Im klebrigen Zustand der Nähe gefangen

Ein idealer Ehemann? Fürsorglich,sensibel, rücksichtsvoll. Doch in der Liebe will es nicht klappen. Michael Kumpfmüllers satirische „Erziehung des Mannes“.

Wie lang kann sie dauern, die „Erziehung des Mannes“? Michael Kumpfmüller rechnet es vor: 60 Jahre und mehr. Und mit welchem Ziel? Um anzukommen bei sich selbst, wie es so schön heißt.

Georg ist ein Mann, wie man ihn sich erträumt: fürsorglich und verantwortungsbewusst, sensibel und kompromissbereit. Rücksichtsvoll, was die Wünsche der Frauen angeht, natürlich nicht nur im Bett. Ehrensache, dass er sich keiner der Karrieren seiner Partnerinnen in den Weg stellt, im Gegenteil: Deren Ziele sind auch seine. Ganz selbstverständlich, dass er kocht, Windeln wechselt und unerschrocken die Launen pubertierender Sprösslinge erträgt. Ein idealer Gatte sozusagen. Doch bei Georg will es einfach nicht klappen in Sachen Lust und Liebe. Und da er das Gefühl hat, mit seinen Ansprüchen und Sehnsüchten auf der Strecke zu bleiben, setzt er zur großen Analyse an: Wie ist er zu dem geworden, der er ist? Und wie schafft man es als Mann von heute, sich selbst zu einem gelungenen Leben zu verhelfen?

Kumpfmüller begleitet seinen Helden durch die Zeit kindlicher Unsicherheiten und erster Lieben. Bis er bei jenem Abschnitt des Buches landet, mit dem es ursprünglich begonnen hat: der Begegnung mit seiner späteren Ehefrau, die ihn über die Scheidung hinaus in Geiselhaft hält. Drei gemeinsame Kinder fesseln die Eltern für Jahrzehnte aneinander. Wie viel Geduld muss man mit sich selbst haben, ehe man seine Identität gefestigt hat? Und wie geht man mit der eigenen Sozialisation und dem daraus resultierenden Weltbild um? Fragen wie diese ziehen sich leitmotivisch durch den Band.

Und wie lang sollen wir als Leserin und Leser warten, bis die Handlung wirklich Fahrtaufnimmt? Das Stationendrama vom Kind zum Jugendlichen und weiter zum Mann entwickelt sich etwas schleppend, der tumbe Tor, der selten Eigeninitiativen zeigt, bleibt ein etwas blasser, willenloser Charakter. Im Titel des Bandes, einer Reverenz an Gustave Flauberts „Education sentimentale“, steckt zwar reichlich Ironie. In seinem Inneren aber vermisst man sie.

Erst in der zweiten Hälfte des Buchs findet der Autor zu jener erzählerischen Souveränität zurück, die man von ihm kennt: der Leichtigkeit der Dramaturgie, dem Mut zur Leerstelle und zu kühnen Schnitten, die den Verlauf der Handlung aufbrechen. Mit zunehmendem Alter ist dieser Georg gereift genug, um die Phasen seines Lebens auch sprachlich zu fassen: Man spürt das Ungestüme und Ratlose, das Verzweifelte und Destruktive, die Lichtblicke und Hoffnungen besser denn je. Mit Sonja ist eine neue Frau in seine Hamburger Wohnung gezogen. Gemeinsam tritt man an, das Patchwork-Gefüge in einen soliden Rahmen zu verschrauben: sabotiert von der Mutter der drei Kinder, die auf dem Rücken ihrer Nachkommenschaft in den Krieg zieht. Georg reizt die eigene Leidensfähigkeit aus und versucht nebenher, sich als Komponist zu etablieren und seine Beziehung mit der langmütigen Sonja zu stabilisieren. Manches gelingt, andere Ansprüche schwemmt es die Alster hinunter.

In den Szenen rund um Kind und Kegel ist Michael Kumpfmüller mit satirischer Schärfe zugange, ohne den Helden damit zu verraten: Georg strampelt um seine Selbstbestimmung und einen Rest Privatheit mit Sonja und bleibt doch in einem „klebrigen Zustand der Nähe“ zu seinen Kindern gefangen. Gleichzeitig gelingt es ihm, nicht mehr ganz so eng bei sich selbst zu kleben, einen Schritt zurückzutreten und sich selbst dabei zuzusehen, wie er sich abmüht.

Die Gelassenheit des Alters kommt fast schon als Erlösung daher. „Meine Erziehung halt ich für weitestgehend abgeschlossen“, liest man. „Vieles lasse ich passieren, je weiter die Dinge weg sind, desto mehr interessieren sie mich. Oft lausche ich nur.“ Ziel erreicht? Wenn's so einfach wäre. ■

Michael Kumpfmüller

Die Erziehung des Mannes

Roman. 318 S., geb., € 20,60 (Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

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