Schönheit, Fitness, Sexiness

Gleichberechtigung: alles paletti? „Das innere Korsett“ der Frauen, der Zwang zur Selbstoptimierung, ist enger geworden. Meinen Gabriela Häfner und Bärbel Kerber.

Befragt man heute Frauen, ob sie sich benachteiligt fühlen, sagt jede zweite Nein. Die Gleichberechtigung, so sind wir überzeugt, ist weitgehend verwirklicht. Die Frauenbeschäftigung steigt, der Frauenanteil in den Topetagen wächst, Quoten werden eingefordert und eingeführt. Es gibt Papamonate, Väterkarenz, Europas mächtigster Politiker ist eine Frau, und in den Schuldebatten macht man sich schon Sorgen über die bildungsbenachteiligten Buben. Das Blatt scheint sich gewendet zu haben.

Nein, sagen Gabriela Häfner und Bärbel Kerber in ihrem Buch „Das innere Korsett. Wie Frauen dazu erzogen werden, sich ausbremsen zu lassen“. Schaut man sich die realen Effekte dieser gefühlten Gleichberechtigung an, stellt man fest: Frauen preschen nicht vor, Frauen treten nicht auf der Stelle, Frauen fallen zurück. Etwa die Babyboomer-Generation. Sie war in Deutschland wie in Österreich die erste Frauengeneration, die ebenso gut ausgebildet worden ist wie ihre männlichen Peers. Und was hat sie daraus gemacht? 40 Prozent der westdeutschen Frauen, die zwischen 1962 und 1966 geboren wurden, so die Autorinnen, werden weniger als 600 Euro Rente bekommen. Ihre männlichen Altersgenossen hingegen dürfen mindestens mit dem Doppelten rechnen.

Frauen sind heute zwar gut beschäftigt. Aber in erster Linie mit schlecht bezahlten Teilzeitjobs und unbezahlter Hausarbeit. Je mehr Kinder ein Mann hat, desto höher sind seine Arbeitszeiten (und sein Verdienst), und je mehr Kinder eine Frau hat, desto niedriger ist beides. Bei den Akademikerinnen schaut es besser aus. Sie sind finanziell stärker abgesichert. Allerdings zu einem sehr hohen Preis. 30 Prozent der Frauen mit Universitätsabschluss bleiben kinderlos. Und „nebenbei“ nehmen für alle Frauen die Anforderungen an die Selbstoptimierung immer mehr zu. Schönheit, Fitness, Sexiness – in Würde altern war einmal.

Wer dieses Buch liest, denkt zweierlei: Genauso ist es! Und: Warum rebellieren wir nicht? Die beiden Autorinnen geben die Antwort schon im Titel. Frauen haben die Geschlechterstereotypen (wieder) verinnerlicht. Jede Frauengeneration aufs Neue. Immer noch wählen 60 Prozent der Mädchen typische Frauenberufe wie Friseurin, Kauffrau oder Sprechstundenhilfe, obwohl sie schon in der Schule in „Girls Days“ darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie damit geringen Verdienst und geringe Aufstiegsmöglichkeiten wählen. Und das Irritierende dabei ist: In den Ländern, die schon seit vielen Jahren Geld in die Mädchenförderung stecken, ist diese Bilanz noch schlechter als in Ländern wie Russland, Thailand, Polen oder der Türkei. Womit wir es hier zu tun haben, ist, so analysieren Kerber und Häfner, das Ergebnis einer „heimlichen“ Erziehung. Sie wirkt auf den verschiedensten Ebenen – von Schule und Elternhaus über Bücher, Mode, Medien, Film und Fernsehen. Und sie greift schon, bevor wir sprechen können.

Die beiden Journalistinnen haben eine beinahe erdrückende Fülle von Belegen für „heimliche Erziehung“ zusammengetragen, die aus selbstbewussten, naturwissenschaftlich und motorisch gleich begabten kleinen Mädchen Teenager machen, deren größte Sorge ist, ob sie einen modelmäßigen Thigh Gap (Hohlraum zwischen den Oberschenkeln) aufweisen können. Geschlechterstereotypen haben die gemeine Tendenz, sich wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu verhalten. Mädchen sind anders als Buben. Mädchen sind schlechter in Mathematik, haben ein schlechtes räumliches Vorstellungsgefühl, sind sportlich nicht so geschickt, aber einfühlsamer und sprachlich begabter. Das stimmt. Aber erst ab der Pubertät, also dem Zeitpunkt, ab dem es wichtig wird, ob man ein Mädchen ist oder ein Bub.

„Heimliche Erzieher“, so die Autorinnen, das sind die Mütter, die ihren Buben unbewusst mehr motorische Fähigkeiten zutrauen als den Mädchen, das sind Lehrpersonen, die unbewusst den Burschen zwei Drittel und den Mädchen nur ein Drittel Aufmerksamkeit schenken, das sind Spielzeughersteller, die ihre Mädchenserien mit einer pinkfarbenen Prinzessinnenwelt von Frisierkommode bis Muffinförmchen ausrüsten, und das sind Castingshows, die Mädchen beibringen, den eigenen Körper zu hassen, wenn er nicht den Modelnormen entspricht.

Gabriela Häfner und Bärbel Kerber haben eine kurzweilige und beeindruckende Zusammenfassung der Geschlechterstereotypenforschung verfasst, eine kompakte Zustandsbeschreibung der Frauengleichstellung, die weder selbstmitleidig noch larmoyant noch anklagend ist. Jeder Mann, der seine Tochter, Frau, Schwester, Mutter oder Arbeitskollegin besser verstehen möchte, sollte dieses Buch lesen. Und jede Frau auch. ■

Gabriela Häfner, Bärbel Kerber

Das innere Korsett

Wie Frauen dazu erzogen werden, sich ausbremsen zu lassen. 218 S., brosch., €15,40 (C. H. Beck Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)

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