Was ich lese

Schriftsteller, geboren 1937 in Amstetten

[ Foto: Marko Lipuš ]

Warum nicht, um dem dir ja nahegelegten „zur Zeit“ auszuweichen, kurz darlegen, was (worin) du immer wieder liest? Jedenfalls wirst du von dem WAS nicht in Versuchung geführt, unter Absehen von konkreten Beispielen deinen literarischenGeschmack ganz allgemein (was nie guttut) zu charakterisieren: „Was ich lese, hathöchsten Ansprüchen zu genügen, weshalb ich prinzipiell nur die Meisterwerke der großen Dichter und Denker lese, und wären die in der Sprache Homers zu Papyrus gebracht worden.“ („Der Intellekt eines Theoretischen Physikers wird hinreichend strapaziert, weshalb es sein Privatgemüt nach ärgster Schundliteratur verlangt.“) Nicht mehr wird es dir gegeben sein, dich mit dem dir bestenfalls kursorisch bekannten „Wilhelm Meister“ vertraut zu machen, und sollte dir das noch vor wenigen Jahren mit dem „Nachsommer“ (Einladung zu einem Stifter-Symposion) glückhaft gelungen sein.

Täglich also lese ich, nicht umsonst, sondern mit Gewinn, jenes Gratisblatt, das so mancher mit stolzem Geschmack trotz zweier sympathischer Kolumnen wohl nur mit der Kohlenzange anfasst – einigermaßen vor angemaßter Ironie bewahrt und einem Mich-lustig-Machen über das, worüber sich jeder Halbtrottel lustig macht, wird mir da so mancher Kurzbericht zum Anlass einer ernsthaften Erörterung in meinem Tagebuch, etwa über die heikle Logik der Sprache, über die eine und andere Metapher, der, meist aufgrund der Nähe zur Grundbedeutung („Schaut man hinter die Kulissen des modernen Theaters“), komische Züge nicht erspart bleiben. Ein gar nicht leichtes Unterfangen zuletzt, leicht begründbar Missglücktes sophistisch zu verteidigen! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

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