Eine Halskette aus New York

Einfühlsam: Iris Wolffs Roman über Siebenbürger Sachsen.

Siebenbürgen, Hermannstadt 1943: Die ersten Freiwilligen melden sich in den Krieg, die deutsche Volksgruppe will sich erweisen, ahnungslos, dass das der Anfang vom Ende ihrer jahrhundertealten Kultur in Rumänien sein wird. Seit die Nationalsozialisten Europa beherrschen, bestimmt auch in den deutsch besiedelten Gebieten Rumäniens der Nationalismus in Form der „Volksgruppenführung“: „das Gefühl, Teil eines großen, ruhmreichen Ganzen zu sein“. Nicht alle sind davon infiziert, am allerwenigsten Ella, die Erzählerin dieses Romans, 14 Jahre alt, und auch nicht ihre Großmutter, „Ursula-Oma“, das resolute Oberhaupt der Familie.

Der Onkel zieht pflichtbewusst ins Feld, Ellas Cousin kann es nicht erwarten, erwachsen zu werden – und wie bei vielen in der Sachsengemeinde wird auch der Druck auf Ellas Vater immer größer. Er will nicht als Drückeberger gelten, also meldet er sich auch. Nicht schwer vorauszusehen, dass er nicht mehr nach Hause kommen wird, dabei ist Ellas Mutter gerade schwanger.

Vor diesem Hintergrund erzählt Iris Wolff, 1977 selbst in Hermannstadt geboren, eine ganz zarte und nur auf den ersten Blick „frauliche“ Geschichte, die Freundschaft zweier Mädchen. Eines Tages bekommt Ella eine neue Mitschülerin: Harriet, die sich von Anfang an von der Klassengemeinschaft absondert. Das weckt umso mehr Ellas Interesse, mehr noch ihre Zuneigung. Die tiefe Freundschaft, die sich bald entwickelt, bleibt jedoch von einem Geheimnis umschattet, das sich schließlich in der Mitte des Romans offenbart, als Harriet von einer Mitschülerin angegriffen wird: „Weißt du, was wir hier gar nicht mögen? – Streunende Hunde, Zigeuner und Juden.“

Nie wieder so fühlen wie davor

Von da an tritt Harriet – ihre früh verstorbene Mutter war Jüdin – wieder in den Hintergrund. Die beiden Freundinnen treffen sich nicht mehr so oft: Ella ist jetzt viel mit Leo unterwegs, ihrer ersten Liebe, und im Sommer 1944 erfährt sie vom Tod ihres Vaters. „Du wirst dich nie wieder fühlen“, sagt Harriet, „wie in der Zeit, als dein Vater noch lebte.“ Von nun an trennen die Geschichtsläufe, bald marschieren die Russen ein, die Siebenbürger Sachsen werden rechtlos.

Und Harriet? Eines Tages ist ihre Familie verschwunden, man hört, dass sie versucht haben, nach Istanbul zu flüchten. Jahre später kommt ein wortloser Gruß aus New York, eine Halskette mit einem Anhänger, Harriets Initiale. Aber von ihr selbst wird Ella nie wieder hören. „Unsere Geschichte“, sagt sie, „wurde nie zu Ende erzählt“, und bei diesem offenen Schluss bleibt es. Auch Ellas Geschichte bleibt offen, der Exodus der Rumäniendeutschen wird nur angedeutet.

Von Anfang an ist es eine Geschichte der Frauen, und das betrifft nicht nur die Freundschaft der beiden Mädchen, da ist auch die familiäre Dominanz der „Ursula-Oma“, die einfach vor nichts zurückschreckt, die den völkischen Sachsen ebenso ihre Meinung sagt wie den kommunistisch-nationalistischen Rumänen, die sich nun als Herren aufspielen.

Vielleicht muss ein solches Buch auchvon einer Frau geschrieben werden. Iris Wolff ist eine neue Stimme in der immer noch sehr lebendigen rumäniendeutschen Literatur. Einfühlsam und traditionsbestimmt. Das klassische Erzählen – das natürlich konventionelles Erzählen ist – beherrscht die Autorin perfekt. ■


Iris Wolff liest beim Literaturfestival
Salzburg am 29. Mai, 16.30 Uhr, in der Galerie 5020, Residenzplatz 10, aus
ihrem Roman.

Iris Wolff

Leuchtende Schatten

Roman. 324 S., geb., €21 (Otto Müller Verlag, Salzburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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