Rebellion im Freizeitpark

Rasant und komisch: Bei Anita Augustin suchen ein paar junge Leute Arbeit und laufen Amok gegen die Bespaßungsindustrie. Achtung: Satire.

Schön ist es, auf der Welt zu sein. Durch den Herbstwald im Mühlviertel wandern, die Nachsommersonne Veltliner trinkend in der Wachau genießen oder Stunden in der Wellness-Oase eines Luxushotels verbringen. In den Romanen der 1970 in Klagenfurt geborenen Anita Augustin ist von solcher Lebensfreude nichts zu spüren. Die angenehmen Seiten unseres Daseins bleiben darin zugeschlagen, und wem es nicht gutgeht, dem geht es nach deren Lektüre nicht besser. Schon in ihrem Debüt, „Der Zwerg reinigt den Kittel“, fuhr AnitaAugustin alle erzählerischen Geschütze auf, über die sie verfügt. Mit einem Furor, der an Kraft verliert, wenn man ihn mit der begütigenden Genrebezeichnung „Satire“ versieht, zeichnete sie darin den aberwitzigen Alltag in einem Altersheim, das auf den schönen Namen „Residenz“ hört.

Auch in Augustins neuem Roman, „Alles Amok“, kehrt diese Seniorenhölle wieder. Die an Demenz erkrankte Mutter des Ich-Erzählers Jakob Kupka siecht in der „Residenz“ vor sich hin und sieht ihrem baldigen Tod entgegen – das zumindest erhofft sich ihr Sohn, der mit seiner Mutter nur brieflich über Krankenschwester Olga verkehrt und ihr suggeriert, als leitender Angestellter ein wunderbar behütetes Familienleben zu führen. Nichts davon ist wahr: Jakob ist ein Mann von Mitte 30, der – so sein langsam enthülltes Geheimnis – gar kein Mann im herkömmlichen Sinn ist. Er ist arbeitslos, kann die Miete nicht bezahlen, ernährt sich von Parmaschinken und Milch, die er im Supermarkt hinter dem Rücken der Verkäufer verschlingt, versucht sich ein paar Euro als „Profidemonstrant“ zu verdienen und dieAvancen seiner Nachbarin, der Bodystretchtrainerin Babsi, abzuwehren. Ab und zu trifft er Freunde, die es kaum leichter als er haben: die Sicherheitsfachkraft Sigi, den Flaschensammler Paul, den nordkoreanischen Möchtegerndichter Pak Dong-bang, der einen „Umschnallbrutzler“ mit Thüringer Bratwürsten vor sich her trägt und an einem Langpoem feilt, oder Herbert, der im Horrormodeladen „HA&EM“ arbeitet und unter einer durch die Chemikalien in den Bekleidungsstücken ausgelösten Kontaktallergie leidet.

Anita Augustin Romans gliedert sich in zwei Teile, genauer: Er zerfällt in zwei Teile. Zu Anfang verfolgen wir Jakob, wie er sich buchen lässt, um Demonstrationen anzureichern, die sich gegen alle Übel dieser Welt richten. Von Herbert bekleidungsmäßig hervorragend ausstaffiert, wendet er sich gegen kommende Kriege oder unterstützt mit schneidenden Parolen wie „Kinder kommen durch Frauenpower“ eine Hebammenkundgebung. Das ist, wie immer bei Anita Augustin, rasant und komisch erzählt, geprägt von großem Gespür für gesellschaftliche Abgründe. Splatterfiguren tummeln sich in diesem Buch an allen Ecken und Enden, und wenn die Leidgeprüften dann in der Kneipe Loch Nass zusammenkommen, fühlt man sich fast wie bei Elfriede Jelinek oder Sibylle Berg.

Der zweite Romanteil freilich hat höhere Ambitionen. Als ausgesonderte Außenseiter suchen Jakob, Sigi, Babsi & Co. Arbeit und erliegen den Verlockungen eines gigantischen Freizeitparks namens „Paradies“, in dem während der Hochsaison 5000 billige Arbeitskräfte zusammengekarrt werden, um ein sich langweilendes Publikum mit skurrilen Attraktionen aller Art zu vergnügen. Von der „Wohlfühlfee“ Ramona, deren Herz eine „Art Führerbunker“ ist – „Keiner kommt rein, und drin ist alles tot“ – allmorgendlich animiert, wandeln Jakob und die Seinen als Plüschtiere durch den Park, lassen sich artig fotografieren und ertränken abends ihren Kummer – Alkohol ist im Wohnheim streng verboten – mit gestreckten Desinfektionsmitteln.

Sicher, auch in diesen Passagen, die das Grauen einer Bespaßungsindustrie nur wenig zuspitzen, zeigt Anita Augustin, was sie kann, und genau so sicher ist es, dass dieser Teil Längen aufweist und auf eine erwartbare Katastrophe, auf eine Rebellion im Paradies, zuläuft. Spätestens als das Publikum bei einer Bühnenshow aus dem Ruder läuft und seinen sadistischen Fantasien nachgibt, setzen die Saisonkräfte zur Sabotage an. Je überdrehter „Alles Amok“ am Ende einherkommt, umso harmloser wirken freilich die Eskalationen.

So bringt sich Anita Augustin letztlich um den Effekt ihres so herrlich wilden und kühnen Romans, leider. Und Jakobs Mutter? Stirbt sie endlich den ersehnten Tod? Es scheint so, als würde ihrem Sohn nicht einmal diese Freude zuteil. Da immerhin ist dieser Amokroman wieder ganz bei sich. ■

Anita Augustin

Alles Amok

Roman. 334 S., geb., €17,50 (Ullstein
Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)

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