Auf einem Bild mit der früherenGeliebten

„Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel“: In den vier Erzählungen Andres Mürys bleibt die Vergangenheitsbewältigung folgenlos.

Im Land von Milchrahmstrudel und Felix-Ketchup erfand Freud bekanntlich auch die Wiederkehr des Verdrängten“, kündigt der Klappentext von Andres Mürys erstem Prosabuch an; und in der Tat ist das wohl das Hauptmotiv, das sich zumindest für drei der vier Kurzgeschichten in dem Band ausmachen lässt.

Ihre Protagonisten sind allesamt auf der Reise durch oder nach Österreich, zugleich aber sind sie auch Reisende in die Vergangenheit. Sucht man die Orte auf, an denen Ungeklärtes oder Verdrängtes offengeblieben ist, um zu einer Lösung zu kommen, oder geht nicht vielmehr von den Orten selbst ein Sog aus, dem man sich irgendwann nicht mehr entziehen kann? Und gibt es ferner so etwas wie einen Zufall, oder ist das, was uns begegnet, schicksalhaft und gewissermaßen determiniert?

Der Anlass zu den Reisen ist in Mürys Plots jedenfalls jeweils ein äußerer: Der deutsche Modefotograf Volker, der inzwischen in Paris ansässig ist, folgt der Einladung eines seiner Models, mit dem er gerade eine Affäre hat, nach Wien. Hier wird er mit der Vergangenheit konfrontiert, als er – scheinbar zufällig – an einer Galerie vorbeispaziert und auf einem der Exponate, das den Titel „Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel“ neben einem befreundeten Paar sich selbst und eine seiner Verflossenen erkennt. Letztere ist zugleich auch die Malerin. Er macht sich auf die Suche nach ihr und erlangt so Klarheit über eine schmerzhafte Episode seines Lebens, die bisher im Dunkeln lag.

Harry, ein deutscher Fernsehkommissar, kommt zu einem Gastspiel nach Wien. Um sich vor der Premiere noch ein wenig zu entspannen, sucht er ein Massagestudio auf, trifft dort – zufällig – auf einen ehemaligen Kollegen, mit dem er zusammen Schauspiel studiert hat, dem man die weitaus größere Karriere prophezeit hat und der nun aber nicht annähernd so erfolgreich ist wie er. Die Konkurrenten von einst tragen ihren Konflikt im Jetzt aus. Er endet blutig.

Gmunden ist der Schauplatz für die dritte Story. Hierhin verschlägt es einen Lifestyle-Reporter aus Zürich, Felix, der dort die Bekanntschaft mit einer begeisterten Leserin seiner Kolumne macht. Sie ist nicht von Dauer, da diese kurz darauf tragisch ums Leben kommt. Felix ist der Einzige von den Vieren, der nicht aus Vergangenheitsbewältigungsgründen nach Österreich kommt. Er wird wohl wiederkommen müssen. Max hingegen, ein Schweizer Diplomat, der gerade in Wien ansässig ist, trifft vor der Albertina wiederum zufällig einen alten Bekannten, mit dem er seinerzeit in New York um die Liebe einer Frau konkurriert hat. Jener Bekannte befindet sich in Begleitung einer jungen Frau, die in New York auf die Welt gekommen ist und Max näher steht, als er anfangs wahrhaben möchte.

Mürys Plots sind durchwegs stringent – man merkt den ehemaligen Dramaturgen – und sie sind exzellent erzählt. Wenn man an ihnen etwas vermisst, ist das eine gewisse Konsequenz. Die Konfrontation mit der Vergangenheit, die sich nolens volens in den Leben der Protagonisten eingestellt hat, klärt zwar, sie hat aber – und das erstaunt schon ein wenig – keine weitere signifikante Auswirkung auf ihr Leben. Gleichsam so, als wäre gar nichts passiert, reisen sie wieder ab. Das Leben geht weiter, und im Grunde hätten sie sich ihre Reise nach Österreich zumindest in lebenstechnischer Hinsicht auch sparen können. Das Motiv von der „Wiederkehr des Verdrängten“ wird hier nicht wirklich zu Ende gedacht.

Alles in allem ist das erste Prosawerk von Andres Müry jedoch ein bereicherndes Stück Unterhaltungsliteratur. ■

Andres Müry

Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel

Stories. 220 S., geb., € 20,60 (Verlag weissbooks.w, Frankfurt/Main)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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