Madrid, Machos, Mädchen

Den Spanischen Bürgerkrieg, eine klassische Männergeschichte, alternativ anhand dreier Liebespaare zu erzählen, dokumentarisch genau, elegant geschrieben, emotional aufbereitet. Das gelingt Amanda Vaill mit „Hotel Florida“.

Nicht noch ein Buch über den Spanischen Bürgerkrieg!, stöhnte ich beim Entnehmen des Vorausexemplars aus dem Postfach. Laut einer Erhebung gibt es bereits an die 2400 literarische Texte zu diesem Thema. Dazu kommen die zahllosen historischen Arbeiten.

Indes, bereits nach wenigen Seiten Lektüre funkte es. Amanda Vaill, erfolgreiche Multimediapersönlichkeit aus New York, zerhackt den historischen Krieg 1936–39 in flott erzählte, von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit springende Anekdoten, um anhand dreier Paare Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg auszuloten. Unmengen von Archivalien, Memoiren, Tagebüchern und Briefen – in kurios umständlicher Zitierung – bevollmächtigen sie zu einem Narrativ, das den Leser nie langweilt.

Damit einander alle Dramatis Personae treffen können, braucht es einen zentralen Ort, das historische Hotel Florida in Madrid: ein imposanter architektonischer Kasten, „begehrt wegen seiner üppigen Warmwasservorräte“, wo man auch Granatenbeschuss übersteht. Dort mischen sich die Journalisten mit Politikern, Kommissaren, Kriegstouristen, Adabeis, französischen und russischen Piloten oder lokalen Tankkommandanten. Und mitgebrachte Konserven helfen gegen den Hunger. Es kreisen Flaschen mit Rotwein, Whiskey oder Gin, unter Beteiligung von flatterhaften „whores de combat“ – ein Hemingway-Bonmot.

In der antifaschistischen Verbrüderung ließ es sich in Madrid intensiv leben. Im Vordergrund stand freilich die Arbeit der schreibenden Korrespondenten, zu denen sich erstmals Fotografen gesellten. Im Ersten Weltkriegließ man Kameraleute nicht an die Front. Spaniens republikanische Revolution wollte sie genau dort haben, wofür verschwenderisch Autos mit Chauffeur und Permit zur Verfügung standen. 1936 gab es bereits leistungsfähige Fotoapparate im handlichen Format, was eine radikal neue Kriegsfotografie ermöglichte. Ihr Gott wurde der aus Ungarn stammende Robert Capa, dessen Charme seine attraktive deutsche Kollegin Gerda Taro – in Vaills Beschreibung „ein zierliches, grünäugiges Mädchen mit sorgfältig gezupften Augenbrauen, hennagefärbtem Haar, das sie jungenhaft kurzgeschnitten trug“ – betörte. Zusammen pausenlos die Schlacht suchend, bauten sie die Basis des modernen Fotojournalismus auf.

Diesem Liebespaar gelang auch das legendäre Foto des „fallenden Milizionärs“, das, so zumindest Amanda Vaill, fast zufällig entstand, als die beiden für brauchbare Kampffotos mit republikanischen Soldaten herumalberten – bis ein tödlicher Zufallsschuss fällt. Gerda Taro wird 1937 an der Teruel-Front inmitten einer waghalsigen Fotoserie sterben, aufgeschlitzt von einem in Panik flüchtenden republikanischen Panzer. Capa, untröstlich, bleibt allein zurück.

Keine flammende Liebe, sondern ein erotischer Wettkampf zweier monströser Egomanen um die eindringlichste Reportage gedieh zwischen Ernest Hemingway und Martha Gellhorn. Martha ließ sich nach der spanischen Episode sogar von Ernest ehelichen, als dritte Gattin, was freilich nur bis 1944 hielt, weil die mondäne, außerordentlich selbstbewusste Martha sich dem hinterwäldlerischen Macho nicht unterordnen wollte. Außerdem schrieb sie über Spaniens Landschaften einfühlsamer als Ernest. Aber während des Bürgerkriegs galten sie, zwischen Madrid, Paris oder Washington, als Idole des antifaschistischen Widerstands und verkörperten ein olympisches Paar bei internationalen Solidaritätsveranstaltungen (bei denen Martha gern ihr Silberfuchscape trug).

Wo aber bleibt die Wahrheit, im Krieg bekanntlich immer das erste Opfer? Dafür steht das dritte Paar, Arturo Barea, Autor und Pressezensor, und die aus Wien stammende Kommunistin Ilsa Kulcsar-Pollak, erst heimliche Geliebte des verheirateten Arturo, dann Gattin. Alle Korrespondenten im Hotel Florida hätten gern unzensuriert über den Kriegsverlauf gedrahtet, aber die Zensur bog alles, auch Rückschläge und Niederlagen, in Siege um. Daher flogen angloamerikanische Berichterstatter mit hohen Honoraren regelmäßig nach Paris, um zumindest Scheibchen der Wahrheit übermitteln zu können.

Schließlich geht es Amanda Vaill, streng antikommunistisch, auch um Verrat. In dessen Schatten wütet Stalin, der erbarmungslos Anarchisten, Trotzkisten, Saboteure der Fünften Kolonne und Zweifler eliminieren lässt. Nicht einmal Michail Kolzow entkam diesem Schicksal. Der linientreue Vertreter der „Prawda“ zitterte täglich bei dem Versuch, die Wirklichkeit der jeweils gültigen Parteilinie anzupassen. 1938 nach Moskau zurückbeordert, überschüttete Stalin ihn zuerst mit Ehrungen und ließ ihn sogar die offizielle Parteigeschichte vorstellen. Auf dem Heimweg verhafteten ihn NKWD-Agenten. In der Lubjanka, wo er über 14 Monate lang gefoltert und verhört wurde, klagten ihn die Schergen auf Spionage und Verrat an und liquidierten ihn per Genickschuss.

Wir wissen, dass die Republikaner den Krieg verloren haben. Es triumphierten die von Hitler und Mussolini unterstützten Franco-Faschisten. So bleibt unserer Autorin nur die Coda: Ein mürrischer Hemingway zog sich nach Havanna zurück und begann im Zimmer 511 (heute als Minimuseum erhalten) des Hotels Ambos Mundos endlich, seine Wahrheit zu schreiben, den Besteller „Wem die Stunde schlägt“.

Das Zensorenehepaar Arturo Barea und Ilsa (die laut Vaill seit den Februarkämpfen 1934 in Wien das potenziell tödliche Geheimnis von Kim Philbys Agententätigkeit für Moskau mitschleppte) entkam rechtzeitig nach London in eine fortan bürgerliche Schriftstellerexistenz. Robert Capa, den Tod seiner Gerda nie verschmerzend, blieb der Star der Kriegsfotografie, gründete 1947 mit Kollegen die Magnum-Agentur, trat aber 1954 in Vietnam auf eine tödliche Mine. (Dekaden später, 2007, wurde in Mexiko ein Koffer mit 165 Negativrollen aus Capas spanischen Fotoreportagen gefunden. Einige dieser Bilder glänzen in dem Band.)

Ernest Hemingway, depressiv geworden, erschoss sich 1961 mit seiner doppelläufigen Jagdflinte. Martha Gellhorn blieb enorm kreativ, schrieb Bücher und berichtete bis ins hohe Alter über die endlosen Kämpfe der Nachkriegszeit. Bevor sie 1998, fast blind, in den Freitod ging, hatte sie mit ihrem Geld einen Preis für investigativen Journalismus, den 2011 Julian Assange erhielt, gestiftet.

Chapeau, Amanda Vaill! Den Spanischen Bürgerkrieg, eine klassische Männergeschichte, alternativ zu erzählen, dokumentarisch genau, elegant geschrieben, emotional aufbereitet – wenn man so will, auch als hochgestochenen Tratsch. Spannend und unterhaltsam! Trotzdem bleibt ihr, wie auch uns Lesern, der melancholische Schluss nicht erspart: 1964 zertrümmerte eine Abrissbirne das Hotel Florida, um einem Kaufhaus Platz zu machen. ■

Amanda Vaill

Hotel Florida

Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg. Aus dem Amerikanischen von Susanne Held. 512 S., 38 Abb., geb., € 25,70 (Klett-Cotta Verlag, Stuttgart)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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