Wie es Mutter gemacht hätte

Mit starken Bildern: Lily King erzählt von einer fatalen Vater-Tochter-Beziehung.

Blut ist ja bekanntlich dicker als Wasser. Für all diejenigen, die daran noch Zweifel hegen, ist Lily Kings Roman „Vater des Regens“ geradezu eine Pflichtlektüre. Mit sezierender Nüchternheit, die zugleich von einer unglaublichen Poesie ist, erzählt King hier die Geschichte einer Frau, deren Leben oft anders – um nicht zu sagen: besser – verlaufen wäre, gäbe es da nicht ihren manipulativen Vater, der sich extrem gut verstellen kann.

Er ist die klaffende Wunde in ihrem Herzen, die nie verheilt, bestenfalls vernarbt, um dann wieder aufzubrechen und noch heftiger zu bluten. Immer wieder versucht Daley, sich von ihrem Vater freizumachen, sich von ihm zu emanzipieren, nur um sich aufs Neue in seine Netze zu verstricken, die er gekonnt auswirft, um sie an sich zu binden. Besonders feinmaschig ist dasjenige seiner Bedürftigkeit. Dagegen hat sie keine Abwehrmechanismen. Als ihre Mutter ihren Vater verlässt – Daley ist zu dem Zeitpunkt elf Jahre alt –, glaubt sie, sie ersetzen zu müssen, und nimmt die Rolle seiner inoffiziellen Partnerin ein. Wochenende für Wochenende verbringt sie bei ihm, nur um in seiner Nähe sein zu können. Nicht dass sie dort glücklich wäre, um das subjektive Empfinden von Glück geht es in dem Roman nur in zweiter Linie, sondern weil sie sich verantwortlich für ihn fühlt. Später wird sie ihrer Mutter vorwerfen, dass sie sie nicht vor diesen Wochenenden beschützt hätte, obwohl sie hinterher jedes Mal wie ein wildes Tier gewesen sei – ein verwundetes wildes Tier.

Als ihr Vater sich wieder bindet und die neue Frau samt ihren Kindern bei ihm einzieht, wird Daley nach und nach zu einem Störfaktor. Es kommt zum Bruch. Jahre vergehen. Daley lebt in einer glücklichen Beziehung mit Jonathan, hat ihr Studium erfolgreich abgeschlossen und soll in den nächsten Tagen eine Professur als Ethnologin an der renommierten Universität in Berkeley antreten. Ein Anruf von ihrem Bruder genügt, und alleskommt anders. Ihr Vater habe sich von seiner zweiten Frau getrennt, befinde sich in einer schwerwiegenden Lebenskrise und sei dem Alkoholismus verfallen.

Allen Warnungen zum Trotz

Sofort ist Daley eines klar: Außer mir kann ihm niemand helfen. Sie setzt sich ins Auto und fährt zu ihm. Eigentlich hat sie vor, nur einen einzigen Tag bei ihm zu bleiben, aus dem Tag werden mehrere, aus den Tagen schließlich Monate. Ihre Professur in Berkeley tritt sie nicht an, ihre Beziehung zu Jonathan geht in Brüche. In seinen Augen tritt sie ihr Leben mit Füßen. Ihre beste Freundin gibt zu bedenken, dass sie sich möglicherweise etwas von ihrem Vater erwartet, was sie nie bekommen wird. Allen Warnungen zum Trotz richtet sich Daley bei ihrem Vater ein, meldet ihn bei den Anonymen Alkoholikern an und organisiert ihm den Haushalt (genauso hätte ihre Mutter es auch gemacht). Sie geht ganz auf in ihrer neuen oder vielmehr alten Rolle – und ist glücklich dabei. Das Glück hält an, bis sich ihr Vater wieder bindet und sie erneut an Terrain verliert.

Lily King erzählt in starken Bildern die Beziehung zweier Menschen, dienicht voneinander loskommen, weder im Guten noch im Bösen. Dass es sich dabei um Vater und Tochter handelt, verleiht ihrem Roman zusätzliche Brisanz. Seine Glaubwürdigkeit bezieht er vor allem aus der feinen Charakterzeichnung der beiden Protagonisten, die sich mit ihrem aufreibenden Spiel der gegenseitigenVerhinderung das Leben schwer machen und den Leser atemlos halten. ■

Lily King

Vater des Regens

Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth. 400 S., geb., € 22,60
(C. H. Beck Verlag, München)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)

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