Was tun, Peter Rosei?

Gesammelte Essays zu Politik und Ökonomie – samt einer Erzählung, die es in sich hat.

Dass Peter Rosei zu den politisch interessierten zeitgenössischen Schriftstellern gehört, weiß, wer die österreichische Literatur verfolgt. Dass er sich freilich für eineSammlung von zwischen 2006 und 2016 unter anderem im „Spectrum“ erschienenen Essays zu Politik und Ökonomie den Titel bei Lenin leihen würde, war nicht vorauszusehen. Viel mehr als den Titel hat Rosei allerdings mit Lenin nicht gemeinsam. Denn seine Überlegungen bewegen sich nicht im Jahr 1902, sondern in unserer unmittelbaren Gegenwart.

Roseis Themen sind die Migration,die Globalisierung, der Terror, auch die Gleichheit, die Ökologie, der Frieden, Amerika (worunter nicht etwa Chile oder Brasilien, sondern die USA zu verstehen sind), zwischendurch, fast wie ein Fremdkörper, Ferdinand Waldmüller, Österreich und immer wieder Europa. Man darf Roseis Position wohl, ohne ihm nahezutreten, sozialdemokratisch nennen, sozialdemokratisch eher im traditionellen Verständnis als in dem der heutigen SPÖ. Er gibt sich, anders eben als die Sozialdemokratie seit Blair, Mitterrand, Schröder oder Klima, kapitalismuskritisch, sichert sich aber wiederholt gegen den Verdacht ab, für radikale Haltungen Sympathie zu empfinden. Einzelne Beiträge ergänzt er durch einen aktualisierenden Kommentar.

Der Tonfall von Peter Roseis Bestandsaufnahmen, Analysen und Interpretationen ist zumeist apodiktisch. Manchmal allerdings relativiert er seine Befunde durch Formulierungen wie „halte ich für . . .“, „ist wohl damit zu rechnen“ oder „gefällt mir nicht“. Er stellt sich Fragen, die er als rhetorisch ausweist und sogleich selbst beantwortet. Gelegentlich, beispielsweise in der aktuellen Frage des Umgangs mit Flüchtlingen, bleibt er uns eine klare Antwort schuldig. Nur so viel gibt er zu bedenken: „Der eingeschlagene Mittelweg wird es für Europa nicht bringen.“

Gut lesbar – und anfechtbar

Roseis Essays bewegen sich, der Gattung Essay angemessen, im Bereich zwischen Wissenschaft und Common Sense. Das macht sie einerseits gut lesbar, andererseits anfechtbar. Die Berufungen auf Autoritäten, allen voran auf den österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter, aber auch auf John Maynard Keynesund auf John Kenneth Galbraith, bleiben ohne Quellenangabe, gegen einzelne Gewährsleute lassen sich, ebenso wie gegen einzelne Thesen, überdies Einwände vorbringen.

In dem Aufsatz etwa, der den Titel des ganzen Buchs trägt, heißt es: „Konkurrenz ist nur ein Aspekt des Miteinander in der Natur, so muss es auch in der Kultur oder Zivilisation sein.“ Hält dieser Satz, der wie ein Aphorismus klingt, einer Überprüfung stand? Drückt er ein Gesetz, eine Forderung oder eine Vermutung aus?

Der überraschendste Text befindet sich am Ende des Bandes und hat den schönen zweideutigen Titel „Unerhörte Gebete“. Es handelt sich, entgegen dem Untertitel des Buchs, nicht um einen Essay, sondern um eine Erzählung. Und hier kommt zur Geltung, was Rosei in der Gattung Essay nicht zur Entfaltung bringen kann: seine literarische Begabung. Dafür muss sich nicht schämen, wer, wie Peter Rosei, politisch und ökonomisch interessiert ist. So wohltuend ein Reden über Politik jenseits der Rhetorik von Berufspolitikern ist: Hier, in der Literatur im engen Verständnis, kommt Rosei ganz zu sich. Und hier ist er unersetzlich. ■

Peter Rosei

Was tun?

Essays zu Politik und Ökonomie. 194 S., brosch., € 18 (Sonderzahl Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2016)

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