Bob Dylan am Lamanderbach

Atmosphärisch, kreisförmig: Brita Steinwendtners Roman einer Karriere in der Provinz.

Bob Dylan und ein leise murmelnder Bach als Soundtrack des Lebens. Es gibt Romane, die wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen. Sie tragen etwas hartnäckig Anachronistisches vor sich her. Brita Steinwendtners „An diesem einen Punkt der Welt“ ist so ein Fall. Die als Germanistin, Lyrikerin und ehemalige Leiterin der Rauriser Literaturtage bekannte Autorin widmet sich in ihrem Romanerstling dem Leben in der Provinz.

Mit skurril-augenzwinkernden Texten über die Provinz wie „Blasmusikpop“ von Vea Kaiser hat Steinwendtners Roman wenig Berührungspunkte. Es geht ihr auch nicht – oder nur sehr am Rande –um die Entlarvung der Provinz als faschistoide Keimzelle und toleranzfreie Zone, wie das die Antiheimatromane der 1960er- und 1970er-Jahre (Gstrein, Innerhofer, Jelinek) praktizierten. Dem darin so verteufelten Naturidyll kann Steinwendtner durchaus etwas abgewinnen. Es geht um große Themen: Liebe, Sinnsuche, existenzielle Ängste. Tom, Idealist und Büchernarr, siedelt sich in einem kleinen Dorf an und versucht unermüdlich, Kultur und soziales Engagement unters Dorfvolk zu tragen und das Feuer zivilen Ungehorsams zu schüren.

Tom ist ein Suchender, gut im Anfangen, ansteckend begeisterungsfähig, aber schlecht im Einstecken von Niederlagen. Er verausgabt sich in ehrenamtlichen Projekten und weigert sich beharrlich, sich so etwas wie eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Im Dorf gilt er als bunter Hund, als amüsanter Außenseiter, dessen Haus am Lamanderbach zum Treffpunkt für allerlei Querdenker und zur Gedankenschmiede für jene wird, die – ganz ironiefrei – an einer besseren Welt arbeiten wollen. Steinwendtner charakterisiert ihren Protagonisten als gespaltene Figur, einerseits als eine Art Lichtgestalt mit messianischen Zügen (nicht ganz zufällig hält Tom oft Zwiesprache mit einer Marienstatue in der Dorfkirche), andererseits als sich selbst zermürbenden Zweifler, der sich in großen Projekten verausgabt, in realen Beziehungen aber unstet und schwierig ist.

Maserung der Feuersalamander

Die Stärke Steinwendtners sind atmosphärische Schilderungen, sie beweist einfeines Auge und Ohr für die kleinen Details in Flora und Fauna, von der auffallenden Maserung der Feuersalamander am Lamanderbach bis zu monumentalen Ereignissen – wie die Sonnenfinsternis im Jahr 1999 packend zu beschreiben.

Seltsam schablonenhaft wirkt hingegen das rund um die Hauptfigur drapierte Figurenarsenal. Steinwendtner setzt Figuren wie den väterlichen Freund und Philosophen Paramenides in erster Linie dazu ein, die Hauptfigur zu spiegeln. Das ist legitim. Aber auch Tom selbst bleibt zuweilen blass, anämisch. Zu oft wird betont, was er alles für die Gemeinschaft leistet, ohne aber genug über die Projekte zu erzählen, um diese wirklich spannend zu machen. Das wirkt dann streckenweise wie ein Bewerbungsschreiben für eine Auszeichnung in zivilem Engagement: langweilig.

Die Wiederholung oder Wiederkehr – im Guten wie im Schlechten – ist in diesem Roman Stilmittel und verleiht dem Text Rhythmik und eine gewisse meditative Qualität. In dieser Kreisstruktur ist der Protagonist aber auch gefangen. Der etwas bittere Nachgeschmack speist sich aus der Erkenntnis, dass man sich selbst nicht entkommt und dass Freiheit und das Schrammen am Nichts oft nah beieinanderliegen. Am Lamandergrund genauso wie in den Weiten Saskatchewans, zum Sound von Bob Dylan. ■

Brita Steinwendtner

An diesem einen Punkt der Welt

Roman. 320S., geb., €22,90 (Haymon Verlag, Innsbruck)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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