Das Kind, das eine Katze sein wollte

„Suchbild mit Katze“: Peter Henischs erster autobiografischer Roman ist keine übliche Lebensbeschreibung. Er spielt darin mit Stilen und Genres und legt die Quelle für sämtliche seiner Bücher frei.

Bin ich zu Ende, beginne ich. Peter Henisch gehört zu jenen Autoren, die im Grunde ein Leben lang an einem einzigen Buch schreiben. Unter den Klassikern ist Jean Paul so ein Fall. Dieses eine Werk kann dann allerdings vielseitige Ausformungen haben. Im Fall von Henisch korrespondieren da etwa Liebeserklärungen an die Peripherie Wiens wie im „Baronkarl“ (1972) mit Nachkriegsgeschichten wie dem „Schwarzen Peter“ (2000), da verbinden die beiden „Familienromane“ mehr als 30 Jahre Schreibarbeit, von der Kritik am Vater in der Erzählung „Die kleine Figur meines Vaters“ (1975) bis zur Hommage an die belesene Großmutter im Roman „Eine sehr kleine Frau“ (2007), und da entstehen seltsame Synkopen unter historischen Figuren wie dem Musiker Jim Morrison in „Morrisons Versteck“ (1991) mit der unkünstlerischsten Person überhaupt im „Verirrten Messias“ (2009). Viele weitere Querverbindungen unter den übrigen Büchern Henischs ließen sich aufzeigen.

In seinem ersten ausgewiesen autobiografischen Text unter dem Titel „Suchbild mit Katze“ macht Peter Henisch gelegentlich selbst auf die Bezüge aufmerksam. Deshalb darf man sich dieses Buch nicht als übliche Lebensbeschreibung vorstellen, sondern als Quelle für sämtliche anderen Bücher, nicht nur thematisch, sondern auch literarisch. Denn Henisch spielt darin mit Stilen und Genres. Das macht diese Lebenserinnerung tatsächlich auch zum Roman.

Wie sehr bei ihm alles mit allem zusammenhängt, wird bereits in einer Passage zu Beginn des Buches deutlich: „All die Fenster, aus denen ich schon geschaut habe. Fenster mit Blick ins Grüne oder ins Graue, Fenster mit oder ohne Meerblick. Das Fenster, das mir zuallererst einfällt, ist aber das Erkerfenster im dritten Bezirk.“ Damit ist das Prinzip, nach dem dieses Buch gestaltet ist, beschrieben: der Blick auf die Welt aus den verschiedensten Fenstern. Wobei er jenen ersten bewussten Ausblick nie aus dem Auge verliert. All die in seiner Kindheit gesammelten Erfahrungen und Erlebnisse bleiben präsent. Aus ihnen schöpft er als Erwachsener die Themen und Figuren seiner Werke.

Die wichtigste Figur ist ebenjene Katze, die auf dem Fensterbrett sitzt, wenn der kleine Peter aus dem Erkerfenster schaut. Ihre Schnurrhaare streichen über seine Wange, wenn er von der Keinergasse zur Erdbergstraße schaut. Im Lauf des Lebens werden es mehrere sein. „Die Katze, so schien es mir manchmal, war immer schon da.“ Im Gegensatz zu Autos; von ihnen gibt es Ende der 1940er-Jahre noch keine zu sehen. Eher hört man Pferdegetrappel vom Bierwagen. Und schon taucht man in die Stimmung ein, die man von Fotos mit Trümmerfrauen her kennt. Mit wenigen Worten versteht es Peter Henisch, im Leser eine Welt entstehen zu lassen, die ihm seltsam vertraut vorkommt, obwohl er sie vielleicht gar nicht gekannt hat.

Der Autor ist so gesehen auch eine Art Fotograf – wie sein Vater. Auch er bildet die Welt in einer Weise ab, die beim Betrachter ein gewisses Wohlbehagen erzeugt. Das, was man zu sehen oder zu lesen bekommt, ist oft gar nicht idyllisch, aber die Form erzeugt einen ästhetischen Eindruck. Dementsprechend zufrieden sind die Abnehmer der Bilder von Peter Henischs Vater. Zum Beispiel das Ehepaar, das ums Eck das Capitol-Kino betrieben hat. Henischs Vater fotografierte das stolz als Theater titulierte Kino von außen mit Weitwinkelobjektiv, von innen mit raffinierten Perspektiven und das Paar selbst in günstigem Licht, sodass sie sich selbst gefielen. Beim Ausarbeiten wurden die Fotos professionell retuschiert.

Diese Arbeitsweise ist jener des Sohnes gar nicht so unähnlich. Auch dieser setzt die Wörter so zusammen, dass wohlgeformte Sätze herauskommen. Dass Henischs Vater sein Handwerk beherrschte, hatte jedenfalls den positiven Effekt, dass die Familie Kinokarten um den halben Preis erhielt und dementsprechend oft im Lichtspieltheater anzutreffen war. Auch in Filmen, die dem kindlichen Gemüt des Buben vielleicht nicht zuträglich waren, wie etwa „Bitterer Reis“ mit Silvana Mangano, der ausdrücklich das Prädikat „Jugendverbot“ trug.

Aus anderer Perspektive war der für Erdberger Verhältnisse ungewöhnliche Beruf des Vaters wiederum problematisch. Er machte das Kind von Beginn an zum Außenseiter. Seine Schulkollegen staunten nicht wenig, wenn sie den kleinen Peter besuchten und im Vorzimmer Aktfotos hängen sahen. Dass auch die Mutter darunter leiden könnte, wird dem Buben erst bewusst, als sich der Vertreter des Buchklubs Donauland an sie heranmacht. Vielleicht, so sinniert der Knabe, lässt sich die Mutter das gefallen, weil der Vater „einer der Damen, die sich von ihm künstlerisch fotografieren“ ließen, zu nahe gekommen ist.

Das gepflegte Außenseitertum des Peter Henisch ist ihm also in die Wiege gelegt. Daraus resultiert auch das Katzenhafte an ihm, denn Katzen sind nichts weniger als Herdentiere. Sie sind (sich und anderen) fremd und suchen deshalb äußerlich das Vertraute. Eindringlich schildert Peter Henisch diese Verfasstheit in der Szene, als ihn seine Eltern das erste Mal zur Schule bringen und er zu weinen beginnt. Im Hintergrund „die Unsicherheit darüber, wie diese Kinder ihn finden würden. Die bange Frage, ob sie ihn, der sich unter ihnen fremd fühlte, akzeptieren würden.“ Sämtliche literarische Protagonisten Henischs sind verletzliche Nonkonformisten.Man kann das auch bürgerlich nennen. Solche Gestalten sind auf eine stille Weise subversiv. Polternde Kollektivisten sollten ihm das später verübeln.

In „Suchbild mit Katze“ erfährt man, wieso er sich für katzenhafte Wesen zu interessieren und sich mit ihnen zu identifizieren begonnen hat. Seine Stärken waren nicht jene, mit denen man in der Schule bei den Kollegen Eindruck schinden kann, sondern Gedankenspiele wie das von ihm geliebte Ratespiel „Wer bin ich, wer war ich“. Dabei musste der Ratende im Vorzimmer warten, während sich die anderen Spielteilnehmer auf eine Persönlichkeit einigten, die es zu erraten gäbe. Dabei konnte es sich auch um eine erfundene Persönlichkeit handeln, die natürlich Züge einer realen trug. Das beschreibt präzise Henischs Verfahren des „semifiktionalen Schreibens“, in dem er Biografisches und Fantasiertes verbindet. „Recherche im Sinne der Suche nach Indizien für die Geschichte, die sich abzeichnet und die ich konkreter haben will.“ Die Recherche bringt, wie Henisch in einem Interview gemeint hat, die Fantasie in Schwung, und „ich frage mich, wie könnte es gewesen sein, wie könnte es weitergehen?“ Dieser Methode bleibt er auch in seiner Autobiografie treu.

Trotz mancher Versuche der Eingliederung, etwa in die Literaturszene, ist Peter Henisch das Katzenkind geblieben, als das er sich in diesem biografischen Roman beschreibt. Dass sich sein Werk in weiteren autobiografischen Romanen fortsetzen möge, wird sich jeder Leser von „Suchbild mit Katze“ wünschen. ■

Peter Henisch

Suchbild mit Katze

Roman. 208 S., geb., €20,60 (Deuticke Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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