Kapuzen statt Springerstiefel

Dokumentation des Wandels der Rechtsextremen-Codes.

Das Mauthausen-Komitee legt eine Broschüre vor, die sich mit den neuesten Erscheinungen in der rechtsextremen Szene beschäftigt. Die Publikation richtet sich an Pädagogen, Sozialarbeiter und vor allem an Eltern, die den Kontakt zu ihren Kindern zu verlieren drohen und angesichts seltsamer Symbole, Zahlen- und Kleidungscodes befürchten, dass sich ihr Kind in rechtsextremen Kreisen bewegt.

Aus Umfragen und Studien weiß man, dass der größte Teil der rechtsextremen Jugendlichen nicht durch das Internet, Flugblätter oder Veranstaltungen in die Szene gerutscht ist, denn zu über 80 Prozent ist es die Weitergabe rechtsradikaler Musik, welche die Türen in die weit ausdifferenzierte rechte Szene öffnet. Die unüberschaubare Zahl an einschlägigen Bands wird in dem Band beispielhaft präsentiert. Aufschlussreich ist die Darstellung der einzelnen Stilrichtungen und ihrer führenden Repräsentanten. Junge radikale Rechte hören nicht nur Hatecore oder Viking Metal, sie lauschen auch den dumpfen Balladen des Neofolk oder Liedermachern, die offen die Schönheit des Mordens und Totschlagens von „nicht arischen Untermenschen“ besingen.

Nicht minder beeindruckend ist das Kapitel über Dresscodes und Modemarken, die von rechtsradikalen Jugendlichen bevorzugt werden. Neben weltweit agierenden Firmen, deren Produkte bei der rechtsextremen Jugend Kultstatus erlangten, gibt es immer mehr Textilproduzenten, die ausschließlich für diesen Wachstumsmarkt produzieren. Längst sind rechtsextreme Jugendliche nicht mehr an Glatze, Bomberjacke, Doc-Martens-Stiefeln und Bierdose zu erkennen – diese Traditionalisten gibt es weiterhin –, die größer werdende Szene hat Eingang in die Mittelschichten gefunden und fächert sich zusehends auf. Immer öfter kommen Codes zum Einsatz, die früher der linken Szene zugeordnet wurden.

So ist das Tragen von Palästinensertüchern mittlerweile bei Neonazi-Aufmärschen üblich geworden, getreu dem Motto: Der Feind unseres Feindes ist unser Freund. Rote Fahnen werden bei Aufmärschen der nationalen Sozialisten ebenso getragen wie die leere schwarze Fahne. Früher ein Erkennungszeichen der Anarchisten wird sie im rechtsextremen Spektrum als Symbol der unterdrückten, volksbewussten Deutschen gedeutet, als „Fahne der Not“ oder „leere Fahne“, die auf das fehlende (weil verbotene) Hakenkreuz verweist. Die Übernahme einst „poplinker“ Symbolik wie Kapuzenpullis, Halstücher und Baseballkappen geht oft mit absurden völkischen Umdeutungen einher. Auf diese Weise vermengen sich pseudorevolutionärer Gestus und neonazistische Ideologiesplitter mit der Lust auf Provokation und der Zugehörigkeit zu moderner Popkultur.

Die Autoren stellen auch NS-Symbole und ihre in der Szene gebräuchlichen Abwandlungen vor und werfen einen Blick auf die Gesetzesbestimmungen gegen Rechtsextremismus. Zuletzt skizzieren sie jene gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die das Vordringen rechtsextremer Ansichten von der Peripherie in die Mitte der Gesellschaft begünstigen. Kontaktadressen und Telefonnummern, die verwirrten Pädagogen ebenso wie besorgten Eltern Rat bieten, beschließen den nützlichen Band. Ob allerdings das Überformat des Bandes, das einen Werbeprospekt für einen Sportwagen suggeriert, die Verbreitung der Broschüre unterstützt, erscheint zweifelhaft. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2010)

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