Funkeln im Erdloch

Der letzte Prosaband des Schriftstellers und Philosophen Gerhard Hammerschmied.

Gerhard Hammerschmied starb völlig überraschend und viel zu früh im Sommer dieses Jahres in Klagenfurt. Er war Philosoph und Theologe, Nicaragua-Aktivist, Lehrer, Schriftsteller und Übersetzer. Ungemein gebildet, dabei bescheiden, gesellig, begeisterungsfähig und gefeit davor, sich infolge seiner Vielfachbegabung zu verzetteln. Ich habe ihn als Lehrer erlebt und mitbekommen, wie liebevoll, ohne didaktische Mucken, er mit den Schülern umgegangen ist.

Einmal erzählte ich ihm von den Schwierigkeiten einer Künstlerin ausWien, in seiner Geburtsstadt Judenburg Anschluss zu finden – sofort machte er sich dorthin auf, um ihr im Misstrauensmief beizustehen. Im Ganzen werden wir uns nicht mehr als sechs, sieben Mal getroffen haben, aber schon beim ersten Mal war mir, als wären wir seit einer Ewigkeit miteinander befreundet. Deshalb fehlter mir sehr, und ich darf gar nicht daran denken, ihn nie wiederzusehen.

Hammerschmieds letztes, posthum erschienenes Buch eignet sich gut als literarisches Vermächtnis, offenbart es dochseine Fähigkeit, komplexe Dinge in ihrer Komplexität zu belassen. Ferner eine Eigenschaft, die besonders kostbar ist,weil sie den Menschen, je älter sie werden, für gewöhnlich immer mehr abhandenkommt: das Bedürfnis nach Gemeinschaftlichkeit.

Im „Vorspann“ des auf neun Abschnitte angelegten – ja, was eigentlich: Drehbuchs? Erzählbandes? Essays?schreibt Hammerschmied über sein Aufwachsen in Judenburg und über die Filme, die er dort mindestens viermal die Woche sah. Über erste Schreibversuche, selbstredend ohne die von den Lehrern geforderte „Gliederung“, und über das Lesen auf eigene Faust, ohne Anleitung, instinkthaft, nur keine Entwicklungsromane, lieber was Aufrührerisches, auch wenn er den Aufruhr mehr witterte als begriff. „Das Kind ist schwierig und arbeitsscheu, sagten Vater und Mutter. Er zog mit schlechtem Umgang durch die Straßen, spielte Fußball in bürgerfernen und gastfreundlichen Vororten, wenn er nicht auf vergilbten und abgenutzten Blättern nach Verbündeten suchte.“

Spott über das Parabelmachen

Ist der autobiografische Rahmen erst einmal abgesteckt, schreibt er sich furios durch die Philosophie- und Glaubensgeschichte, entwirft dabei, in einer vor Witz und Scharfsinn funkelnden Sprache, mehrere Filmerzählungen, die um Christine Lavant, Anton Bruckner und Charles Tournemire kreisen, erörtert die Frage, warum der heilige Franziskus nie Papst werden wollte, und schließt mit einer Parabel, die gutmütigen Spott über das Parabelmachen ausgießt. Die Rücksichtnahme auf Leser ist gering, Hammerschmied geht davon aus, dass sie ihm in Wissen, Geistesgegenwart und Leidenschaft ebenbürtig sind.

In einer Besprechung seines Romans „Nichts über Grillparzer“ hatte Evelyne Polt-Heinzl dem Autor eine „verrätselnde Erzählweise“ attestiert. Mir scheint, dass Gerhard Hammerschmied in diesem Folgeband klarmachen wollte, dass die Rätselhaftigkeit nicht seiner Willkür, sondern den Bedingungen menschlicher Existenz geschuldet ist: „Wir sitzen in diesem Erdloch der Geistesgeschichte, und Menschen reden auf uns ein, als hätte es Platon nicht verhindern können, seinen Film mit einem Tonstreifen zu versehen.“ Ein Gleichnis, immerhin, das fast tröstlich anmutet; bei José Saramago war das Erdloch ein riesiges Einkaufszentrum gewesen. ■

Gerhard Hammerschmied

Der Himmel ist ein blinder Spiegel

Die Wirklichkeit ist der Tagtraum des Kinos. 120 S., brosch., € 16,50 (Drava Verlag, Klagenfurt)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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