who mittelalterlicher Patriarchen, Wesire, Muftis, Sultane, Barone geraten zu sein. Lesevergnügen stellt sich hingegen ein, wenn Interesse für Kriminalfälle besteht. Die „Assassinen“ im Titel von Halms neuem Buch übten sich in bewaffneter Esoterik.

Esoterik nicht im Sinn spirituell programmierter Döblingerinnen nach der zweiten Scheidung, sondern als privilegiertes Wissen, das in Geheimbünden weitergereicht wurde, für die Heinz Halm ein feines Ohr entwickelt hat. Die terroristischen Konsequenzen der Dolchmänner waren keineswegs Ritualmorde, schreibt Halm, sondern gezielte Attentate auf Vertreter des religiösen und politisch-militärischen Establishments, durchaus mit den anarchistischen Attentaten des 19.Jahrhunderts zu vergleichen.

In der sogenannten Gnosis aus der Zeit der Christenverfolgungen ortet Halm das Überzeugungsgefüge, das unter schiitischen Muslimen gewalttätig wurde, ab 850 nach Christus. Ein Halsabschneider in dieser Kohorte hieß Abu Tahir, auf den das Diktum von den drei Menschheitsbetrügern Moses, Jesus und Mohammed zurückgeht. Seine Kommandozentrale lag im heutigen Saudi-Arabien. Von dort verfolgt Halm die Spur zu den Assassinenburgen in Syrien und im Iran, mit dem Zentrum Alamut am Kaspischen Meer, wo im 12.Jahrhundert erstmals jene Fehlschaltung wirksam wurde, die mit der Ermordung von Machthabern bessere Zeiten erreichen wollte. Von den fränkischen Kreuzrittern wurden die Todesengel mit dem Dolch im Ärmel assassins genannt, hergeleitet vom arabischen haschischiyun(Haschisch-Esser), weil sie angeblich vor der Tat Gebrauch von der aufputschenden Droge machten.

Halm hat persische Chronisten konsultiert, um den Werdegang des eigentlichen Stifters nachzuzeichnen, dessen Werk die Ordensregeln für die Assassinen sind. In die Geschichte der Kreuzzüge ist er durch Marco Polo mit der Legende des „Alten vom Berge“ eingegangen. Er hieß Hasan ibn as-Sabbah (gestorben 1124 nach Christus) und steht mitnichten als Verblendeter auf der Bühne des Welttheaters. Was Halm auf den Seiten 65 bis 76 seiner Neuerscheinung über den Mann erzählt, liest sich spannender als ein Krimi.

Weniger rabiat ging es im Sultanspalast von Kairo zu, obwohl auch dort schiitische Esoterik kolportiert wurde. Halm erzählt von Eunuchen und Konkubinen, Revolten, Intrigen, Zeremonien und Schatzkammern wie ein Reporter, der bei Glaubenskonferenzen mitgeschrieben und an verbotenen Türen gelauscht hat. Ab und zu leistet er sich eine Bemerkung über die Parallelen zwischen einstiger Angst vor den Assassinen und heutiger Hektik der Sicherheitsmaßnahmen gegen al-Qaida.

Die Stärke Halms liegt in der Dokumentation hochkomplexer Zusammenhänge, nicht im Vereinfachen. Die Kernländer des Vorderen Orients (Ägypten, Palästina, Syrien, Libanon) erweisen sich in seiner Sicht als Kraftfelder des Zusammenspiels nicht nur zwischen Kalifen und Assassinen. Die Eindringlinge aus Europa machten sich bemerkbar, Halm muss Christen und Juden, Armenier und Turkvölker unter die Lupe nehmen, um das Gewimmel auf den orientalischen Märkten kenntlich zu machen. Während der hundert Jahre, die Halm behandelt, wuchs Kairo zur Metropole mit einer Millionenbevölkerung.

Dort wurde Sultan Saladin, der später gegen Richard Löwenherz stritt, am 25.März 1169 installiert, eingekleidet in den Wesirsornat. Dieser bestand, wie Halm ausführt, aus einem weißen Turban mit goldgewebter Inschrift, etlichen Gewandungen aus Leinen und Seidenbrokat, dazu einem juwelengeschmückten Halsband und dem Schwert im Wert von 5000 Dinar. Das Pferd Saladins, die schnellste Stute Ägyptens, trug auf dem Kopf ein kostbares Rohr, in dem eine mit Edelsteinen besetzte Palme steckte.

Solche Momentaufnahmen bringen Farbe ins Geschehen der Kreuzzugszeit. Halm weiß, dass die Schwarz-Weiß-Malerei vom Kampf des Abendlandes gegen das Morgenland sich den propagandistischen Aufbäumungen der europäischen Nationalismen des 19.Jahrhunderts verdankt. Schlachtengemälde aus dem Kriegsgeschehen zwischen Tempelrittern und Mamelucken werden von Halm eher skizziert als in die Breite gezogen. Lieber verweilt der Autor bei den internen Streitereien unter den Promis der Muslime und der Rolle der koptischen, nubischen und äthiopischen Christentümer im Machtbereich Kairos.

Dass auch ein Pope als Steuereintreiber Karriere unter einem Sultan machen konnte, schildert Halm im Kapitel „Der Mönch“ mit allen Details, bis zum unrühmlichen Ende: „Der Kalif machte nun den üblichen kurzen Prozess. Der Mönch wurde hingerichtet, sein Körper zur Schiffbrücke geschleift und dort auf eine Planke genagelt, die man in den Nil warf, sodass der Leichnam durch das Delta bis ins Meer trieb; wo er ans Ufer gespült wurde, hatten die Anwohner Weisung, ihn wieder in die Flut zu stoßen – als warnendes Exempel.“

Heinz Halms Studie gleicht einem Teppich aus der besten Zeit dieser hohen Kunst. Erschienen ist das Werk mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung. Gut so. Sorgen um die Fortsetzung verlässlicher Gelehrsamkeit sind überflüssig. ■

Heinz Halm
Kalifen und Assassinen
Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge 1074–1171. 432S., geb., €36 (C.H. Beck Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2014)

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