Der Treibstoff und das Feuer

Vom kindlichen Spracherwerb bis hin zur Relativitätstheorie: Analogien sind das Werkzeug, mit dem wir die Welt kognitiv erschließen. Douglas Hofstadters und Emmanuel Sanders gewichtiges, anarchokreatives Werk „Die Analogie“: eine Fundgrube, so anregend wie unübersichtlich.

Die Analogie, sagen die Kognitionswissenschaftler Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander, sei „das Herz des Denkens“. Wer von „Analogie“ auf „Herz“kommt, der hat natürlich selbst schon analog gedacht und dabei eine Metapher produziert. Für die englische Ausgabe haben sich die Autoren eine andere Metapher einfallen lassen. Die Analogie sei, heißt es da, „fuel and fire of thinking“, also der Treibstoff und das Feuer des Denkens. Was denn nun, könnte man fragen, Herz oder Benzin? Aber dann hätte man schon ganz von Anfang an die Autoren missverstanden. Was sie auf mehr als 700 Seiten zeigen möchten, ist ja gerade, dass Analogien, anders als bloße Kategorien, beweglich, subjektiv, kreativ und gelegentlich auch missverständlich sind. Und dass sie, vom kindlichen Spracherwerb bis hin zur Relativitätstheorie, das Werkzeug darstellen, mit dem wir die Welt kognitiv erschließen.

Das hört sich einerseits recht plausibel an, andererseits aber auch nicht unbedingt revolutionär. Welche anderen Kandidaten böten sich denn als „Herz des Denkens“ an: das transzendentale Subjekt mit seinen Kategorien (Kant) etwa, das „Es“ mit seinen „Bedürfnisspannungen“ oder Trieben (Freud)oder auch die „Struktur“ als eine Eigenschaft von Systemen (Lévi-Strauss)? Keiner dieser Autoren hätte wohl von einem „Herz des Denkens“ gesprochen, aber keiner hätte auch die fundamentale Bedeutung der Analogie – oder sagen wir: des Vergleichens, Unterscheidens, Schließens – für das Denken geleugnet. Wo stehen Hofstadter und Sander in dieser seit Aristoteles währenden Diskussion, wofür und wogegen sprechen sie sich aus, und auf welchen Einsichten anderer bauen sie auf? Das wüsste man schon gern, wenn man sich noch durch Seiten und Seiten von aufgekratzt munteren Danksagungen hindurch zum Beginn des Buches vorarbeitet. Aber vielleicht muss man diese ein bisschen hippieske Heiterkeit des Vorworts auch einfach in Analogie setzen zu dem, was dann kommt. Seiner Schwester dankt Hofstadter dafür, dass „in ihrem Haus zahllose ,gesellige Abende‘ stattfanden: mit erstklassigen Krocket-Wettbewerben, wilden Wortspielereien und zwerchfellerschütternden semantischen Albernheiten, jeweils immer begleitet von feinsten Mahlzeiten und heitersten Gesprächen“.

Das ist nun keine Nebensache, sondern wahrscheinlich ein Hinweis auf das geistige Klima, in dem dieses Buch entstanden ist. Es gibt keine Bibliografie, keine Hinweise auf verwandte oder abweichende Forschungsansätze in diesem durchaus nicht abgelegenen Feld, und es gibt auch nicht die Absicht, die gewonnenen Einsichten systematisch aufzubereiten. Das war schon in Hofstadters Kultbuch „Gödel Escher Bach“ (1980) nicht anders. Von diesem neuen Buch nun, das uns die Grundlagen des menschlichen Denkens erklären will wie noch nie zuvor, kann man mehr erwarten als obsessive Witzigkeit, seitenlange Beispiellisten und insgesamt einen Zugriff zur Realität, in dem etwas vom Autismus hochbegabter Knaben mitschwingt. Man weiß nicht so recht, für wen dieses Buch geschrieben wurde: Enthält es neue und bahnbrechende Forschungen für die Fachwelt und kundige Laien, oder ist es eine etwas unübersichtliche Fundgrube, aus der sich du und ich ein neues Weltbild zusammenbauen sollen? Man könnte sich von einem solchen anarchokreativen Ansatz, der die Vorzüge des analogen Denkens auch gleich demonstriert, natürlich einigen Lesegenuss versprechen. Aber so weit kommt es nicht, weil Hofstadter und Sander, wie in einem schlechten Physiklehrbuch, kaum je über die Beispielebene hinauskommen. Ist das dann vielleicht auch schon der Fluch der zum Weltschlüssel aufgewerteten Analogie?

Auch wenn „Die Analogie“ ein über weite Strecken frustrierendes und repetitives Buch ist (das sich irrtümlich für ungemein unterhaltsam hält), liefert es noch immer reichlich interessantes Material für das Wirken der Analogie, angefangen mit dem sozusagen analogischen Potenzial von einzelnen Wörtern oder auch Wortzusammensetzungen bis hin zur Funktion der Analogie im abstrakten und mathematischen Denken.

Vergleicht man dann freilich die gegebenen Beispiele für analoges mentales Erleben etwa mit jenen aus Freuds „Traumdeutung“, dann fällt auf, dass stets das Beste fehlt: die Interpretation. Das „Herz des Denkens“, wie die Autoren es verstehen, unterhält keine oder unklare Beziehungen zum psychischen Apparat. Erinnerung, Trauma, Wunsch, was auch immer beim Ereignis A ein Ereignis B evoziert, wird nicht auf mögliche Motive abgehorcht. Die „philosophy of mind“, der Hofstadter nahesteht, kommt ohne Psyche aus und würde die Frage nach den psychischen Ursachen des Analogisierens wahrscheinlich auch zurückweisen. Für diese Betrachtung der Dinge fällt einem das Wort „naiv“ ein, aber die Autoren wären damit wohl nicht einmal unglücklich.

Immer wieder sind die Beobachtungen gut, es werden daraus nur keine Schlüsse gezogen, die anderswo als auf derselben (analogen) Ebene liegen. Etwa: Wenn wir am Computer arbeiten, wird uns als Benutzeroberfläche eine traditionelle Bürowelt mit Ordnern, Dokumenten und Papierkörben vorgespielt. Computer, sagen die Autoren, hätten unsere Gesellschaft revolutioniert, aber nicht unser Vokabular. Sie meinen, „dass die Computertechnologie auf jeder Menge Analogien zu altmodischen Dingen aufbaut, und diese Analogien sind so stark, dass man ein perfekt realistisches Szenario entwerfen kann, aus dem nicht einmal ansatzweise hervorgeht, zu welchem Jahrhundert es gehört“. Die Computer seien „auf unsere vertrauten Kategorien aufgepfropft“ worden. Das kann man so nur sehen, wenn man der Analogie vertraut. Im Fall des Computers ist aber mit der altmodischen Büroanmutung ein Moment des Scheins gegeben, der jedweder Analyse offen ist (Soziologie, Marketing, Psychologie), den als Analogie zu bezeichnen aber wahrscheinlich in die einzig verfügbare Irre führt. Wer nur die Analogie zwischen den Erscheinungen sieht, der sieht nicht, was anders ist, wenn etwas im Gewand der Ähnlichkeit wiederkehrt, dem entgeht die Verwandlung und Verkleidung der Dinge im Schein der Ähnlichkeit. Es gibt eben nicht nur den Analogiezauber, den Hofstadter und Sander nicht müde werden auszubreiten, es gibt auch die trügerische Seite der Analogie, über die hier Hunderte von Seiten lang geschwiegen wird.

Wie schon in „Gödel Escher Bach“ hat Hofstadter auch diesmal wieder ein „unendliches goldenes Band“ aus Selbstbezüglichkeiten ausgerollt, an dessen Ende man nur dann schlauer ist, wenn man akzeptiert, dass eben dies die Lektion war. ■

Douglas Hofstadter, Emmanuel Sander

Die Analogie – Das Herz des Denkens

Aus dem Englischen von Susanne Held. 784 S., geb., € 36 (Klett-Cotta Verlag, Stuttgart)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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