Was schon die Oma wusste

Männerchronologie, kunstvoll geschreddert: Monique Schwitter, heuer beim Bachmann-Wettlesen bis zuletzt als Favoritin gehandelt, verbindet in ihrem Roman „Eins im Andern“ Tiefgründigkeit und Amüsement.

Die Liebe sucht man sich nicht aus“, hat einst die Großmutter zur Erzählerin gesagt. Ein banaler Satz, aber leitmotivisch goldrichtig für eine Geschichte der Lieben, genau genommen deren zwölf. Zwölf Männer, wie die zwölf Apostel, und dementsprechend heißen sie auch so: „Am Anfang stand Petrus, mit ihm hat alles begonnen, er hat mich zu Andreas geführt. Die Geschichte könnte hier enden.“ Aber nach Andreas geht es natürlich weiter, wir befinden uns schließlich erst auf Seite 46.

Dort stellt die Erzählerin Monique Schwitter gleich auch ihre Konstruktion infrage: Sind es wirklich zwölf? „Wahrscheinlich nicht. Obwohl: Wie ich zähle, hängt davon ab, was ich erzähle.“ Am Ende steht ja doch die Fiktion drüber, und am Ende steht auch der eigene Mann – er heißt Philipp und nimmt in der „Männerchronologie“ die Nummer fünf ein –, und eigentlich („Eins aber ist sicher“), wie auch immer gezählt und was auch immer erzählt wird, soll er der Letzte sein: „Kein Mann nach meinem Mann. Punkt.“

Hier wird eine fast barock-komplexe Geschichte erzählt. Eine junge Frau in Hamburg, Schriftstellerin, mit dem Theater verbunden, verheiratet, zwei Kinder, schreibt ein Buch und arbeitet dabei ihre Männerbeziehungen ab. Auslöser ist das Internet: Eines Abends googelt sie nach ihrer ersten Liebe und muss erfahren, dass der Mann schon fünf Jahre tot ist: Er hat sich aus dem Fenster gestürzt. Von da an ist Petrus („Die erste Liebe wird man nicht los“) wieder in ihrem Leben, eigentlich: Petrus und die anderen; sie bestimmen den Lebensalltag, die Arbeit am Roman, die Gedanken und Träume, wie das eben so ist, wenn plötzlich ein alter Film wieder abläuft und sich über die Gegenwart legt.

Und wie dieser Film abläuft, das ist erzählerisch sehr überzeugend gemacht, wenngleich die Konstruktion selbst, der Rahmen dazu, im Symbolgehalt wenig einsichtig scheint: Wozu braucht eine Erzählerin die Zwölf-Apostel-Folie, um die Geschichte ihrer Männer zu erzählen? Es gibt immer eine Reihenfolge, „eins geht ins andere über, eine Liebe in die andere“, „Mann für Mann“. Dass diese Männer wie die Apostel „Gesandte des Glaubens und der Liebe“ seien – so will es uns der Klappentext weismachen –, ist nur nicht so leicht nachvollziehbar, jedenfalls zwingend ist das Gruppenbild vom Abendmahl nicht, schon gar nicht, dass die Liebe zum Fall fürs Passionsspiel wird. Es erklärt ohnehin nicht, was das ist, die Liebe, warum sie kommt und geht – sonst brauchte man ja auch die Literatur nicht.

Immerhin geht Schwitter an diese Frage so unbekümmert wie nur möglich heran, das ist das große Plus ihres Romans. Sie erzählt aufgeweckt und entspannt zugleich, spielt gekonnt mit den Wirklichkeiten des eigenen Lebens, ohne dass sich die neugierige Frage stellt, wie viel davon autobiografisch ist. Allzu deutlich kreuzt sich der biografische Weg der Autorin mit den Lebensstationen der Erzählerin, ob wir uns kapitelweise nun in Zürich, Hamburg, Salzburg oder Graz aufhalten. Aber bei guter Literatur ist das unerheblich, erst recht, wie die Stationen der Liebe (die man sich nicht aussuchen kann) nun im Einzelnen heißen.

Die Liebe geht einfach, sie geht irgendwohin, auch wenn man am Ende nicht weiß: „Wohin geht sie, wenn sie geht?“ Im Nachhinein wird hier auch „eine ungeliebte, eigentlich längst vernichtete, geschredderte Geschichte“ erzählt, „deren Fetzen und Schnipsel sich zusammenrotten, überlagern, aufbäumen – und sich erneut zu hässlichen Fratzen und Erscheinungen fügen“. Und darauf kommt es bei guter Literatur immer an: auf das gekonnte Zusammenfügen und Neuerfinden.

Einwenden könnte man, dass die den zwölf Männern nachgebildeten Kapitel nicht immer das Niveau halten können, manchmal hat man gar den Eindruck, der Text dünnt ein wenig aus – um am Ende, ohne dass man es gleich merkt, in eine Tiefgründigkeit zu münden, die einen wieder erstaunt. Wie die Rahmenhandlung Schritt für Schritt mit den Männergeschichten verbunden wird, ist gekonnt, es geschieht unaufdringlich und beiläufig und daher umso wirksamer. Dabei erweist sich die gegenwärtige Lebenssituation der Erzählerin als nicht minder problematisch: Der Mann, ein notorischer Spieler, hat sich, vielmehr die Familie, hoch verschuldet. Sie selbst wiederum stagniert in ihrer Arbeit, schreibt stattdessen Artikel für Szenemagazine und unterrichtet „schulschwache Siebzehnjährige“.

Das ganze bisherige Leben hat sich als rastloser, mitunter ratloser Weg erwiesen: „Neue Stadt, neuer Mann, neues Glück. Es funktioniert nicht“, muss im Nachhinein lapidar gesagt werden. Und dann kommt dieser Film, die Vergangenheit, und die Stimme der Großmutter im Ohr, wie ein Synchrontext, denn die Liebe sucht man sich so wenig aus wie das Leben. Wie sinnvoll ist es dann, in dieser Form darüber zu reflektieren, müsste sich die Erzählerin fragen, die jedoch auch darin konsequent bleibt: „Ich schreibe dieses Buch weiter und mein Leben fort. Ich es, es mich?“ Leben und Literatur: eins im andern?

Am Ende setzt sich die Erzählerin in den Zug und fährt nach Zürich, in die Stadt ihrer Jugend. Dort macht sie sich nicht nur auf Petrus' Spur, sie besucht Simon, damals Teil einer Ménage à trois, sie besucht das Grab der Großmutter und sie taucht in die Kindheit und die Erinnerung an den früh verstorbenen Bruder ein. „Ich habe gehen gelernt“, lautet die – ebenso banale – Erkenntnis, die auch dem Leser sagen möchte: Ja, so geht das Leben. Und die Literatur darüber ist traurig und witzig zugleich.

In Klagenfurt hat Monique Schwitter beim diesjährigen Bachmann-Wettlesen eines der zwölf Kapitel dieses Romans vorgetragen – und für Begeisterung in der Jury gesorgt. Erstaunlicherweise hat sich diese nicht in einen Preis ummünzen lassen, obwohl ihr Text sogar als „sehr, sehr schräg“ gelobt wurde: Diese Literatur sei „frech“, hieß es von österreichischer Seite, und habe eine „Schnauze“. Nun, derlei Urteile mögen einer angestrebten Wirkung vor der Kamera geschuldet sein. Und wohl auch der Art, wie die Autorin ihren Text vortrug. Wenn man sich dann, in Ruhe, ins Buch vertieft, wird man sich zu solcher Etikettierung nicht mehr hinreißen lassen. Denn dieses Buch ist weder schräg noch frech, sondern leichtfüßig, amüsant und gleichzeitig fast unauffällig tiefsinnig geschrieben. Was man gern von mehr Büchern würde behaupten können. ■


Monique Schwitters Roman „Eins im Andern“ steht sowohl auf der Shortlist zum Deutschen als auch zum Schweizer Buchpreis. Die Autorin wird am 18. November um 19 Uhr im Literaturhaus in Graz, Elisabethstraße 30, und am 26. November in Wien um 19 Uhr in der Alten Schmiede, Schönlaterngasse 9, aus ihrem Roman lesen.

Monique Schwitter

Eins im Andern

Roman. 232 S., geb., € 19 (Droschl Verlag, Graz)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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