Von Gewinnern und Verlierern des Krieges

Erstmals in Buchform publiziert: Gina Kaus' Zeitroman „Die Front des Lebens“ aus dem Jahr 1928. Mit psychologischem Feingefühl.

Veronika Hofeneder hat sich um das Werk von Gina Kaus schon verdient gemacht. Nun ist es ihr gelungen, dass 86 Jahre nach seinem Fortsetzungsabdruck in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ die erste Buchausgabe von Gina Kaus' Roman „Die Front des Lebens“ vorliegt. Zu danken ist auch dem Metroverlag, immerhin sind schon einige Anläufe, diesen Roman zu edieren, am Mut der Verlage gescheitert.

Gina Kaus zählt nicht mehr wirklich zu den Vergessenen. Die literarhistorische Geringschätzung gegenüber den Zeitromanen der 1920er-Jahre betrifft beide Geschlechter. Das ist eine Folge der unausgewogenen Balance zwischen der Vorstellung einer modernen, neusachlichen Erzählhaltung – deren Existenz für die österreichische Literatur generell gern bestritten wird – und dem Verdacht ihrer Nähe zur Trivialität.

Der Roman besteht aus 30 Kapiteln, deren Enden im Zeitungsdruck fast nie mit den Einschnitten der 81 Fortsetzungen zusammenfielen. Schon der Titel gibt an, was der Roman erzählt: Der Epochenbruch durch den Ersten Weltkrieg und die Revolution von 1918 teilen das Leben aller Figuren in ein radikales Davor und Danach. Die Kriegsfolgen verlängern sich in jedes Einzelleben, niemand kann hier an die Vorkriegsgewohnheiten erfolgreich anschließen.

Für manche ist das ein Gewinn, etwa für den Kriegslieferanten Stiaßny. Er arrangiert sich nach dem Zerfall der Monarchie rasch mit dem tschechischen Nachfolgestaat und arbeitet sich mit Valutaspekulationen in die erste Reihe der Neureichen empor. Oder für die Ärztin Martha, die das Elend der Kriegskrüppel zu gesellschaftlichem Engagement motiviert. Damit definiert sie den Sinn ihres Lebens neu und verwindet so relativ unbeschadet auch die enttäuschte Liebe zu ihrem entscheidungsschwachen Kollegen Lehnert.

Die meisten Figuren aber sind Verlierer, das hat auch mit dem Milieu zu tun, das hier im Zentrum steht. Die großbürgerlich verwitwete Renate Ebenstein kämpft nicht nur verzweifelt mit dem Altern, sondern auch erfolglos gegen den ökonomischen Ruin durch Inflation und radikal veränderte Formen des Geschäftsgebarens. Als einstige Aufsteigerin ist ihre Angst vor dem Absturz besonders mit Panik besetzt und sie versucht krampfhaft und am Weltgeschehen wenig interessiert, den Status quo zu verteidigen.

Ihre Tochter Maria, die als talentierte Malerin ins Leben startete, verliert über der gesellschaftlichen Zerrissenheit den Glauben an den Sinn ihrer Arbeit wie ihres Lebens und flüchtet in den Vergnügungstaumel der Zeit. Das tut auch ihr Bruder Edgar, der 1918 nach kurzem Fronteinsatz zerstört zurückkommt. Er vermag sich in der neuen Realität am allerwenigsten zurechtzufinden. Entspringt Marias Perspektivlosigkeit einer inneren Entscheidung, kann er nicht anders. In seiner Entschlusslosigkeit ähnelt Edgar durchaus Dr. Lehnert; der ist seit vielen Jahren der Geliebte von Edgars Mutter Renate, und schafft es aus Mitleid mit der alternden Frau nicht, sich von ihr zu trennen, obwohl er seine tüchtige Kollegin Martha liebt.

Edgar aber steht eigentlich am Beginn seines Lebens; er soll studieren, die Familienfinanzen regeln und Geld verdienen, aber er kann sich zu nichts motivieren. Schon der Gedanke an irgendein zielgerichtetes Handeln ist ihm unerträglich. „Was war zu erreichen in einer Welt, in der nichts feststand, von der man nicht einmal wusste, welche Werte sie achtete, ob sie überhaupt irgendwelche Werte achtete?“ Packt er einmal zögerlich etwas an, wie den Verkauf eines Zinshauses, oder versucht er gar sein Glück an der Börse, endet es im Desaster.

Völlig überfordert findet Edgar eine Art Heimat in einem Frontkämpferverband – und scheitert dann sogar in diesem Milieu tragisch. Er hat die verbalen Kampagnen gegen die Schamlosigkeit der Valutaspekulanten ernst genommen und will gegen Stiaßny als Symbolfigur der Unmoral vorgehen – doch es ist Stiaßny selbst, der die rechtsradikale Organisation im Geheimen finanziert. Und es ist dann auch der 65-jährige Stiaßny, dem sich seine Schwester Maria zur Rettung der Familienfinanzen als Frau anbietet, damit den üblichen Töchterschacher selbst organisiert und zugleich ihre Mutter, die Stiaßnys Werbung auf sich bezogen hatte, in die Generationenschranken verweist.

„Die Front des Lebens“ ist ein packender Zeitroman, der einen sachlichen Zugriff auf die Nachkriegsrealität mit psychologischem Feingefühl für die charakterlichen Prägungen sowie emotionalen Verwicklungen der Figuren verbindet. Eine direkte Fortschreibung der Thematik ist dann Gina Kaus' 1934 erschienener Roman „Die Schwestern Kleh“, der vor dem Hintergrund der „Front des Lebens“ neu gelesen werden muss. ■

Gina Kaus

Die Front des Lebens

Hrsg. von Veronika Hofeneder. Mit einem Vorwort von Marlene Streeruwitz. 380 S., geb., €24,90 (Metroverlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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