Der Besuch des Millionärs

Fesselnd: Hila Blums Roman über die alltäglichen Probleme einer modernen Familie.

Der Plot von Hila Blums Roman ist eigentlich wenig spektakulär: Besuch kündigt sich zu Beginn an und trifft gegen Ende ein. Und es ist nicht so, dass dieser Besuch für die Protagonisten, Nili und Nataniel Schoenfeler aus Tel Aviv, einen Grund zu gröberer Beunruhigung darstellen würde. Sie haben ihn zwar nicht erwartet, und es trifft auch zu, dass er ihnen eine recht unangenehme Situation aus den Zeiten ihrer frühen Liebe in Erinnerung ruft. Es besteht jedoch nicht die geringste Gefahr, dass durch ihn längst Vergangenes wieder aufbrechen oder dass sich über Jahre hin sorgfältig Verdrängtes seinen Weg an die Oberfläche bahnen könnte.

Kurz gesagt ist jener Besuch alles andere als der Nährboden für eine jener dramatisch sich zuspitzenden Handlungen, aus denen der Stoff der Weltliteratur zumeist gewoben ist. Er hätte es sein können, ist es aber nicht! Denn von der großen Dramatik des Lebens bleiben die Handlungsträger des Romans insgesamt weitgehend verschont. Sie hören von ihr im Radio und im Fernsehen, wo sie als Parallelhandlung den Grundtenor bildet, von dem sich das Leben der Schoenfelers gleichsam wie von einer Folie abhebt.

Es ist „der Sommer der nicht so fernen Katastrophen“. Die Katastrophen sind nicht fern, aber sie sind eben auch nicht da, zumindest was Nili und Nataniel angeht. Umso bewundernswerter ist es, mit welch Bravour es Hila Blum gelungen ist, einen Roman zu komponieren, der von der ersten bis zur letzten Minute fesselt, der seinen Leser nicht loslässt, ihn nicht freigibt, auch nach der letzten Seite nicht.

Hila Blum hat zweierlei: ein feines Ohr für die oft kaum vernehmbaren Zwischentöne, und sie hat einen durchdringenden Blick für die vermeintlich kleinen Dinge, die unser aller Leben ausmachen. Ihre Kunst besteht darin, sie wahrzunehmen und aufzudecken, und zwar als das, was sie sind: der Niederschlag archaischer und sich immer aufs Neue wiederholender Vorgänge im „gelebten Leben“.

Eifersucht und Hass

Es bedarf nicht unbedingt der großen, tragischen Helden als Projektionsfläche für die Katharsis. Familienprobleme haben nicht nur die Atriden. Erkenntnis kann sich auch einstellen, wenn man mit den alltäglichen Problemen einer „ganz normalen Familie“ von nebenan konfrontiert wird. Die Schoenfelers sind so eine Familie. Ihre Erfolge und ihr Scheitern, ihr Gegen- und Miteinander sind in die Rahmenhandlung des sich ankündigenden und schließlich auch eintreffenden Besuchs eingebettet.

Die Autorin erzählt von Eifersucht und Hass, von enttäuschten Hoffnungen und Wünschen, aber auch von Liebe und von dem letztlich doch alles bestimmenden Gefühl einer Zusammengehörigkeit – diversen Schicksalsschlägen zum Trotz. Sie erzählt mit einem Wort vom Auf und Ab des Lebens. Und Hila Blum ist eine Meisterin des Erzählens. Besonders beeindruckend sind die Sprachbilder, die sie kreiert, etwa dann, wenn sie von Erinnerungen spricht: „Die Frage ist, wie man am besten anfängt. Die Erinnerungen liegen zu nahe am Abgrund, eine unvorsichtige Bewegung, und sie fallen herunter.“

„Der Besuch“ ist die Geschichte einer modernen Familie, die durch den Rekurs auf das Allgemeingültige, das stets im Hintergrund mitgedacht wird, paradigmatischen Charakter erhält. Der Debütroman der israelischen Schriftstellerin gehört nicht zu dem „zwielichtigen Bereich zwischen Lesefutter und Literatur“, er ist ein Stück Literatur. ■

Hila Blum

Der Besuch

Roman. Aus dem Amerikanischen von Mirjam Pressler. 416S., geb., €23,70 (Berlin Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2014)

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