Nicht Rabbi, sondern Manager

Seiner Literatur stand er selbst kritisch gegenüber. Als „Litera- turmanager“ jedoch ist seine Bedeutung unbestritten: Hans Weigel. Zum 100. Geburtstag am 29.Mai erscheinen nun seine „Erinnerungen eines kritischen Patrioten“.

Von Friedrich Torberg, dessen Geburtstag sich im Herbst zum 100. Mal jährt, liegen mit der eben erschienenen Biografie von David Axmann bereits zwei breite Untersuchungen zu Leben und Werk vor. Zum gleichaltrigen Widerpart Hans Weigel fehlt bisher Vergleichbares. Ist Weigels Œuvre heute passé, unzeitgemäß?

Der Blick in das „Verzeichnis lieferbarer Bücher“ legt diesen Schluss nahe: Seit Beginn der Sechzigerjahre veröffentlichte Weigel mit großer Regelmäßigkeit und wenigen Ausnahmen jährlich mindestens ein Buch, kein einziges davon – mit Ausnahme des von Paul Flora illustrierten Longsellers „Tirol für Anfänger“ – ist im Buchhandel greifbar. Die verlegerische Flaute mag zum einen daran liegen, dass seine Satiren, Glossen und Streitschriften, seine räsonierenden und assoziierenden Texte zum Teil zeitgebunden waren und gerade im Humoristischen etwas überkommen sind, auch daran, dass das Leben seiner Bücher stark an die Person Weigel, an sein Auftreten und das vehemente Eintreten für seine Postulate gebunden waren; zum anderen ist ihm zeitlebens kein „Klassiker“ wie die „Tante Jolesch“ gelungen. In derselben jüdischen Erzähltradition stehend wie Torberg war er stark dem Anekdotischen zugeneigt. Hinzu kommt: Torberg war der bessere Romancier. Weigel dürfte der eigenen literarischen Produktion gegenüber oft nicht minder kritisch gewesen sein als gegenüber den von ihm beurteilten Texten. Er bezeichnete sich selbst als einen „Schriftstellereibesitzer“ oder „Verfertiger von Texten“.

Den 2006 aus dem Nachlass herausgegebenen Roman „Niemandsland“, den Weigel zu Beginn seiner Schweizer Exilzeit verfasste, hatte er nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Der Text mit seiner hanebüchenen Figurenkonstellation – ein Mann zwischen einer jüdischen und einer deutschen Frau – kann die Entwicklungsschritte des Weigelschen Schriftstellertums differenzieren helfen, aber über die Dreißigerjahre in Wien, die er darin literarisiert, kann die nun zum Zentenarium erschienene Autobiografie „In die weite Welt hinein“ besser und fundierter Auskunft geben. Dieses dem Lebensweg bis 1938 gewidmete Erinnerungsbuch hielt Weigel zu Lebzeiten ebenfalls zurück, er erbat sich aber von seiner Lektorin Elke Vujica, wie sie im Nachwort berichtet, dass sie den Text „irgendeinmal, lange nach meinem Tod“ herausgeben möge.

Mit dem jetzigen Jubiläum wählte Vujica einen würdigen Anlass zur Publikation dieses „unerlässlichen Kommentars zur Theater-, Literatur- und Musikgeschichte“, wie Wendelin Schmidt-Dengler in seiner Vorbemerkung schreibt. Den 1972/73 verfassten Text, der vom „Reiz stets spürbarer Authentizität“ geprägt sei, stellt Schmidt-Dengler als „sinnvolle Ergänzung“ neben die Selbstbiografien Elias Canettis und Manès Sperbers. Da Hans Weigel heute ausschließlich mit seinen Aktivitäten der zweiten Lebenshälfte in Erinnerung ist – er selbst gab aus der Zeit vor 1945 wenig preis –, sind sie eine willkommene biografische Ergänzung.

Assistent von Zarah Leander

Man kannte aus dem Katalog der Wien Bibliothek zur Ausstellung über Weigel zum 80.Geburtstag die wichtigsten Eckdaten der Biografie, man wusste, etwa aus seinem Buch „Gerichtstag vor 49 Leuten“ (1981) von seiner Teilhabe an der Wiener Kabarettszene während des „Ständestaats“, man wusste vom großen Erfolg des musikalischen Lustspiels „Axel an der Himmelstür“ 1936 im Theater an der Wien, der den Stern Zarah Leanders aufgehen ließ und an dem Weigel mit seinen Liedtexten beteiligt war. Nun werden die Fakten durch Persönliches lebendig.

Weigel war Zarah Leander verfallen (sie „war so schön, dass es für mich keine andere Möglichkeit gab als: ihr ein ganzes Mittagessen lang fasziniert ins Gesicht zu schauen“), er assistierte ihr beim Rollenstudium. Weigel schuf ein dichtes Porträt der Jahre von der untergehenden Monarchie bis zum untergehenden Österreich – eine streng subjektive, dabei präzise und ironische Bestandsaufnahme. (1918: „,Wird schon schief gehen!‘ war kein abergläubisches Beschwören des Gelingens, sondern eine wohlbegründete sachliche Prophezeiung.“) Gibt Weigel der Schilderung seiner Schulzeit, die er nur als „verschwendete Vormittage“ bezeichnet und deren Mühseligkeit er durch Musikpassion kompensiert, zu viel Raum, so bietet der lange Weg der Berufsfindung mit Stationen in Hamburg, Berlin und Paris interessante Momentaufnahmen, etwa bei einer zweijährigen Zwischenstation im Wiener Zsolnay Verlag. Weigel erinnert sich genau an Einzelheiten der Abläufe innerhalb dieses für österreichische Verhältnisse großen Unternehmens und bietet damit Einblicke in das damalige Verlagswesen.

Hier, in der Abteilung für „Herstellung und Vertrieb“, machte er schließlich auch Bekanntschaft mit dem Manuskript zu Torbergs „Schüler Gerber“. Zu Torberg, dem „ältesten literarischen Freund“, fügt er sogleich das Bonmot an: „Wir sind fast immer einig, wenn auch oft nur darüber, dass wir uneinig sind.“ Anders als Torberg war Weigel damals noch kein Schriftsteller, diesen Schritt sieht er sich im Rückblick erst um das Jahr 1933 mit dem Gang in die Kellertheater vollziehen. Er arbeitete mit den Größen des Kabaretts zusammen, mit Hans Horwitz, Rudolf Weys, Peter Hammerschlag und Jura Soyfer. Von diesen Künstlerfreunden gelingen Weigel einfühlsame Porträts, die Stimmungsbilder aus dieser „verlorenen Generation“ unter der Fuchtel der ständestaatlichen Zensur gehören zu den Stärken der Autobiografie.

„In die weite Welt hinein“ führt passagenweise aber auch die schwierigen Seiten Hans Weigels vor Augen. Weigel schreibt davon, dass sein böhmischer Großvater ein religiöser Jude war, in dessen Haus koscher gekocht wurde. Er selbst habe sich in einer „Niemandsland-Situation“ befunden, ihm sei das Religiöse fremd, der Zionismus „völlig unbegreiflich“ gewesen, er habe sich bald nach dem Tod des Großvaters aus der Religionsgemeinschaft austragen lassen. Er durchmischt die Erinnerungen immer wieder mit Sentenzen zur „jüdischen Frage“, die meist starker Tobak sind.

So bringt Weigel, der Patriot, keinerlei Verständnis für jene auf, die nach 1945 nicht zurückkehren wollten: „Bleibe ich, sobald ich heimkehren kann, im Ausland, sanktioniere ich die Nürnberger Gesetze.“ Für ihn war die Assimilation die „segensreiche“ Lösung. Weigel machte sich mit seinem Antizionismus, seinen kruden Meinungen viele Feinde. 1986 widmete er dem „fatalen Thema“ Judentum ein eigenes Buch („Man kann nicht ruhig darüber reden“). Als der im Buch erwähnte Gerhard Bronner eine scharfe Gegendarstellung schrieb und Weigel des Antisemitismus zieh, ging ihm dieser, als sie sich das nächste Mal trafen, nicht aus dem Weg, sondern gratulierte ihm vielmehr zu dem „großartigen“ Artikel – Weigel lebte und liebte das Widersprüchliche.

Ein zweiter großer Brocken, an dem man bei der Beschäftigung mit Weigels Biografie zu kauen hat, ist der Bachmann-Komplex. In der Autobiografie schreibt er: „Ich habe tatsächlich die Aichinger, die Bachmann, den Celan, den Dor, die Ebner, den Federmann, den Guttenbrunner, die Haushofer entdeckt beziehungsweise gefördert.“ Er fügt, typisch Weigel, nach weiteren Namensnennungen mit ironischer Volte hinzu: „Aber ich werde mich hüten, das so offen zu berichten, sonst nennt man mich egozentrisch und eitel, außerdem glaubt man mir's ja doch nicht.“ Aber gesagt haben wollte er's doch.

Dass Weigel nach seiner „Bilderbuchrückkehr“ viel für „die Jungen“ – etwa durch die Herausgabe der „Stimmen der Gegenwart“ (1951–1954, 1956) – getan hat, wird zu Recht stets als eine seiner wichtigsten Leistungen erwähnt. Andreas Okopenko meinte 1967 rückblickend über Weigels Rolle: „Nicht Rabbi, sondern Manager seines Freundeskreises im Café Raimund.“ Eher als „Förderer“ oder „Entdecker“, wie das in Lexika nachzulesen ist, dürfte er tatsächlich eine Art Literaturmanager gewesen sein, es lag ihm daran, möglichst „viel Wirbel“ um die von ihm Geschätzten zu machen. Bei den „Entdeckungen“ neigte er zur Selbststilisierung, besonders was die nachmalige Berühmtheit Ingeborg Bachmann betraf. Hier hatte er sich zudem mit anderen Herren (Rudolf Felmayer, Hermann Hakel) um das Jus primae poemae zu streiten. Die Bachmann, mit Weigel in einer längeren Liaison verbunden, ging nach Deutschland und machte erst dort Karriere – für Weigel offensichtlich eine starke Kränkung. Vehement und nachhaltig schrieb er der Entschwundenen hinterher: Er warf der „lieben Inge“ väterlich-anmaßend eine ungehörige Einmischung in bundesdeutsche Angelegenheiten vor („Offener Brief in Sachen Unterschrift“, 1958), stilisierte sich zum Entdecker des „sehr jungen, höchst unvorteilhaft angezogenen Mädchens“ („In memoriam“, 1979) und ließ kurz vor seinem Tod den Roman „Unvollendete Symphonie“ aus dem Jahr 1951 neu auflegen und entschlüsselte die Ich-Erzählerin als „meine Kollegin Ingeborg Bachmann“. Das geschah nicht zuletzt aus gekränkter Eitelkeit, weil es kein Bachmann-Biograf „für erforderlich erachtet, mich zu befragen“. So wurde er zum Gottseibeiuns der Bachmann-Forschung.

Ein Dokument der Exilliteratur

Besser wäre gewesen, den „Grünen Stern“ neu aufzulegen. 1946 erschien dieser 1940 im Exil verfasste „utopische Gegenwartsroman“ wenig beachtet. In dieser Faschismus-Studie spielt Weigel den Aufstieg einer „Idee“ von den Anfängen bis zur Eroberung der Welt durch. Anders als Hermann Broch, der in seinem unvollendeten „Bergroman“ die Blut-und-Boden-Literatur mit ihren eigenen Mitteln der Mythisierung schlagen wollte, wählt Weigel die Satire. Die willkürlich gewählte totalitäre Idee ist bei ihm der Vegetarismus, später gesellen sich die Zahnärzte zu den Fleischessern als Feindbilder – weil der „Meister“ bei einer Rede schreckliches Zahnweh hat. (Gerade bei den Reden des „Verführers“ ergeben sich interessante Parallelen zwischen Broch und Weigel.) Der „Grüne Stern“ ist flott, ohne Pathos geschrieben, genau und geschickt strukturiert, ein beachtliches Dokument der Exilliteratur.

Damit wäre es für die Nachwelt leichter, Weigel nicht nur als Kämpfer für die von ihm geschätzte Literatur, sondern auch als Literaten zu würdigen. Als Theaterkritiker, der in Pointenreichtum und stilistischer Beschlagenheit an Kritikergrößen wie Alfred Polgar anknüpfte, wurde er selbst vor Gericht gewürdigt: wegen der Ohrfeige, welche die Burgschauspielerin Käthe Dorsch Weigel 1956 verabreichte. Sie hatte sich von einer seiner Kritiken beleidigt gefühlt. Beim aufsehenerregenden Prozess mussten die geladenen Schauspieler zugeben, dass die Kritiken Weigels ihnen meist nützlich gewesen waren.

Hans Weigel als Mensch zu würdigen, ist seinen Freunden vorbehalten. Der Salzburger Maler Friedrich Eigner etwa erinnert sich im Gespräch an warmherzige, generöse Zuwendung, an die intensive Auseinandersetzung Weigels mit seinem Werk, was ihm Ansporn und Hilfe war auf seinem künstlerischen Weg. Aber ohne starke Sprüche ging es nicht: Als Weigel Bilder des heute international renommierten Malers einer ihm bekannten Wiener Galerie anbot und diese sich nicht zurückmeldete, meinte er wütend: „Es gibt Kriegsverbrecher und Friedensverbrecher. Das sind Friedensverbrecher.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2008)

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