Worte sind Taten

Paul Watzlawick war ein Apostel menschlicher Kommunikation. Unter seiner Federführung begründete die Palo-Alto-Gruppe die systemische Familientherapie. Die Biografie von Andrea Köhler-Ludescher wird dieser Bedeutung nicht annähernd gerecht.

Wer war noch nicht darüber bestürzt, welch abgrundtiefes Missverstehen es in nahen Beziehungen gibt? Das Pfingstgleichnis feiert ein Sprachwunder, ein kommunikatives Wunder, das die babylonische Verwirrung aufhebt. Die Menschen, vom Heiligen Geist erfüllt, werden bestürzt, „denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden“ (Apostelgeschichte 2,6). Die Botschaft ist: Der Fluch von Babel ist durch das Erlernen der Sprache der anderen überwindbar. Die Vielfalt der Sprachen ist als kommunikative Ressource zu verstehen, die unterschiedliche Sinn- und Bedeutungsgebung ermöglicht. Wer etwas zu sagen hat – wer verstandenwerden will –, lernt und spricht die Sprache seiner Zuhörer, spricht anschlussfähig.

Das beherrschte Paul Watzlawick wie kaum ein anderer, und das machte ihn zu einem Apostel menschlicher Kommunikation. Er konnte wunderbar in Gleichnissen reden und mit geistreichen Geschichten Schwieriges auf den Punkt bringen. Er scheute sich auch nicht, komplexe Sachverhalte so zu vereinfachen, dass er Gefahr lief, missverstanden zu werden. Die Kritik, die er sich dafür einhandelte, konnte er gut aushalten, mit der seines Freundes und Mentors, Gregory Bateson, hatte er zu kämpfen.

Andrea Köhler-Ludescher hat sich auf die Spuren ihres Großonkels begeben, Zeitzeugen und ehemalige Kolleginnen und Kollegen interviewt und – schöne – Fotos und Briefe gesammelt. Sie möchte mit dem vorliegenden Buch nicht eine, sondern die Biografie schreiben. Mit dem Untertitel, „Die Entdeckung des gegenwärtigen Augenblicks“,formuliert sie ein Lebensthema Watzlawicks. Er wollte in späteren Lebensjahren einen Roman zu diesem Thema schreiben. Bis zum vorletzten Kapitel löst die Biografie das Versprechen des Untertitels ganz gut ein, verspielt das Erreichte jedoch am Ende, weil sie versucht, das Mystische auszusprechen.

Paul, geboren 1927 in Villach, als zweites Kind von Emy und Paul Watzlawick; seine Schwester, Maria, ist zwei Jahre älter. Durch die Mutter, eine Italienerin, lernt er früh Italienisch, der Blick durch verschiedene Brillen auf die Welt prägt ihn, und er entwickelt sein besonderes Faible für Sprache und Kommunikation. Und wie war er als Mensch? Ein Cousin berichtet, Paul habe ihn, wenn er zu Vorträgen in Wien war, besucht und einmal erzählt, „dass er gern einen Löwenschweif hätte. Und er führt uns auch vor, wie er sich den Schweif elegant um den Arm legen würde. Das war sehr lustig, alle haben wir sehr gelacht, auch Paul.“ Man bemerkt in dieser reizenden Geschichte die Selbstironie – die er sich ein Leben lang, auch noch in schwerer Krankheit, bewahrt hat –, so wie seine pantomimischen Fähigkeiten, die gelegentlich auch in seinen Vorträgen aufgeblitzt sind. War er doch in seinen Anfängen in Palo Alto Forschungsbeauftragter für Körpersprache. Dass Worte Taten sind und wie man mit Sprache Wirklichkeit erzeugt, konnte Paul früh erfahren.

Ebenso wie der Vater hatte Sohn Paul mit den Nazis nichts am Hut. Als 1939 Propagandaplakate verbreitet wurden, „Nationalsozialismus oder bolschewistisches Chaos“, überklebt Paul – mit zwölf Jahren – mit Freunden die alte Alternative durch eine neue: „Erdäpfel oder Kartoffeln“. Die „Illusion der Alternativen“ nannte er später Pseudoalternativen, die eine Wahlmöglichkeit suggerieren, die nicht existiert und die in seinem Millionenseller „Anleitung zum Unglücklichsein“ eine besondere Rolle spielen sollte.

Die Bedeutung des Augenblicks

Nach einem Sprachen- und Philosophiestudium (1946 bis 1949, Venedig) machte er eine Ausbildung zum Psychoanalytiker (C.-G.-Jung-Institut) und versuchte, in Indien (ein halbes Jahr) mit Psychotherapie Geld zu verdienen. Dabei lernte er seinen spirituellen Lehrer, Jiddu Krishnamurti, und die Bedeutung des gegenwärtigen Augenblicks kennen. Nach einer Professur für Psychotherapie in El Salvador kommt er 1960 an ein Institut (Mental Research Institute, Kalifornien), an dem man „Geisteskrankheiten“ neu begreifen und andere Formen von Psychotherapie entwickeln wollte.

In einer von Aufbruchsstimmung, kreativer Experimentierfreude und Neugier getragenen Atmosphäre findet Watzlawick seine wissenschaftliche Heimat. Die Palo-Alto-Gruppe (unter anderen Virginia Satir, Jay Haley, Don Jackson, John Weakland) wird unter seiner Mitwirkung zur einflussreichsten Gruppe neuerer Psychotherapie und begründet die systemische Familientherapie. 1967 erscheint das erste und wissenschaftlich wichtigste Buch von Watzlawick und anderen: „Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien“. Es ist sehr von Gregory Bateson, dem Spiritus Rector der Palo-Alto-Gruppe, beeinflusst. Wie funktioniert die Kommunikation zwischen den Koryphäen der Kommunikation? Seinenwichtigsten Mentor, den englischen Anthropologen Gregory Bateson, lernte Watzlawick in Palo Alto kennen. Ihre Beziehung und Kommunikation wird für die Entwicklung der Palo-Alto-Gruppe weichenstellend.

An dieser Stelle erreicht die Biografie die kommunikationspsychologisch spannendste Stelle. Als Watzlawick im Mai 1966 das Manuskript seines ersten Buchs an Bateson mit der Bitte schickt, ein Vorwort zu schreiben, erhält er – laut Autorin – „eine vernichtende Antwort“. Sie zitiert einzelne Sätze aus Batesons Antwortbrief: „Ideen sollen nicht entstellt werden. Ich bin sehr bekümmert darüber, dass (sie) ohne ihre Verwurzelung und Verästelungen in der Anthropologie und der biologischen Evolution erscheinen werden.“ Und: „Ich denke nicht, dass ich ein Vorwort schreiben kann. Ich denke nicht, dass die Ideen schon für ein breites Publikum popularisiert werden können.“

Worin liegt das „Vernichtende“? Die Autorin erwähnt ein klärendes Antwortschreiben, in dem er auf „alle Anmerkungen im Detail“ eingegangen sei, zitiert aber nur einen Satz daraus, der die Wichtigkeit seiner Freundschaft zu Bateson betont, anstatt beide Briefe zur Gänze abzudrucken, damit sich der Leser sein eigenes Bild machen kann. Warum und wozu hier selektiert wird, bleibt rätselhaft. Wie sagte noch Watzlawick? Man kann nicht nicht kommunizieren!

Weiters wimmelt es in diesem Buch von Fehlern. Da werden nicht nur Begriffe wie pathologisch und pathogen verwechselt, es werden auch essenzielle Daten des kulturellen Gedächtnisses durcheinandergeworfen. Von einem Lektorat, das seine Autorin vor groben Irrtümern schützt, keine Spur. Fast zwei Drittel werden aus veröffentlichten Schriften Watzlawicks und Interviews mit ihm wörtlich zitiert. Wenn die Autorin paraphrasiert, ist es häufig unklar oder falsch. Dieses Buch kann nicht verständlich machen, worin Watzlawicks theoretischer und therapeutischer Beitrag zur systemtherapeutischen Revolution besteht. Er hätte sich eine weit bessere Biografie verdient. ■

Andrea Köhler-Ludescher

Paul Watzlawick – die Biografie

Die Entdeckung des gegenwärtigen Augenblicks. 338 S., 34 Abb., geb., €30,80 (Hans Huber Verlag, Bern)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

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