Die Angst vor den Frauen

Die Gewalttheologie des „IS“: analysiert vom Wiener Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker.

Rüdiger Lohlkers Buch füllt unter den zahlreichen Publikationen zum Phänomen des globalen Jihadismus eine Lücke: „Die Theologie der Gewalt“ bietet eine Auseinandersetzung mit der religiösen Rhetorik und dem religiösen Denken jihadistischer Bewegungen, dargestellt am Beispiel des „IS“.

Der Wiener Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker analysiert die theologisch-ideologische Rahmung ihrer Handlungen und Strategien, die er als „Gewalttheologie“ bezeichnet und die er anhand von 18 Themenfeldern (zum Beispiel Sklaverei, Frauen im IS, Ehre und Inferiorität) untersucht. Der Autor stützt sich dabei auf ein reiches Material vorwiegend auf Arabisch, unter anderem Flyer, die im IS-Gebiet verteilt werden, Unterrichtsmaterialien, Schriften von IS-Gelehrten und Videomaterial. Diese Quellenbasis ermöglicht ihm einen aufschlussreichen Einblick in die Gedankenwelt und Argumentationsweise dieser Terrororganisation.

Durch die „dichte Beschreibung“ kristallisiert sich das Psychogramm des IS heraus: Erkennbar wird ein Komplex aus absoluten Feindbildern, der Verketzerung von Andersdenkenden und der Anspruch auf einzige absolute Wahrheit. Zu diesem Konglomerat gehört auch, wie Lohlker herausarbeitet, ein tiefgreifendes Maskulinitätsproblem – nicht zuletzt ein Gefühl des Bedrohtseins durch emanzipierte Frauen und eine Obsession mit der Kontrolle von Frauen. Es werden die Umrisse eines extrem dichotomischen Weltbildes und Denkens deutlich, bei dem sich die Mitglieder des IS als „Partei Gottes“ gegen die „Partei des Satans“ imaginieren, als globale Elite, die „Reinheit, Liebe und Brüderlichkeit“ durchsetzt – all das verbunden mit Verschwörungstheorien und apokalyptischen Vorstellungen.

Verunsichernde Komplexität

Wie für religiösen Fundamentalismus allgemein (Lohlker vermeidet den Begriff) gilt auch für den Jihadismus des „IS“, dass er ein spezifisch modernes Phänomen ist – während der „Staat“ selbst die Ideale der islamischen Frühzeit umzusetzen vorgibt. Tatsächlich handelt es sich um eine bestimmte Verarbeitungsform, mit verunsichernder Komplexität und Ambivalenz, der Auflösung von bisherigen Grenzen in der globalisierten Welt umzugehen. Deshalb versucht der „IS“ mit Gewalt Eindeutigkeit und klare Abgrenzungen herzustellen, nicht zuletzt was das Geschlechterverhältnis betrifft.

Der „IS“ wird erkennbar als zeitgenössische islamische Sekte, die eine eigene, um Gewalt zentrierte Konstruktion des Islam herstellt. Zugunsten ihrer Legitimität stützt sie sich auf Quellen des Islam, die im Sinn der Gewaltorientierung interpretiert werden. Traditionsbestände werden für das politisch-theologische Projekt vereinnahmt. Lohlker zeigt, dass weder eine apologetische Verneinung jeden Bezug des „IS“ zum Islam seitens des muslimischen Mainstreams noch seine polemische Identifizierung als der Islam dem Phänomen „IS-Islam“ gerecht wird.

Implizit enthält das Buch die Aufforderung zu einem genaueren Hinsehen. Eine gründliche Auseinandersetzung mit der Botschaft des „IS“ ist für den Autor deshalb wichtig, weil es sein kann, dass sie noch nach der Zerstörung des „IS“-Territoriums von Generationen junger Menschen aufgegriffen wird: Es sei zentral, die „IS“-Ideologie genau zu kennen, um ihr den Boden entziehen zu können. Dazu leistet das Buch einen bedeutenden Beitrag, und der Autor bekräftigt seine Position als einer der international führenden Forscher zum Jihadismus. ■

Rüdiger Lohlker

Theologie der Gewalt

Das Beispiel IS. 206 S., 34 Abb., brosch., € 19,60 (UTB Verlag Facultas, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2016)

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