Kackt in die Ecke und fliegt drum herum

Mit rebellischem Gestus: Kat Kaufmanns Roman „Superposition“. Eine ungewöhnliche Mischung aus Liebesgeschichte und Großstadtmärchen.

Kat Kaufmanns Roman „Superposition“ erklärt vor Beginn, dass in ihm alles anders ist. „Und der Jude ist nicht reich. Und Russe ist nicht kalt. Und Berlin ist nicht Berlin.“ Das alles klingt ein bisschen rotzig, ein bisschen trotzig, ein bisschen rebellisch und ein bisschen kokett und nimmt als Aperçu den Tenor des Romans vorweg.

Erzählt wird in flackernden Bilder aus der Gegenwart der Jazzmusikerin Izy Lewin, Tochter jüdischer Einwanderer aus Russland und möglicherweise eine Art Alter Ego der Autorin. Die junge Frau durchstreift Berlin, das ihr einmal fremd, einmal vertraut erscheint und bis ins allerletzte Klischee das Pop-up- und Partymekka darstellt, mit seinem Underground, den zuweilen kuriosen, oft unterschiedlichen Weltgegenden entstammenden Leuten, umweht von einer selbstverliebten Aura der Distanzlosigkeit.

Die Erzählerin pflegt diese Aura, als hätte sie sie erfunden. In schnoddriger, ebenso grobschlächtiger wie zärtlicher Attitüde durchstreift sie ihren Beruf, ihre Freundschaften, ihre Bettgeschichten, ihre Familie, ihren Status als russische Jüdin mit einem deutschen Pass. „Wir sind das Extra in diesem Land.“ Sie kokettiert mit ihrer Herkunft, und manchmal endlich lässt sie die Koketterie einfach sein und wird durchlässiger, nichtmehr so „cool“, durchaus verletzlich, ehrlicher, ohne das affige Geplänkel. In solchen kurzen Passagen wird das Buch interessant. Dann erinnert sie sich, reflektiert, sucht nachZusammenhängen, wo es keine Zusammenhänge zu geben scheint.

Der kleine Roman passt gut in die Zeit, auch, wenn er kaum für sie geschrieben, eher aus ihr heraus geschrieben ist und die Ich-Erzählerin sich mehr und mehr aus der Gegenwart schreibt, hinein in ihre Liebesgeschichte mit ihrem innigen Vertrauten, Geliebten und mit einer anderen (deutschen) Frau verheirateten Freund, ebenfalls jüdischer Exrusse, Timur Hertz, der Izy liebevoll Malysch nennt, kleiner Kerl. Um ihn und ihre Leidenschaft zittert Izy, vergisst alles um sich herum, selbst die so sehr geliebte Familie, die sich seit der gemeinsamen Emigration zusammenrottet, die pflegebedürftige Großmutter, der Vater, die dauernd kochende Mutter, eine ehemalige Tänzerin, die ganz offensichtlich verliebt in ihre Tochter ist.

Das liest sich schön. Ungewöhnlich. Manchmal führen Sprüche ins Absurde.Auch ihre Entlarvung liest sich schön: Wie dumm sie sind, Sprüche wie „Russki, Russki, gar nicht dumm, kackt in die Ecke und fliegt drum herum“. Izys Echo auf diesen Schwachsinn ist ebenso scharfzüngig wie die Erinnerung an das sprachlose Kind berührend ist, das diesen Humbug einst schlucken musste. Eine interessante Innenschau Kat Kaufmanns,wenn auch eine, in der sich die Erzählerin abkapselt. Denn verstehen können nur die Eltern ihre Gefühle und natürlich Timur, der vertraute Geliebte, der immer mehr Raum in Izys Gedanken, ihren Tagen, ihren Träumen einnimmt, und sich irgendwann spurlos davonmacht, nicht ohne ihr ein gravierendes Andenken zu hinterlassen.

Kaufmanns Roman ist eine Mischung aus Liebesgeschichte und städtischem Roadmovie, gedreht als „Amerikanische Nacht“, ein wenig künstlich, im Ton überhitzt, aber dann leider doch zu bemüht, um wirklich heißzulaufen und zu explodieren. Stattdessen bleibt er in einem rebellischen Gestus stecken, gespickt mit Worthülsen wie „Fick“, „Arsch“, „Scheiß“, die ersetzen müssen, was der Autorin immer wieder abhandenkommt: le mot juste, ein treffendes Bild, ein genauerer Blick.

Kat Kaufmann hat ein Großstadtmärchen mit interessantem, leider zu wenig ausgeleuchtetem Hintergrund entworfen, ein bisschen sehnsüchtig, ein bisschen selbstsüchtig, ein bisschen melancholisch. Man hat das schon gelesen, nur hat man vergessen, wo. ■

Kat Kaufmann

Superposition

Roman. 272 S., geb., € 20,60 (Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)

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