An Batterien lutschen und kein Sex

Selbstreflexiv: Tex Rubinowitz schreibt mit „Irma“ einen Roman über sich selbst – oder auch nicht.

Facebook ist ein „Wartesaal für Idioten“. Das sagt der vielseitige Schriftsteller und Zeichner Tex Rubinowitz. Oder zumindest der gleichnamige Protagonist in Rubinowitz' Roman „Irma“, für dessen Anfang der reale Rubinowitz 2014 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten hat. Der fiktionale Rubinowitz übrigens ist ein vielseitiger Schriftsteller und Zeichner und teilt mit seinem Verfasser nicht nur den Namen, sondern auch das Geburtsjahr (1961) und zentrale biografische Stationen. Wie jene, dass beide seit 1984 in Wien leben, dort offenbar die Bekanntschaft der Litauerin Irma machen, die kein Interesse an Sex hat und mit Vorliebe an Batterien lutscht. Lang bleibt Irma nicht an Tex' Seite. Man verliert sich aus den Augen; so zeigt sich Tex 30Jahre später verwundert, als ihm jene Irma im Idiotenforum Facebook eine Freundschaftsanfrage schickt. Was ein hervorragender Anlass ist, das eigene Leben – oder was man dafür hält – Revue passieren zu lassen. Männer, die die 50 überschritten haben, neigen dazu, gerade in der Weltliteratur.

„Irma“ ist ein Roman, der so tut, als sei er ein sehr wahrer autobiografischer Bericht. Rubinowitz' Rubinowitz wächst in Lüneburg auf, fliegt von der Schule, jobbt in einer Joghurtfabrik, kaut gern rohe Leber, nimmt ein sehr kurzes Kunststudium auf, lernt, obwohl „nicht sehr sexualisiert“, mehrere Frauen unterschiedlichster Nationalitäten (keineswegs nur Litauerinnen) kennen, erwägt, sich der Bundeswehr durch einen Übertritt in die DDR zu entziehen, sieht davon ab, leistet freudig seinen Militärdienst im Marinefliegergeschwader, kommt herum (Hamburg, Dubrovnik, Moskau), interessiert sich gleichermaßen für die Sängerin Gitte, den Autor Rainald Goetz, die Schauspielerin Rossy de Palma und den Serienmörder Fritz Honka, geht zum Psychotherapeuten, übersiedelt, wie gehört, nach Wien, veröffentlicht manches, gewinnt überraschend einen Kurzgeschichtenpreis, erstellt, ehe Nick Hornby damit Aufsehen erregt hat, Listen aller Art.

Natürlich ist Tex Rubinowitz schlau genug, um zu wissen, dass das vermeintliche Authentische des autobiografischen Schreibens nicht mehr als eine gern geglaubte Chimäre ist. Mit allen postmodernen Wassern gewaschen und an die Metaromane eines Wolf Haas oder Tilman Rammstedt gemahnend, räsoniert der Text in vertrauter Manier darüber, ob „aufgeschriebenes Leben“ nicht immer „subjektive Interpretation, also Fälschung“, sei. Da es ein so schön verspielter Trick ist, darf auch Rubinowitz' Lektor nicht fehlen, der erzählerische Mittel anmahnt, sich gegen die eingeübten „mitteleleganten Identitätsmythen“ und „Immunisierungsstrategien“ seines Autors wendet.

Wer Freude an solchen Text-im-Text-Spielen hat, kommt in „Irma“ auf seine Kosten. Und wer gern einem Roman folgt, der– ohne zu anbiedernder Gefälligkeit zu neigen–einen Sinn für aberwitzige Szenerien hat, findet dafür reichlich Anschauungsmaterial. Denn wann zuvor hat man etwa davon gelesen, welche Geräusche nächtens entstehen, wenn sich „Fleischabfälle in Aspik“, auch Sülze genannt, langsam verfestigen?

So ist Rubinowitz' „Gefäß der Biografie“ angefüllt mit unvergesslichen Episoden und Gestalten, deren komische Effekte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie von einem dezenten melancholischen Ernst grundiert sind. Wann, so sinniert der Held, merkt man, dass die „Versprechungen des Lebens eigentlich nur dumpfe Geräusche waren“? So schön es ist, über die ersten Male im Leben – den ersten Kuss, die erste Platte, die erste Wespe in der Coladose – nachzusinnen, so wenig lässt sich leugnen, dass diese Angelpunkte nur „Halteschlaufen in dem Bus“ sind, der uns unweigerlich dem Tod näherbringt. Irgendwann nämlich ist das „uterusartige Busgeruckel“ zu Ende, und irgendwann kurz davor muss man, wenn man Rubinowitz heißt, sein Motto leben: „SDGA“ (Sich den Gegebenheiten anpassen).

So ist „Irma“ ein erfreulich sperriges, manchmal vielleicht zu selbstreflexives Buch, das die Gratwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und Komik ohne Abstürze hinter sich bringt. Keine schlechte Bilanz für einen Autor, der in seinem Schreiben nicht mehr als ein „larmoyantes Grundbrummen“ sieht und wenig Anstrengungen unternimmt, stilistische Eleganz an den Tag zu legen.

Ach ja, und was ist mit Irma, mit dieser Facebook-Wiedergängerin, mit dieser alten verblichenen Liebesgeschichte, die nur kurze Zeit währte? Wenn man das nur wüsste. ■

Tex Rubinowitz

Irma

Roman. Mit Zeichnungen von Max Müller. 240 S., geb., €19,50 (Rowohlt Verlag, Reinbek)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.