Dr. Tod und der Manager

Der eine Himmlers willfährigster Helfer, der andere KZ-Arzt in Mauthausen: Über Odilo Globocnik und Aribert Heimliegen Biografien vor und geben schwer erträgliche Einblicke in den Alltag der Massenmörder.

In den südöstlichen Randzonen der Doppelmonarchie fanden deutschnationaler Rassismus und Ausrottungsfantasien nach dem Zusammenbruchdes Vielvölkerreichs einen fruchtbaren Boden vor. Alois Brunner, einer der wichtigsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns, stammteaus Rohrbrunn bei Fürstenfeld. Der SS-Offizier und illegale Gauleiter des Burgenlands, Tobias Portschy, war die treibende Kraft bei der Vernichtung von Roma und Sinti. Er kam aus dem Bezirk Oberwart. Aribert Heim, der berüchtigte SS-Arzt im KZ Mauthausen („Dr. Tod“), wuchs in Radkersburg auf.

Die südlichste Landeshauptstadt war der Sammelpunkt der jungen Deutschnationalen. So schloss der spätere SS-Arzt Siegbert Ramsauer, der im KZ Loibl, einem Außenlager des KZs Mauthausen, Häftlinge sadistischen Experimenten unterwarf, sich ebenso früh der Klagenfurter Nazi-Bewegung wie der Cafétierssohn Ernst Lerch an, der später in Ostpolen an Massenhinrichtungen beteiligt war. Ihnen gesellten sich der spätere Kärntner Gauleiter Friedrich Rainer und Reinhold von Mohrenschildt bei, ein Schlossnachbar der Bockelmanns (so lautete Udo Jürgens bürgerlicher Name, sein Namenspate war Reinhold Mohrenschildts Bruder Udo).

Als unumstrittener Anführer der hoffnungsvollen Truppe galt der Klagenfurter Bauingenieur Odilo Globocnik, dessen Vorfahren aus dem Loibl-Städtchen Tržič/Neumarktl stammten. Bald bildeten die fünf eine verschworene Truppe von fanatischen Nationalsozialisten. Zwei neue Biografien beschäftigen sich nun mit Aribert Heim, dem Mauthausener KZ-Arzt, und mit „Himmlers grausamstem Kriegskomplizen“, Odilo Globocnik. Beide Arbeiten breiten bisher unbekannte Stränge im Leben der beiden Kriegsverbrecher aus.

Odilo Globocnik wird 1904 in Triest als Sohn eines ehemaligen Offiziers und einer aus dem Banat stammenden Mutter geboren. Den wunderlichen Vornamen verdankt er der damals weit verbreiteten Germanentümelei: Odilo war ein Bayernherzog des frühen achten Jahrhunderts. Nach der Volksschule, in der Odilo Globocnik Italienisch gelernt hat – was ihm ab September 1943 die Arbeit des Tötens im Friaul erleichtern sollte–, wechselt der Bub an die angesehene Militärunterrealschule in St.Pölten und erweist sich als guter und ehrgeiziger Schüler.

Der Zusammenbruch der Monarchie vereitelt Schulabschluss und Offizierskarriere, worauf der 15-Jährige auf die Staatsgewerbeschule für Maschinenbau in Klagenfurt wechselt. In diese Zeit fällt schon der Abwehrkampf gegen die in Südkärnten eingedrungenen Truppen des SHS-Staats. Der halbwüchsige Odilo leistet Botendienste für die Abwehrkämpfer, die auch von einigen hundert Wiener Arbeitern – unter ihnen der junge Franz Jonas – unterstützt werden, kehrt dann an die Schule zurück und maturiert 1923 mit Auszeichnung.

Ein prominenter Abwehrkämpfer, Oberstleutnant außer Dienst Emil Michner aus Krumpendorf, verhilft ihm zu einer Bauleiterstelle beim Kraftwerksbau in Frantschach. Michner gefällt die politisch stramme Haltung des 18-Jährigen, der wiederum findet Gefallen an Michners 16-jähriger Tochter, Grete, Wochen später wird Verlobung gefeiert. In den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren herrschen in Kärnten bittere Not undMassenarbeitslosigkeit, unzählige Bauernhöfe fallen an die Banken, bis auch diese Ende der 1920er-Jahre untergehen. Die Nazis verzeichnen massenhaften Zulauf, die Inszenierungen der Aufmärsche und die überwältigende Zustimmung der Jugend lassen keinen Zweifel daran, dass es sich hier um die kommende Kraft handelt.

Gefördert von Heinrich Himmler

Der junge Globocnik wird zu einem wichtigen Aktivisten. Den Behörden bleiben die Aktivitäten nicht verborgen. Nach dem Juliputsch 1934 (in Kärnten, besonders in Wolfsberg, wird fünf Tage gekämpft) inhaftiert, kommt er schon nach wenigen Tagen frei, weil namhafte Persönlichkeiten, die längst mit den Nazis kollaborieren, sich für ihn verwenden. Nicht zuletzt dank der frühen Förderung seines Gönners Heinrich Himmler ist Globocniks Aufstieg in der Partei und in der SS unaufhaltsam.

Selbst die Abberufung als allzu kleptomanischer Gauleiter von Wien (nach dem Einmarsch im März 38) schadet ihm nicht nachhaltig. Noch während des Polen-Kriegs beordert Himmler ihn im Rahmen der „Aktion Reinhard“ als SS- und Polizeiführer ins Generalgouvernement, nach Lublin. Aufgabeist die Ermordung aller Juden und Roma im Generalgouvernement, im deutsch besetzten Polen und in Teilen der Ukraine. Zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 kommen über zwei Millionen Menschen ums Leben, mehr als in Auschwitz.

Globocnik-Biograf Sachslehner schildert in schwer erträglicher Drastik über Dutzende Seiten das Wüten der Globocnik-Leute. An durchschnittlichen Tagen wurden mehrere hundert bis einige tausend Opfer erschossen, bei lebendigem Leib begraben, erschlagen oder verbrannt. Alte und gebrechliche Menschen werden in Spitälern und Altenheimen ermordet, jüdische Kinder mit dem Kopf gegen die Wände geschleudert, Babys noch in ihren Betten erschossen. Im Auftrag Himmlers lässt Globocnik drei ausschließliche Vernichtungslager, Belzec, Sobibór und Treblinka, errichten, in die täglich Züge fahren.

Im Sommer 1943 nimmt der Krieg im Osten nach Stalingrad und Kursk eine entscheidende Wendung. In Italien wird Mussolini kaltgestellt, die neue Regierung schließt einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Daraufhin lässt Hitler Italien von der Wehrmacht besetzen. Globocnik, dessen Mordwerk im Generalgouvernement getan ist, wird vom Reichsführer SS mit seinem Freund aus Klagenfurter Tagen, Gauleiter Rainer, nach Triest in Gang gesetzt. Er macht dort weiter, wo er in Polen aufgehört hat: Er organisiert Menschenhatz, Massenmord und Diebstahl in großem Stil. In Globocniks Schlepptau findet sich das gesamte im „Osteinsatz“ erprobte Team um Ernst Lerch, Georg Hanelt, Christian Wirth und Franz Stangl, den vormaligen Kommandanten des Vernichtungslagers Sobibór, sowie andere Klagenfurter SS-Männer namens Schleißner, Helletsberger, Sussitti, Wukowitz, Petritz, Egger und Bertl.

In den letzten Wochen vor dem Kriegsende ziehen Globocnik und seine Männer sich nach Kärnten zurück, ein Teil flüchtet auf die Möslacher Alm oberhalb des Weißensees. Dort werden sie von englischen Truppen aufgespürt und verhaftet. Globocnik entzieht sich mittels einer Zyankalikapsel der Verantwortung. Sein Leichnam wird in einer „Sautratten“ genannten Feuchtwiese bei Paternion an der Drau verscharrt. Möglicherweise war sein Selbstmord voreilig, denn die meisten „Kameraden“ aus seinem Umkreis überleben die Besatzungszeit und hatten wie Lerch oder Ramsauer noch ein langes und friedliches Leben als geachtete Bürger der Landeshauptstadt vor sich. Ermittlungen undAnklagen versandeten regelmäßig. Jährlich trafen die SS-Veteranen sich auf dem Ulrichsberg zum Meinungsaustausch und zur Beschwörung der alten Zeiten. Das Bundesheer stellte Musik und Verpflegung und sorgte für den Transport, Landeshauptmänner, Feuerwehrkommandanten, Bischöfe sprachen Grußworte.

Konnte der Globocnik-Biograf noch auf Vorarbeiten zurückgreifen, die er mit einer Fülle neuen Materials zu einem gut lesbaren Werk verbunden hat, verdanken die Autoren der Aribert-Heim-Biografie ihr Werk über den weltweit gesuchten SS-Arzt einem Zufall. Vor einigen Jahren tauchte in einem Kairoer Vorstadthotel ein verstaubter Koffer auf, in dem sich persönliche Unterlagen eines Mannes befanden, der seit 1962 unter falschem deutschen Namen in Kairo als angesehener Privatier mit Immobilienbesitz in Alexandria und in einem Touristenresort lebte.

Der Mann war Aribert Heim, ein ungewöhnlich groß gewachsener und gut aussehender Herr, Nichtraucher, Tenniscrack und Führungsspieler der Eishockeynationalmannschaft während seiner Zeit als SS-Arzt im KZ Mauthausen und danach. Nach dem Krieg lebte Heim unbehelligt mit Familie in Baden-Baden, praktizierte als Gynäkologe und erwarb ein ansehnliches Vermögen, das er unter anderem in einem großen Zinshaus in Berlin-Zehlendorf anlegte. Als Anfang der 1960er-Jahre wieder Kriegsverbrecherprozesse geführt wurden, setzte Heim sich via Marokko 1962 nach Ägypten ab, wo er dank seines Vermögens komfortabel leben konnte. Kairo war damals eine moderne, westlich orientierte Stadt; Mädchen trugen Mini, die City prunkte mit einem großstädtischen Nachtleben, Alkohol war an jeder Ecke zu haben. Heim war Antisemit und ein Feind Israels, das kam bei den Ägyptern gut an. Was er während des Kriegs gemacht hatte, interessierte nicht.

In Deutschland und Österreich erinnerten sich KZ-Häftlinge aber sehr wohl und strengten vergeblich Prozesse gegen Heim an, der ein fürchterliches „Steckenpferd“ pflegte. Er machte sich einen Spaß daraus, gesunden jüdischen Männern mit makellosem Gebiss den Kopf abzutrennen, ihn zu kochen und als Totenschädel auf den Schreibtischen der Kollegen aufzustellen. Benzininfusionen ins Herz und medizinische Experimente zählten ebenfalls zum seinem Repertoire. Heims Sohn, Rüdiger, der den alternden Vater mehrfach in Kairo besucht und ihn bis zu dessen Tod im Jahr 1992 gepflegt hat, kann sich heute noch schwer mit der Wahrheit abfinden.

Aus dem Nachlass geht hervor, dass Heim sich mit fortschreitendem Alter und dem Verlust der meisten Geldquellen zunehmend für den Islam interessierte, zu dem er schließlich 1980 in Kairos größter Moschee konvertierte, und den Namen Tarek Hussein Farid annahm. In einem Vorstadthotel, das zur Hälfte ihm gehörte, fand er Familienanschluss und Ersatzkinder. Heim interessierte sich auch für die Geschichte Israels, er verbrachte einen Gutteil seiner Zeit damit, Redaktionen der halben Welt unter Tarnnamen mit Dossiers über eine angebliche Abstammung der Juden vom Turkvolk der Chasaren zu belästigen. Wären die Juden turkstämmig, hätten sie kein Recht auf Palästina. In den 1970ern war diese Theorie unter Antisemiten verbreitet.

Geschmacklose Kapitelüberschriften

Bei beiden Büchern stört gelegentlich die Boulevardisierung des an Grausamkeiten nicht überbietbaren Stoffes. Kapitelüberschriften wie „Das kommt von den dreckigen Juden!“ (das Kapitel beschreibt die Massenmorde in Ghettos und Arbeitslagern), „Aktion Hühnerfarm“ (dies handelt vom Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen) oder „Es kommt wieder Salat!“ (die Todeszüge in die Vernichtungslager) in der Globocnik-Biografie sind geschmacklos und stoßen ebenso wie die Inszenierung der Biografie Aribert Heims in Häppchen (das Buch hat 57 Kapitel) sowie eine Aufstellung der „dramatis personae“ ab, als handle es sich um das Drehbuch zu einer billigen TV-Serie.

Indes ändern diese Einwände nichts daran, dass beide Bücher neues und wesentliches Material über die grausamsten Seiten der NS-Herrschaft vorlegen: die Globocnik-Biografie über die jede Vorstellung sprengenden Dimensionen des „Alltags“ der Massenmorde in den ostpolnischen Mord- und Todeszonen mit einem erschreckend hohen Anteil an Kärntner Tätern und die Biografie des sadistischen SS-Arztes Aribert Heim, die das Wissen um Fluchtwege von NS-Verbrechern nach 1945 erweitert. ■

Johannes Sachslehner

Zwei Millionen ham'ma erledigt

Odilo Globocnik – Hitlers Manager des Todes. 368 S., geb., €24,99 (Styria Verlag, Graz)

Nicholas Kulish, Souad Mekhennet

Dr. Tod
Die lange Jagd nach dem meistgesuchten NS-Verbrecher. 350 S., 31 Abb., geb., €23,60 (C.H. Beck Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.