Die Heilige Dreisteifigkeit

Peter Strasser hat ein Anstandsbuch verfasst: „Lust“ bereitet zumindest beim Lesen Wonne.

Philosophen, das sind doch verinnerlichte Wesen, die in verwegenen Sätzen über das Sein und das Nichts und über die Welt der Tatsachen oder Dinge dazwischen alle Zeit nachdenken, ohne verständlich zu werden oder gar (die Götter bewahren uns!) zu einem Telos zu kommen. Sie sind auch jene Beamte an unseren Hochschulen, nach denen eine Fakultät benannt wird, damit zumindest der Anschein gewahrt bleibe, die Geisteswissenschaften hätten noch gesellschaftliche Bedeutung.

Nein, Philosophen sind manchmal auch Lebenshelfer mit Stil. Peter Strasser, Professor am Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik der Karl-Franzens-Universität zu Graz, ist zudem ein origineller Denker. Er hat eben den Staatspreis für Kulturpublizistik erhalten. Leser dieser Zeitung kennen ihn als langjährigen Kolumnisten. Seine Versuche über „Die vorletzten Dinge“ machen geistvoll mit ethischen, metaphysischen oder ontologischen Problemen vertraut, aus der Perspektive einer Grazer „Häuslichkeitsgemeinschaft“, die dem Zeitgeist so entschlossen Widerstand leistet wie Asterix den Römern.

Wer inzwischen unter Entzug litt, weil es Strassers wöchentliche Gemmen seit fast zwei Jahren nur noch in Gewesenheit gibt, für den ist sein neues Buch Labsal: „Lust. Ein Anstandsbuch“ sieht aus wie eine Streitschrift, doch auf 96 Seiten tummeln sich die vertraute Menagerie und der beschränkte Freundeskreis des Erzählers, der sich am liebsten in seinem „Beamtenwohnwinkel“ verkriecht, wo Vollmops Paul auf einem Samtkissen thront, die Meerschweinchen Fritzi & Fratzi verlässlich dösen und Freund Leibnitz hereinplatzt, der die beste aller Welten verkündet, kühn ignorierend, dass die Haustür des Denkers dreifach verschlossen war. Wenn es aber ernst wird mit den Neurosen, zieht sich das leidende Ich in den begehbaren Medikamentenschrank zurück, auf sein Notbett.

Oralorgasmen und Hodenzangen

Was wird diesmal bei Strasser verhandelt? In zwölf Lektionen umkreist er Eros und Sexus in allerlei zeitgeistigen Spielformen, er ist umgeben von geilen Greisen, die durch Viagra zu ewiger Gier verdammt sind, passiven Studenten, die lieber auf derWiese des Campus herummachen würden, als seiner Hauptvorlesung im Spezialgebiet „Existenzialontologie der Lust“ zu lauschen. Schwerpunktfach dieses fiktiven Philosophen in autochthoner Mark: „Metaphysik und Lebenskunst“.

Auf diesem Gebiet kann man Strasser beim Wort nehmen. Er vermittelt komplexe Zusammenhänge in Kurzform. Diese zwölf Essays haben wohl mehr Gehalt als manch voluminöses Kompendium. Sie sind mit scharfer Beobachtungsgabe für das Gemeine geschrieben und brillant formuliert. Flüchtig erledigt werden gepiercte Zungenküsse, multiple Oralorgasmen und Hodenzangen. Dieses Vademecum der Lust ist bei aller Drastik (Kapitel neun etwa wird griffig mit „Die Heilige Dreisteifigkeit“ überschrieben) auch ein Erbauungsbüchlein der reinsten moralischen Sorte, in das ganz diskret Mitspieler wie Nietzsche, Leibniz, Kant, Mill, Platon oder das Hohelied hineingeschmuggelt werden. Strasser führt den Leser behutsam in den „Globuligarten der Lüste“, beobachtet das animalische Treiben aus der kritischen Distanz des Hypochonders und stellt große Fragen: „Sind wir uns entglitten? Sind wir verloren?“ Nein, denn das Größte ist die Liebe: „Zu Hause wartete mein Paul auf mich, wie immer sein Sachertörtchen mit den lustigen Schlagobersöhrchen zwischen den Pfoten...“ Welch tiefe, tiefe Leselust! ■

Peter Strasser

Lust

Ein Anstandsbuch. 96 S., brosch., €14,90 (Braumüller Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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