Viel Feind, wenig Ehr

Wenn Georg Kreisler seine Autobiografie vorlegt, dann ist die ebenso beißend, wie seine Chansons es sind. „Letzte Lieder“ – ein unnachsichtiges, trauriges, elegantes, manchmal auch starrsinniges Buch.

Wer sich einst über die „Lieder zum Fürchten“ gefreut und bei den „Nichtarischen Arien“ die Ohren gerieben hat, weil er es gar nicht glauben mochte, wie sublim und subversiv das literarische Chanson auf Deutsch klingen kann, für den ist Georg Kreislers Autobiografie das falsche Buch. Denn in ihr, die er nun mit 87 Jahren, doch frei von den Anwandlungen der Altersweisheit vorlegt, behauptet Kreisler nichts anders, als dass die Sache mit den Liedern ein einziger großer Irrtum war. Am liebsten möchte er sie sich verbitten, die Bewunderung, die dem Chansonnier und gar dem „Kabarettisten“ gilt. Als er „Taubenvergiften im Park“ geschrieben habe, ahnte er nämlich nicht, „dass mich faule Journalisten nochjahrzehntelang damit belästigen würden, sonst hätte ich es mir anders überlegt“.

„Faule Journalisten“ – bei Kreisler ist das eigentlich eine Tautologie, kennt und nennt er doch keine Journalisten, die nicht faul wären; und nicht bereit, sich zur bestechlichen Medienmeute zu verbünden und „systemerhaltend zu lügen“, wie er das in diesem Sommer in Salzburg formulierte, als er mit Daniel Kehlmann einen Festspielabend bestritt. Was den Blick auf die Journalisten angeht, könnte Kreisler ihn sich bei Karl Kraus abgeschaut haben, aber von dem hält er leider rein gar nichts: „Gerechterweise kennt man ihn kaum außerhalb Österreichs, in Wien als Halbgott. Er war ein eitler Selbstdarsteller wie Makart, wie Qualtinger.“ Die Liste derer, die Kreisler nicht mag, ist in seiner schmalen Autobiografie ziemlich lang, und was von Karl Kraus gesagt wurde, dass es das höchste Lob der „Fackel“ bedeutete, in ihr nicht genannt zu werden, das gilt auch für das Lebensbuch seines Verächters: Nicht drin vorzukommen ist das Beste, was einem an Nachrede widerfahren kann.

Über Gerhard Bronner hingegen ist viel zu lesen, um die undurchsichtigen Geschäfte, die politische Verhaberung und den „schlechten Geschmack“ jenes Mannes geht es, dessen Marietta-Bar doch die Geburtsstation des neuen österreichischen Kabaretts war. In seiner Auseinandersetzung mit Bronner, der Kreisler 1977, auch nicht zimperlich, als Troubadour der Terroristen bezeichnet hatte, versteigt sich Kreisler zu dem schwer hinnehmbaren Satz: „Alles in allem ist es schade, dass es ihn gab, er hat einen schädlichen Einfluss auf das Wiener Kulturleben ausgeübt.“

Das Wiener Kulturleben, Kreisler widmet ihm böse Sätze von aphoristischer Prägnanz. Warum kehrte er dennoch immer wieder nach Wien zurück? Der einzige Sohn eines Rechtsanwaltes und seiner früh verstorbenen, musisch aufgeschlossenen Frau hatte 1938 mit 16 Jahren aus Wien flüchten und sich in den USA alleine durchschlagen müssen. „Meine Kindheit war kurz. Mit der Besetzung Österreichs durch die Nazihorden im März 1938 fand sie ein jähes Ende. Eine Jugend mit erwachenden Freiheitsgefühlen, erster Liebe, lustigen Streichen und dergleichen hatte ich nicht.“

Um der Kunst willen

Zuerst lebte er in Hollywood, wo er im Filmbusiness Fuß zu fassen versuchte, dann zog ihn die Army ein, für deren Soldatenshows er bald Lieder und Sketche auf Englisch schrieb. Nach dem Krieg ging er nach New York, wo auf bedrängende Jahre der durchschlagende Erfolg als Entertainer folgte. Just als er dort reüssierte, hat er die USA verlassen. Warum? Früh empfand er die Kommerzialisierung der Kunst als verlockende Gefahr, und so behauptet er heute glaubhaft: „Es war der Gedanke an die Kunst, der mich schließlich veranlasste, Amerika den Rücken zu kehren.“

Um der Kunst willen nach Wien zurückgekehrt, fand sich Kreisler jedoch gleich mittendrin in den kommerziell sehr erfolgreichen Unternehmungen, deren Patron Gerhard Bronner damals eine schlagkräftige Truppe für die Marietta Bar, das Intime Theater, den Rundfunk zusammenstellte. Heute gelten die Nachkriegsjahre als Goldene Ära des österreichischen Kabaretts. Kreisler hält davon nicht viel, klagt sich vielmehr selber mürrisch an, die Kunst verraten zu haben: „Ich hatte eine Doppelbegabung und wählte den falschen Weg, zuerst in New York, dann in Wien. Andere wurden Kellner, Putzfrauen, Bettler, ehe man sie als Künstler arbeiten ließ, ich wurde Kabarettist.“

1958 geht der Mann, der kein Kabarettist sein wollte, nach München. Dort macht ihm der Schauspieldirektor der Kammerspiele, August Everding, den folgenreichen Vorschlag, immer freitags und samstags eine Nachtvorstellung zu geben, die der leichten Muse gewidmet sein sollte. Kreisler gestaltet einen ersten Abend unter dem Titel „Zwei alte Tanten tanzen Tango“, und die Resonanz war überwältigend. In den nächsten 40 Jahren würde er mehr als 20 solcher Programme zusammenstellen und mit ihnen durch die Theater des deutschen Sprachraums ziehen. Was hingegen in München folgte und ihn neuerlich nach Wien zurückkehren ließ, ist aberwitzig genug.

Durch den Erfolg des Chanson-Programms unvorsichtig geworden, bot Everding Kreisler an, sich eines der Stücke auszuwählen, die im regulären Programm aufgeführt wurden, und auf dieses eine Parodie zu schreiben, die gleichzeitig in der Werkraumbühne der Kammerspiele laufen sollte. Kreisler entschied sich für „Andorra“ von Max Frisch und stieß damit gleich an die Grenzen der Freiheit, die ihm Everding gewähren wollte. In „Andorra“, einem gedanklich verhatschten Stück, mit dem Generationen von Schülern traktiert wurden, geht es bekanntlich um einen Jugendlichen, der im Dorf für einen Juden gehalten, missachtet und schließlich zu Tode gehetzt wird. Erst danach stellt sich heraus, dass er Christ war. Max Frisch wollte die Mechanik des antisemitischen Vorurteils bloßlegen, aber er legte, wie Kreisler kühl diagnostiziert, dem Publikum eher den Gedanken nahe, dass der Junge ungerechterweise verfolgt wurde, weil er doch gar kein Jude war.

„Andorra“, das unbeholfene Stück eines Ariers gegen den Antisemitismus – das durfte der Jude Kreisler keineswegs parodieren. Everding berief sich ausdrücklich auf seinen Intendanten Schweikart, der es nicht hinnehmen wollte, dass ein so ernstes Thema wie der Antisemitismus auf seinem Theater parodistisch abgehandelt werde; Kreisler erwähnt abschließend, dass Schweikart, der an seiner Gegnerschaft zum Antisemitismus nicht kratzen lassen wollte, in der Nazizeit „ziemlich aktiv“ gewesen sei.

1962 kehrt Kreisler nach Wien zurück. In den nächsten Jahren wird er in seinem politischen Denken radikaler, in der Kritik an Staat, Gesellschaft und am eigenen Metier schärfer. 1968 führt er bei seinem Chansonprogramm „Protest nach Noten“ die politische Diskussion mit dem Publikum als fixen Programmpunkt ein. Seinem musikalischen Stück „Heute Abend: Lola Blau“, in dem er eine jüdische Soubrette, die aus Wien verjagt und zum internationalen Star wird, über ihr Leben und die Lügen der Österreicher singen, tanzen, rezitieren, bramarbasieren lässt, war 1971 ein für den Autor und den Komponisten folgenloser Erfolg beschieden: Neue Aufträge für Opern oder Theaterstücke erhielt er trotzdem nicht. So viel ihm am Theater und in der Literatur auch gelang – gefragt war immer nur der virtuose Vortragskünstler, der Kabarettist. Das Wort allein jagt Kreisler offenbar Schaudern ein. Der gefeierte Kabarettist wettert deswegen so heftig gegen das Kabarett, weil er es nicht für eine Kunstform hält, sondern für ein Handwerk, das umso fragwürdiger wird, je besser man es beherrscht: „Politiker mögen Kabarettisten, das sagt schon alles.“ Sein Trachten aber ging und geht nach der Kunst, sie war es, die ihn aus Amerika, wo er es mit seinen handwerklichen Talenten zum Millionär gebracht hätte, heimkehren ließ.

Verachtung für das Kabarett

Was für ein Scheitern, dass er zu Hause ausgerechnet in jenem Metier berühmt wurde, das er verachtete! Nicht als Kabarettist will er heute gewürdigt werden, sondern als Verfasser von drei Romanen und vielen Kurzgeschichten, die kaum jemand kennt, von Theaterstücken, Opern, Operetten. Selbst was seine Lieder betrifft, deren Musik er mit so viel Witz komponierte und als Pianist so virtuos zu spielen verstand, möchte er nur jene gelten lassen, die auch ohne Musik auskommen würden.

1971 übersiedelt er nach Berlin. Wer wartet dort auf ihn? In der tierischen Gestalt der „Wühlmäuse“ und der „Stachelschweine“ wieder nur das Kabarett. Ansonsten: kein Interesse am Komponisten und am Autor Kreisler. Der schreibt in der Rückschau gar: „In dieser Hinsicht sahen sich alle Berliner zum Verwechseln ähnlich: Sie waren gegen mich, ohne zu wissen warum.“ Man glaube nicht, dieser Satz sei selbstironisch gesprochen, der Satiriker Kreisler meint ihn ernst, todernst. Im letzten Kapitel seiner Autobiografie legt er noch einmal nach: „Ich kann mich nicht erinnern, je eine sachliche negative Kritik über mich gelesen zu haben, immer nur Anfeindungen, unbegründete Behauptungen und Lügen.“

Keine einzige anregende Kritik

Niemals im Leben eine anregende Kritik zu erhalten, das ist ein Verhängnis. Ein Verhängnis für den Künstler, der die kritische Auseinandersetzung mit seinem Werk braucht und verdient, und für den Autobiografen ganz besonders. Der Lebensbericht Kreislers leidet daher auch an einem dramaturgischen Mangel: In ihm berichtet ein viel bewunderter Künstler von kaum etwas anderem als vom Scheitern; davon, dass er nicht beachtet oder, wenn doch beachtet, zuverlässig der falschen Disziplin zugeordnet wurde; dass er permanent Feindschaft zu spüren bekam, überall gegen ihn intrigiert wurde und auf keinen – außer auf seine vierte Ehefrau Barbara Peters – je Verlass war. Eigentlich ist es eine Märtyrergeschichte, die Kreisler erzählt, und tatsächlich heißt es in ihr einmal: „Die Kunst fordert den ganzen Menschen, und ihr Lohn ist Erkenntnis und Einsamkeit.“

Seine Märtyrergeschichte hält Kreisler weitgehend frei von Pathos, allerdings auch frei von Selbstironie. Wie nebenhin verstreut er funkelnde Sätze. Aber ein jeder soll beglaubigen, was Kreisler immerzu behauptet: dass alle Welt sich gegen ihn verschworen hat. Wenn das auf sein Leben wirklich zutrifft, ist es traurig; für seine Autobiografie aber ist es eine Gefahr. Die droht nämlich zur Kanzelrede zu werden, wenn die Positionen gar so starr verteilt sind und auf der einen Seite immer Kreisler ganz alleine steht, während auf der anderen sich alle anderen drängeln, seine geschiedenen Frauen und ungerechten Kinder, seine Freunde und Feinde, Gegner und Verehrer, Künstler und Kritiker, Juden und Christen, alle stetig vereint, ihm zu schaden und seiner Persönlichkeit wie seiner Kunst nicht gerecht zu werden.

„Letzte Lieder“ ist die unnachsichtige, traurige, elegante, in mancher Passage auch starrsinnige Autobiografie überschrieben. Nach diesen letzten wollen wir aber noch ein paar Folgen mit allerletzten Liedern von Kreisler haben, in Versen und in Prosa, mit der melancholischen Intelligenz, dem anarchischen Übermut, dem philosophischen Witz, die wir an ihm so bewundern, gleich übrigens, in welchem Genre, welcher Kunstform er sich betätigt. Was er möchte, sein eigenes Werk zurücknehmen, das können wir ihm keinesfalls zubilligen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2009)

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