Im Beisel zum Roten Faden

Unverkrampft: Tomer Gardis witzige Prosa über Deutsch als Fremdsprache.

Selten so gelacht: erst über die studierte Ratlosigkeit, mit der in Klagenfurt beim diesjährigen Bachmann-Wettlesen über Tomer Gardis Prosa geurteilt wurde. Sie sei eine „Tellermine“, und der Autor könne nicht Deutsch. Und dann bei der Lektüre von Gardis „broken german“.

Nun muss man wissen, dass Tomer Gardi Israeli ist und die deutsche Sprache benutzt wie jemand, der sie eben nicht als Kind gelernt hat. Als Schüler war er in Wien, als Student in Berlin; Sprachwanderjahre, die dem politischen Bewusstsein Gardis, der sich in seinem ersten Buch mit unrühmlichen Seiten der israelischen Staatsgründung auseinandersetzte, eine Komponente hinzufügten, nämlich das Wissen um den Zusammenhang zwischen Migrationsbewegungen, dem Einfinden der Einwanderer in die deutsche Sprache und der Macht, die in der Wendung vom „Beherrschen der Sprache“ versinnbildlicht ist.

Gardi nimmt sich diese Sprachmacht, mit Witz, Charme und einer Portion Unverschämtheit, die guttut. „broken german“ ist Programm: Die Identitäten sind brüchig, die Sprache ist brüchig – aber der (wechselnde) Erzähler kehrt immer wieder in einer Kneipe ein, die „Roter Faden“ heißt. Man bleibt dran an Radili, der in der Eröffnungsszene als Teenager von Skins verfolgt wird und sich ein Messer kauft; dran an Amadou, in dessen Callshop sich die internationalen Wesen Berlins treffen und üben, schneller „gebrochenesdeutschsprachigesraum“ zu sagen; dran an Abschalom, der im dritten Akt in einer eher ungemütlichen Situation das Messer wiederfinden wird.

Aber vielleicht, meint der Erzähler, handelt es sich dabei gar nicht um das Messer vom Beginn, das jetzt, Jahre später, von einem Trupp junger Linker, spaten- und kamerabewehrt, in einem Park gesucht wird, weil der erwachsene Radili ihnen vorgeflunkert hat, es seinerzeit dortsemirituell beerdigt zu haben.

Vom Foltern der Sprache

Klug ineinander verschachtelt sind die Bausteine der Handlung, Gardi spielt listig mit literarischen Konventionen und beschreibt, was er meint, anhand eines Beispiels aus der E-Literatur: Da liegt eine Katze auf Nabokovs Roman „Pnin“ – Nabokov, auch er ein Sprachmigrant –, und da ist er nun, heißt es bei Gardi, „mit sein Masterpiece Englisch, foltert Master Nabokov der Timofey Pnin“ in einem Buch „wie in eine Zelle, Vordereinband als Gitter, Hintereinband als Mauer“.

Es ist letztlich die deutsche Sprache selbst, die hier auf dem Seziertisch eines fröhlichen Clowns liegt: Warum hat „Schatten“ keinen Plural? Ist die Einzahl „Schatt“? Die Schreibfehler, die zum poetischen Programm gehören, erschließen zusätzliche Räume.

Ein Beispiel von vielen: Im „Roten Faden“ wird der Ich-Erzähler nach seinem Medaillon befragt. Ob es mit seiner Religion zusammenhänge – und welche das sei. Bei den Kopten, den Shinto kommt der Fragende an. Das Wort Jude kommt ihm erst am Ende über die Lippen: „Verwirrt kugte er mich an. Wie sagt man auf Deutsch. Etwas mit zurück. Treten und schreken und prallen. Sein Besenkammertür, plötzlich auf. Ofen. Weit. Und im Besenkammer war ich.“ Ein einziges fehlendes F – und die Szene wirkt, als zeige sich hinter der erzählten Kulisse auch noch der Bühnenraum, in dem die Wirklichkeit an der Erzählung strickt.

Man kann Droschl zu seiner Entscheidung für dieses Buch nur gratulieren: Es ist mutig, unverkrampft und eine politische Punktlandung. ■

Tomer Gardi

broken german

Roman. 142 S., geb., € 19 (Droschl Verlag, Graz)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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