Die Rache der Pilze

Zwei afghanische Flüchtlinge weigern sich, Essen von einer „unreinen“ Frau anzunehmen. Die Hilfsbereitschaft von ElisabethReicharts Protagonistin schlägt daraufhin in Hass um. „Frühstück bei Fortuna“: eine Ernüchterung.

Das mittlerweile ziemlich umfangreiche Werk der in Oberösterreich geborenen und in Wien lebenden Schriftstellerin Elisabeth Reichart, Jahrgang 1953, zeichnet sich durch die Spannweite und die Originalität der Stoffe aus, mit denen sie sich beschäftigt hat. Sie gehört zu den Autorinnen, die etwas mitzuteilen haben, für die Literatur weniger eine Stilübung als ein Medium der Information ist. So auch in ihrem jüngsten Roman, „Frühstück bei Fortuna“.

Elisabeth Reichart bedient sich derTechnik des inneren Monologs, der durch zahlreiche Selbstbefragungen gekennzeichnet ist und der zur Ich-Erzählung im Präteritum changiert, und zwar in einem Prolog und dann wieder im Epilog aus der Perspektive Eriks, eines Deutschen, der sich indirekt als nicht besonders sympathisch, ein wenig zwanghaft charakterisiert, was sich unter anderem in Wortwiederholungen offenbart. Er ist eifersüchtig auf die Arbeit seiner Freundin, die die Zellforscherin, wie sieselbst sagt, liebt, und auch auf ihren früheren verstorbenen Freund, Leo, über den der Leser erst gegen Ende des Romans Genaueres erfährt.

Dazwischen wechselt die Erzählung zur Perspektive ebendieser Geliebten, einer jungen Frau mit Bindungsängsten. Anfangs erzählt sie aus ihrer Sicht, was auch Erik bereits erwähnt hat. Dann reiht sich ein Thema an das andere, teils assoziativ, wie das Verhältnis zur Natur, die Abhängigkeit vom geliebten Mann, die Missstände des Wissenschaftsbetriebs, die Höhlenforschung, die Pilzkunde und radioaktive Verstrahlung, teils motiviert durch Vorgänge im Handlungsablauf wie die Ankunft von zwei afghanischen Flüchtlingen, die eine Kollegin der Erzählerin, die alte Dame genannt, mitgebracht hat.

Mit der Bereitschaft, den jungen Flüchtlingen zu helfen, gerät der feministische Anspruch in Konflikt, als die beiden, ihrem Hunger zum Trotz, von einer „unreinen“ Frau kein Essen annehmen wollen. Die Zuneigung der Erzählerin verwandelt sich bei ihr, anders als bei der „alten Dame“, in Hass. „Du bist zu hart, was hat dich so hart gemacht, rief sie mir nach. Machos, antwortete ich, drehte mich nicht um.“ Das ist, auf zwei Sätze reduziert, das Problem, das viele Feministinnen, die mit rechten Rassisten nichts zu tun haben wollen, mit Muslimen haben.

Das Erschrecken über den plötzlichen Hass ist Auslöser für längere Selbstreflexionen der Erzählerin. Hier nimmt der Roman einen essayistischen Charakter an. Man darf vermuten, dass sich Elisabeth Reichart tatsächlich mit der angesprochenen Aporie herumschlägt. Dass sie sie nicht einfach beiseiteschiebt, spricht für sie und den Roman. Die Sichtweise der Frau freilich ist keine durchwegs wissenschaftliche, sondern hat im Gegenteil mystische Züge, die mit ihrer Obsession von Zellen zusammenhängen. So sagt sie über Menschen, die mitten auf der Autobahn gehen: „Ich habe sie nicht gesehen. Meine Zellen haben sie gesehen.“ An anderer Stelle heißt es: „Die Zellen sind autonom, ein sich selbst regulierendes System, so zeigen sie sich unserem Forscherblick. Vielleicht nur, solange wir sie beobachten?“ Und auch die Vorstellung, dass sich ein Pilz „für seine Ermordung“ räche, entspricht weder gedanklich noch sprachlich wissenschaftlichen Konventionen.

Die Zellen, und was zu ihnen gehört, wie die Zellspaltung, sind ein wesentliches Motiv und zugleich die zentrale Metapher von Elisabeth Reicharts Roman. Mit dem Mikrokosmos ist immer auch der Makrokosmos, die Gesellschaft, gemeint. „Es muss uns gelingen, von ausbeuterischen, spaltungsbesessenen Menschen zu kreativen, kooperierenden zu werden“, heißt es gegen Ende etwas rhetorisch, aber ehrenwert.

Dem Zweck der Information dienen faktische Einschübe, die den Rahmen literarischen Erzählens sprengen. „In Österreich verfügt ein Prozent über 37 Prozent des Gesamtvermögens, und die reichsten fünf Prozent über 57,8 Prozent, Tendenz steigend, besonders während Finanz- und Wirtschaftskrisen.“ Derlei würde man eher in einem Essay oder einem Sachbuch als in einem Roman vermuten. Aber Reichart ordnet die Daten einer Figur zu und charakterisiert mit ihnen deren Denkweise. Dabei befindet sie sich auf der Höhe der Zeit: „Die EU könnte an den rechten Populisten und unfähigen Machthabern genauso zerfallen wie an dem Nord-Süd-Gefälle und der mangelnden Solidarität zwischen den Mitgliedsländern.“ Da es sich um die Überlegungen einer Figur, nicht der Autorin handelt, darf man auch über manche allzu schlichte Formulierung, den Mangel an Differenzierung hinwegsehen.

Die Außensicht von Pro- und Epilog sollte nicht täuschen. Zwar häufen sich im Schlusskapitel Sätze, die mit „Ich“ – also mit Erik – beginnen, aber kurz danach werden sie durch Sätze mit dem Anfangswort „Sie“ konterkariert. Erik und all die anderen – Leo, Naomi, „die alte Dame“, Dana, Omid, Hadi und noch einige weitere – bleiben Nebenfiguren. Der Roman teilt nicht nur die Sicht der Frau, die nach dem Geheimnis der Zellen sucht und eine Gehirnerschütterung erlebt, er handelt auch von ihr. Das gewährleistet die Ich-Form, die durch das zweite Ich im Prolog und im Epilog nicht nachhaltig relativiert wird. Und Fortuna? Auch sie ist eine Konstruktion der Erzählerin. Sie verschwindet, wenn wir sie nicht beobachten.

Zu den häufig verwendeten Wörtern von Reicharts Roman gehören die Verben lachen und kichern. Komisch aber ist er nicht. Elisabeth Reichart geht es auch dieses Mal um den Zustand der Welt, und ihre Diagnose fällt eher skeptisch aus. Was ihre japanische Assistentin sagt, gilt auch für die zentrale Figur selbst: „Ich bin nicht sicher, ich bin die ewige Zweiflerin.“ Ob es an den Zellen liegt? ■

Elisabeth Reichart

Frühstück bei Fortuna

Roman. 250 S., geb., € 19 (Otto Müller Verlag, Salzburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2016)

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