Gleisfehler, Kontaktstörung

Isabella Straubs Roman über die Verbiegungen einer Erfolgsfrau.

Vom ersten Satz hängt alles ab.“ So eröffnet die Wienerin Isabella Straub ihren zweiten Roman, „Das Fest des Windrads“, undlegt damit gleich zwei falsche Fährten. Es ist keine erzähltheoretische Überlegung, und im Irrtum ist auch die Figur, die diesen Satz denkt. Sie heißt Greta, glaubt zur Abteilungsleiterin aufgestiegen zu sein und bastelt an ihrer Antrittsrede an ihre neuen Untergebenen – im Geist und im Zug. Der soll sie zur Messe in San Marino bringen, wo ihre Firma Medicalux die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Endoskopie präsentiert und ein Luxushotel sie erwartet.

Dass es für Greta weder den firmeneigenen BMW noch einen Flug gab, sondern bloß ein Eisenbahnticket, hätte ihr zu denken geben können, tat es aber nicht. Noch ist sie ganz Erfolgsfrau und mit ihrem Leben recht zufrieden. Privat hat sie es sich mit verheirateten Männern wohl eingerichtet, die „ihr Best-of-Programm“ abspulen und keine Ansprüche stellen.

Doch Greta hat ihre Aufstiegsrechnung in doppelter Hinsicht ohne den Wirt gemacht: Die Firma hat sie schon lange zum Abschuss freigegeben, und die Eisenbahngesellschaft leidet an einer Variante des Herzmanovsky-Orlando-Syndroms. Hier „versickern“ die Züge nicht hinter Leoben, sondern stranden gern in der Nähe von Schloissing. „Ein Gleisfehler. Eine Kontaktschwäche.“

Nicht weit davon liegt Oed, wo Jurek wohnt, ein sympathischer Verlierertyp. Vater einer adipösen Scheidungswaise, die samt zukünftigem Schwiegersohn plötzlich bei ihm auftaucht. Dieser Jurek erledigt als Taxifahrer Botendienste aller Art und wird unfreiwillig zum Retter Gretas. Er bringt sie zunächst in die Pension Bergruh, die so heißt, weil man sich hier inmitten der Flachlandöde von den aggressiven Bergpanoramen erholen kann.

Auch New York begann als Kaff

Natürlich will Greta so rasch wie möglich weg und weiter Richtung San Marino, und natürlich schafft sie es nicht – zuerst physisch, dann psychisch oder umgekehrt. Was Isabella Straub daraus strickt, ist der Clash der Lebensformen zwischen Metropole und Provinz. Dabei sind die Figuren eigentlich alle eher städtisch grundiert, wie das ja auch in der Realität zunehmend zu sein pflegt. Jurek ist nach seinem Philosophiestudium in das Elternhaus zurückgekehrt, die Naturapostelin Hannelore, die Greta dann bei sich aufnimmt, ist eine Stadtflüchterin, die zu spätbemerkt hat, dass es „das Land“ als Gegenpol zur städtischen Anonymität nicht mehr gibt.

Vielleicht kippen die Figuren hier mitunter etwas stärker als in Straubs Debütroman „Südbalkon“ ins Klischeehafte, die überdrehte Möchtegern-Karrierefrau Greta sowieso, aber auch der lokale „Unternehmer des Jahres“, der gerade in Konkurs geht, oder Joe, der immer dickerwird, seit ihm seine aus dem Fernostversandkatalog bestellte Ehefrau abhanden gekommen ist. Basis aber ist auch hier die Kritik an den Verbiegungen, die die gesellschaftliche Verfasstheit den Einzelnen aufzwingt und sie so empfänglich macht für die Geschäftsidee der Firma Tychoon, die vorgibt, gegen Schicksalsschläge und Lebensunglück aller Art zu versichern. An Witz und Einfällen fehlt es nicht, und viele haben mehr Tiefgang, als man auf den ersten Blick vermutet. Dass die Straßen des Kaffs durchnummeriert sind wie in New York, ist ein Provisorium, das sich seit der amerikanischen Besatzung gehalten hat, so wie das Windrad, das beim finalen Dorffest abgefackelt wird. ■

Isabella Straub

Das Fest des Windrads

Roman. 352 S., geb., € 19,60 (Blumenbar Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.