Sind Dichter, die denken, Philosophen?

Zwischen Mythos und Logos: Wolfgang Müller-Funks elf Thesen über die Wechselbeziehung von Philosophie und Dichtung.

Der Titel von Wolfgang Müller-Funks neuem Buch ist bewusst doppeldeutig gehalten, denn „Die Dichter der Philosophen“ spielt auf zweierlei an: auf Philosophen, die selbst Dichter sind oder waren – in diesem Fall ist der Genitiv in seiner partitiven Funktion zu lesen – oder auf Dichter, mit denen sich Philosophen mit Vorliebe auseinandersetzen. Dann zeigt der Genitiv ein possessives Verhältnis an.

Für die vorliegende Publikation trifft eben beides zu, denn die elf Essays, die hier versammelt sind und auf eine Vorlesung zurückgehen, die der Kulturwissenschaftler an der Universität Wien gehalten hat, handeln sowohl von Philosophen, für die die Dichtung und mit gewissen Einschränkungen auch das Dichten selbst von zentraler Bedeutung war (beispielsweise Hegel, Schelling, Heidegger, Adorno, Arendt und Benjamin), als auch von Dichtern, deren Werk Gegenstand philosophischer Betrachtung war (nennen wir nur Goethe, Hölderlin, Eichendorff, E. T. A. Hoffmann, Kafka, und Musil).

Die Essays handeln mit einem Wort – so will es der Autor selbst formuliert haben – von „dichtenden Denkern“ und von „denkenden Dichtern“ und von dem „Zwischenraum“, der „zwischen Denken und Dichten“ besteht. Wo lässt sich ein solcher verorten? Und gibt es Dichter, die nicht denken? Wahrscheinlich keine, mit denen man sich weiter beschäftigen müsste! Müller-Funk rekurriert hier auf die tiefe Kluft, die sich in unserer Kultur zwischen Dichtung und Philosophie oder, anders gesagt, zwischen Mythos und Logos aufgetan hat – schon in ihren ersten Anfängen. Man denke etwa an Platon, der wohl selbst zu den größten Dichtern unter den Philosophen gehört. Er hat in seiner „Politeia“ den traditionellen Mythos dem Logos geopfert, oder zumindest hat er ihn doch modifiziert.

Warum hat es der Dichterphilosoph, der selbst noch in seinem Alterswerk unvergleichliche Mythen kreiert hat, ausgerechnet auf die Dichter abgesehen? Müller-Funk hält das für Ironie, näherliegend ist wohl, dass Platon sich gerade ob der Nähe, die es unbestritten zwischen den beiden Genres gibt, abgrenzen wollte. Auf Dichter und Philosophen trifft gleichermaßen zu, dass sie dem Verhältnis des Seins des Menschen zum Ganzen der Wirklichkeit Ausdruck verleihen wollen. Der eine bedient sich des Mythos, der andere des Logos. Wahrheitsfähig sind beide.

Die poetische und die philosophische Weltdeutung haben zudem vor allem auch eines gemeinsam: Ihr Medium ist die Sprache. Im Kern geht es in Wolfgang Müller-Funks Buch also um die Frage der Annäherung an die Wahrheit und um die Wahr-heitsfähigkeit der Sprache selbst. Das Nahverhältnis von Dichtung und Philosophie ist aus besagten Gründen naturgegeben, und dennoch – oder gerade deshalb – ist es auch so „kompliziert und komplexbeladen“. Für Müller-Funk besteht der Tatverdacht des „wechselseitigen Missbrauchs und der Instrumentalisierung“.

Philosophen neigen dazu, ihre eigenen Thesen in die Dichtung hineinzulesen,Dichter wiederum greifen oft recht willkürlich Philosopheme auf und lassen sich von ihnen inspirieren. Es drängt sich auf, in beiden Fällen von einer „Verfehlung“ zu sprechen, einer Verfehlung, von der Müller-Funk jedoch behauptet, sie könne durchaus produktiv sein. Sie ist es nämlich, die den Raum zwischen Philosophie und Dichtung eröffnet, in dem sich die philosophisch-literarische Form des Essays als das „Dritte“, wie er sagt, „zwischen Denken und Dichten“ etablieren kann. ■

Wolfgang Müller-Funk

Die Dichter der Philosophen

Essays über den Zwischenraum von
Denken und Dichten. 216S., brosch., €27,70 (Wilhelm Fink Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2014)

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