Wo Flutlicht ist, ist auch Schatten

Philip Kerr beleuchtet die dunklen Seiten des Fußballs.

Während bei uns in der Zeit vonWeihnachten bis Dreikönigstag bestenfalls – wenn kein Schneemangel herrscht – im TV Ski gefahren, gelaufen und gesprungen wird und der Fußball Pause hat, geht in England – wie auch in Spanien – der Betrieb normal weiter. Das heißt: nicht ganz so normal – ist es doch die Zeit für Vereinswechsel mancher Spieler, für hektische Ein- und Verkäufe durch die Klubs. Und die Zeit, in der Philip Kerrs Kicker-Satire „Wintertransfer“ spielt. Der intellektuelle Ich-Erzähler Scott Manson ist Co-Trainer des fiktiven, dem ukrainischen Oligarchen Sokolnikow gehörenden Klubs London City unter dem portugiesischen Cheftrainer Zarco, der sehr dem früheren Chelsea-Trainerstar Mourinho ähnelt.

Dieser Zarco sieht seinen Job zynisch:„Fußball ist was für Barbaren. Die Menschheit braucht Hunderttausende von Jahren, um eine Zivilisation zu entwickeln, aber neunzig Minuten an einem Samstagnachmittag, und alles ist futsch.“

Nicht nur, dass drei Spiele in einer Woche zu bestreiten waren, der Standardtorwart schwer verletzt ist, Transfergerüchte für Unruhe sorgen, die Fans murren und zwischen Team und Zarco Eiszeit herrscht, nervt Manson. Sein alter Kumpel und Teamkollege Drennan hat sich erhängt, im klubeigenen Stadion „Dornenkrone“ ist insgeheim nächtens am Mittelkreis ein Grab ausgehoben worden, in dem sich ein gerahmtes Bild Zarcos findet, und später wird auch noch der Cheftrainer erschlagen aufgefunden.

Knifflige Sache: Der Portugiese Zarco war nicht nur bei Mannschaft und Fans verhasst, er hatte auch eine Affäre mit einer Gangsterbraut und hatte viele in seiner Nachbarschaft durch Bauarbeiten an seiner protzigen Villa geärgert. Das ergibt zahlreiche Verdächtige, aber die Polizei nimmt vorerst Scott Manson ins Visier, der Jahre zuvor zwar unschuldig, aber doch Monate im Gefängnis war. (Die Spielerkarriere war dann kaputt.) Da ist es reiner Selbstschutz, dass Manson das Verbrechen aufklären will. Was ihm mit der Zeit auch gelingt.

Ein Grab an der Mittellinie

Der 1956 in Edinburgh geborene Philip Kerr studierte Jus und Rechtsphilosophie und wandte sich später der Literatur zu. Seine Bücher kommen oft im Thriller- undKrimigewand einher, widmen sich aber gesellschaftlich und politisch wichtigen Themen. Für seine Romane „Das Wittgensteinprogramm“ und „Game Over“ erhielt er den Deutschen Krimi Preis. Hier ist die Kriminalstory die ideale Folie für die dunkle Seite des Balltretergewerbes, denn hier gilt die Devise: „Wo Flutlicht ist, gibt es auch Schatten.“

Das „patscherte Leben“ etwa früherer Stars nach Karriereende, ihr Absturz in Alkoholismus und Gewalt, ihre Selbstzerstörungstendenzen – man denke etwa an den Suizid des deutschen Nationaltorwarts Robert Enke im November 2009 –, Schwierigkeiten der Spieler nach einem Schwulen-Outing, ihre Sehnsucht nach längst verhalltem Applaus, ihre zwischen Role Model und menschlicher Ausschussware ab 35, 40 Jahren pendelnde Existenz, dazu die Hinterzimmerdeals, Bestechungen und die an den Wurzeln des Sports nagende Rolle des (zu) vielen Geldes. Das alles ist nicht so schön wie im Mai 2016 ein Euro-League-Finale mit Rapid Wien, ergibt aber ein sehr lesenswertes Buch, das noch dazu Entzugserscheinungen der Fans rund um den Jahreswechsel lindert. ■

Philip Kerr

Wintertransfer
Roman. Aus dem Englischen von Axel Merz. 426 S., geb., € 15,40 (Tropen Verlag, Stuttgart)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2016)

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