Und alle warten auf die Endzeit

„die alarmbereiten“: Kathrin Röggla kritisiert Auswüchse der Konsum- und Arbeitswelt mit Mitteln der Literatur – Wiederholung, asyndetische Reihung, Rhythmisierung.

Man muss es nicht als „reaktionäre Wende“ bezeichnen. Tatsache ist, dass das mehr oder weniger naive Erzählen in den vergangenen 20 Jahren eine Renaissance erlebt hat. Das Verständnis von Literatur als Sprachkunst ist weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Es ist wohl nicht abwegig, wenn man eine Amerikanisierung der europäischen Literatur konstatiert, die der Amerikanisierung in fast allen anderen Lebensbereichen entspricht. Die Vorlieben einiger maßgeblicher Kritiker haben ohne Zweifel ihre Wirkung, und die Praxis, bevorzugt Romane zu besprechen und sich dabei auf eine Nacherzählung zu beschränken, hat die Tendenz zur Überschätzung des Inhaltlichen, der „Story“, gewiss bestärkt.

Nun bedeutet eine artistische Beherrschung des Sprachmaterials nicht notwendig den Verzicht auf eine Fabel oder auf einen Bezug zur Realität. Die Frage ist nur, ob Literatur nicht mehr kann, als spiegelbildlich zu reproduzieren, was im Alltag erfahren wird, wovon Zeitungen und Fernsehen ausführlich berichten. Es ist schon kurios, wenn einer Kunst, die man in Ermangelung eines besseren Wortes „Avantgarde“ oder auch „experimentelle Kunst“ nennt, vorgeworfen wird, sie habe sich erschöpft, sie plagiiere sich selbst, während man die 2044.Geschichte vom Paar, das sich verliebt, trennt und wieder zusammenfindet, (oder von den sexuellen Problemen eines Pubertierenden) wie eine Entdeckung feiert.

Zu den Autorinnen, die nun schon seit eineinhalb Jahrzehnten unbeirrt an einem emphatischen Begriff von Literatur festhalten, gehört die in Berlin lebende Salzburgerin Kathrin Röggla. Ihre konsequente Kleinschreibung mag man als Macke abtun, aber sie signalisiert ein Bekenntnis zu einer ganz bestimmten Tradition, eben der avantgardistischen, und hat somit paratextuelle Bedeutung – wie die Gestaltung des Buchumschlags oder das Profil eines Verlags.

Es war Elfriede Jelinek, die, zumal in der neueren und der deutschsprachigen Literatur, in erster Linie für eine radikale Auflösung der Grenzen zwischen Dramatik und Epik sorgte. Selbst die Unterscheidungsmerkmale, die noch das Lesedrama von der Erzählung oder vom Roman abheben, sind bei ihr verschwunden. Sie überlässt es den Regisseuren, aus ihren „Textflächen“ einen auf der Bühne von Darstellern sprechbaren Dialog zu machen. In einem Text über den Regisseur Jossi Wieler schreibt Elfriede Jelinek: „Ich habe nur ein einziges Verhältnis, das zur Sprache. Ich mache ja nicht das, was Menschen sind oder tun, zu meinem Thema, sondern das, was das Gleiche an ihrem Handeln ist, die Struktur ihres Handelns, also wonach sich die Figuren verhalten, ohne zu sein. Sie sind da, aber sie sind nicht. Meine Figuren gibt es nicht. Trotzdem, von irgendwoher müssen sie ja kommen, irgendwer muss ja zu Hause sein, wenn schon mal angeklopft wird, und meine Worte sind das, womit ich die Wurfgeschosse derer ausstatte, die grade auf der Bühne zu Hause sind, damit sie treffen, die Geschosse.“

In gewisser Weise schließt Kathrin Röggla mit ihrem jüngsten Text an Jelineks Position an. Wenn Elfriede Jelinek jedoch von sich gelegentlich behauptet, sie könne keine Figuren gestalten, sich nicht in individuelle Sprechweisen hineindenken, so gilt das für Röggla keineswegs. Es zählt gerade zu den Stärken von ihren Texten, ob sie für das Theater bestimmt sind oder für die stille Lektüre, dass sie deutlich gekennzeichnete Sprechstile bis hin zur Karikatur für die Charakterisierung ihrer Figuren einsetzt.

Aber Rögglas Figuren haben, anders als auf der Bühne, keinen Körper. Sie haben kein Aussehen. Sie werden nicht beschrieben. Sie beschreiben sich selbst – durch ihre Sprache, durch die Sprache Kathrin Rögglas. Es gibt, wie im Drama, keinen Erzähler. Er geht in den Figuren auf. Zu den poetischen Verfahren, die Röggla virtuos nützt, gehören Wiederholung, asyndetische Reihung und Rhythmisierung. Ihre Sätze entwickeln immer wieder eine eigene Dynamik, drängen vorwärts, fordern Verlängerung. Die Sprache scheint sich selbst fortzuzeugen.

So sehr Rögglas Bücher und Theaterstücke auch sprachorientiert sind – sie haben durchaus Themen, die sich unmittelbar zur uns umgebenden Wirklichkeit verhalten. Mit den ureigensten Mitteln der Literatur kritisiert Röggla die negativen Aspekte und Auswüchse einer Konsum- und Arbeitswelt. Die „Matrix“ im Hintergrund ist bei ihr nicht so sehr ein technisches wie ein soziales Phänomen, dem die Technologien nur dienen. Ihre „Alarmbereiten“ entwerfen an verschiedenen Orten, in verschiedenen Zusammenhängen und auf verschiedene Weise Katastrophenszenarien, bereiten sich auf eine Endzeit vor, die sie zugleich befürchten und herbeisehnen. Wie sie reden (und nicht zuhorchen), hat sehr oft den Charakter eines Verhörs. Sprache als Folterinstrument statt als Verständigungsmittel: Auch das ist eine Konstante in Kathrin Rögglas Werk. Angesichts des infantilen Schmusetons freilich, der sich in den Chatrooms breitgemacht hat, kann man dieser Grobheit fast etwas abgewinnen. Wir kennen das ja von Thomas Bernhard: Schimpfkanonaden wirken zugleich erschreckend und komisch.

Eingeteilt ist das Buch in sieben eigenständige Kapitel, die ihrerseits in kurze Abschnitte unterteilt sind. Innerhalb dieser Abschnitte wechseln sich Absätze in direkter Rede mit zunehmender indirekter Rede ab. Die zwei letzten Kapitel variieren diese Form. Im vorletzten Kapitel steht die Rede nicht für sich, sondern es werden, wie im Drama, Sprecher genannt. Sie haben keine Namen, sondern sind Typen: die Pseudopsychologin, der Möchtegernjournalist, die Irgendwienachbarin et cetera. Das letzte Kapitel („deutschlandfunk“) besteht aus Fragmenten, wie sie ebendort oder auch von anderen Sendern täglich zu hören sind.

Der Titel „die alarmbereiten“ mag an Elias Canettis „Die Befristeten“ oder an Hermann Brochs „Die Schuldlosen“ erinnern. Was Milan Kundera über Broch geschrieben hat, ließe sich auch über „die alarmbereiten“ sagen: „Die Einheit des Ganzen beruht bei Broch weder auf der Kontinuität der Handlung noch auf der Kontinuität der Biografie (einer Figur, einer Familie), sondern auf etwas anderem, das weniger gut sichtbar, weniger greifbar ist, auf etwas Verborgenem: auf der Kontinuität des gleichen Themas (des mit dem Prozess des Zerfalls der Werte konfrontierten Menschen).“

Das Buch enthält schwarz-weiße comicartige Zeichnungen von Oliver Grajewski. Kathrin Röggla müssen sie gefallen haben. Der Rezensent erklärt sich für unzuständig. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2010)

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