Angstlust

Ein bisschen bi, ein bisschen Exhibitionist. Was Sie schon immer über Stefan Zweigs Sexualleben wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten. Über Ulrich Weinzierls akribische Intim-Biografie „Stefan Zweigs brennendes Geheimnis“.

Man muss kein Voyeur sein, um sich für das Sexualleben berühmter Menschen zu interessieren. Bedauerlich ist zweifellos, dass es bis heute keine entsprechenden Studien über Georg Friedrich Händel, Fjodor Michailowitsch Dostojewski oder Maria Callas gibt, um nur ein paar zufällig ausgewählte Personen zu nennen. Nun aber gibt es einen Erfolg zu melden, denn ein Fall aus der endlosen Liste konnte erhellt werden. Wer etwas über das Thema „Stefan Zweig & Sex“ wissen will, dem geht Ulrich Weinzierl zur Hand. Der Wiener Journalist und Autor, der mit seinen exzellenten Studien über Polgar, Hofmannsthal und Schnitzler viel Anerkennung gefunden hat, wagt sich diesmal auf heißes Terrain. Den vieldeutigen Titel „Stefan Zweigs brennendes Geheimnis“ borgt er sich beim Subjekt seiner Untersuchung aus – wobei Zweigs Erzählung in dem Buch leider keine Rolle spielt. Der zutreffendere Titel des Buches aber ist: „Was Sie schon immer über Stefan Zweigs Sexualleben wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“.

Weinzierl reiht unermüdlich Zitat an Zitat, Episode an Episode, trotzdem ist das Buch gut lesbar. Man erfährt wirklich vieles zum Thema: An welchem Tag, in welchem Ort hatte Zweig zum ersten Mal mit Friderike von Winternitz, seiner späteren Ehefrau, das, was der Autor „Sexualverkehr“ nennt? Antwort: 26. November 1912, Lübeck, Hotel „Stadt Hamburg“. Fehlt nur noch die Uhrzeit und die Zimmernummer. Stimmt es, dass Zweigs Pariser Freundin Marcelle von ihm ein Kind hatte? Nein, Stefan Zweig zeugte mit ihr zwar ein Kind, es wäre – falls männlichen Geschlechts – Octave genannt worden, aber Marcelle entschloss sich zur Abtreibung. Kann man sagen, dass Zweig bisexuell war? Ja, denn nicht nur die Anzahl von schwulen Freunden ist auffällig, es gab auch kleinere homosexuelle Episoden in Zweigs Leben. Stimmt, was in den Biografien als Gerücht zu lesen ist, dass der Autor in jungen Jahren auch als Exhibitionist aufgetreten ist? Ja, das ist richtig, er hat mit „Angstlust“ (Lustgewinn plus entsprechend große Angst, erwischt/verhaftet zu werden) einige Entblößungsszenen inszeniert, sowohl im Liechtenstein- als auch im Schönbrunner Park.

Diese und viele weitere Informationen liefert uns Weinzierls Buch. Bekannte Geschichten, gemischte Gefühle: Die biografische Forschung kennt fast alle diese mehr oder weniger brennenden Geheimnisse, aber noch niemand hat die Materie mit so akribischem Fleiß geordnet und in so pointierter Weise vorgetragen. Natürlich geht es Weinzierl mit seiner Intim-Biografie nicht darum, Zweig einen Liebesdienst zu erweisen. Aber seit seinem 1992 veröffentlichten Bändchen „Triumph und Tragik des Stefan Zweig“, einer nahezu lückenlosen Sammlung sämtlicher Gemeinheiten, die jemals über Zweig geschrieben wurden, und an der sich so mancher Zweig-Verächter gütlich getan hat, ist bekannt, dass es sich hier offenbar um eine libidinöse Verstrickung handelt. Nur so ist es zu erklären, dass wir nun eine zweite Sammlung heikler Stellen präsentiert bekommen.

Im ersten Kapitel wird die Geschichte, wie sich Friderike von Winternitz und Stefan Zweig kennengelernt haben, vor allem, wie zielstrebig diese Frau vorgegangen ist, aufs Neue erzählt. Weinzierl hat es dann noch auf das unschöne Ende dieser Liebesgeschichte abgesehen, die 15 Salzburger Ehejahre werden hingegen äußerst knapp skizziert. Wie für die Biografen vor ihm entzündet sich Weinzierls Motivation an den Widersprüchen, die sich auftun, wenn man Zweigs Briefe und Tagebücher jenen Auskünften gegenüberstellt, die Friderike in ihren Büchern nach 1945 veröffentlicht hat. Dieses neueste Porträt liest sich dann wie eine „Sternstunde der Niedertracht“. Wir sehen Friderike als überaus ehrgeizige, ja gerissene Frau, die sich ihren Stefan „gekrallt“ hat. Und nicht loslässt, bis zu ihrem Tod im Jahr 1971. Die literarischen Werke der Zweig-Gattin spielen eine wesentliche Rolle, deren Kitsch Weinzierl genüsslich vor uns ausbreitet. Immerhin räumt er an einer Stelle ein, es stehe außer Zweifel, „dass es Phasen intimster Nähe zwischen beiden gab“.

Paradox ist, wenn der Verfasser beklagt, Stefan Zweigs zweite Ehefrau, Lotte, würde in den Biografien zu kurz kommen, und er über diese eminent wichtige und glückliche Beziehung selbst kein Wort verliert.

Wird Zweigs heterosexuelle Befindlichkeit im ersten Kapitel skizziert, so widmet sich das zweite logischerweise der Homosexualität. Auch hier geht das Buch nicht thesengeleitet, sondern additiv vor. Ja, Zweig war auch ein wenig schwul, wenn auch nur ein bisschen, denn er gehörte, wie Weinzierl einräumt, zweifellos nicht zur „Gilde der Homosexuellen“. Dieser Abschnitt des Buches ist deswegen bemerkenswert, weil einige der bisher nur schemenhaft auftauchenden Figuren in Zweigs Freundeskreis kenntlich werden, so etwa Zweigs schwule Freunde Georg Busse-Palma, Erwin Rieger, Hans Müller-Einigen oder Erich Ebermayer. Besonders gelungen kann man die Passage über Klaus Mann bezeichnen.

Das dritte Kapitel erörtert Zweigs unglückliche Rolle als Exhibitionist. Dazu treten Freunde wie Felix Braun, Benno Geiger auf die Szene. Lohnen sich für dieses in Hinblick auf das Lebenswerk wahrlich periphere Thema tatsächlich 60 Seiten? Merkwürdig, wie schon beim zweiten Kapitel, das abrupte Ende. War womöglich ein literaturwissenschaftliches oder kulturhistorisches Finale geplant gewesen? Ja, es wäre durchaus fruchtbar gewesen, wenn Zweigs literarisches Werk und Themen wie Europa, Politik und Judentum eine stärkere Beachtung gefunden hätten. Schade auch, dass sich der psychoanalytisch geschulte Autor ein Sujet wie Zweigs lebenslange Vatersuche entgehen lässt.

Die Diskussion über den Autor und sein Werk neu anzuregen, das war 2008 bei der Gründung des „Stefan Zweig Centre“ an der Universität Salzburg eine der Aufgaben. Man kann also von Glück reden, dass sich Ulrich Weinzierl erneut an dieser Diskussion beteiligt. Zurückgelehnt können wir nun der Debatte entgegensehen, die dieses Buch ohne Zweifel auslösen wird. ■

Ulrich Weinzierl

Stefan Zweigs brennendes Geheimnis

288 S., geb., € 20,50 (Zsolnay Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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