Nichts für höhere Töchter

Die Gästeliste in ihrem Haus in Hollywood liest sich wie das Who's who der europäischen Emigranten. Doch Salka Viertels Erinnerungen erzählen auch eine exemplarische Lebensgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Das Theater ist nichts für verhätschelte junge Damen.“ So unrecht hatte der Regisseur nicht, dem Salomea Steuermann in Lemberg vorsprach, um ihrer Mutter zu beweisen, dass sie Talent zur Schauspielerin hat. Begabung sprach der Theatermann dem Fräulein aus gutem Haus auch nicht ab. Und so kam es, wie sie es sich gewünscht hatte: Irgendwann steht sie als Maria in Schillers „Maria Stuart“ auf der Bühne. Zwar nicht am Wiener Burgtheater, das für sie das „Mekka meiner Träume“ war, wie sie in ihren Erinnerungen schreibt, aber wenigstens in Teplitz-Schönau.

Dass sie es überhaupt auf eine Bühne geschafft hat, verdankt sie ihrer Hartnäckigkeit. Denn Dr. Joseph Steuermann, ein angesehener Rechtsanwalt und langjähriger Bürgermeister des Städtchens Sambor im äußersten Osten der Monarchie, hätte sich eine andere Karriere für seine Tochter gewünscht. Sein großbürgerlicher Lebensstil, der ihn das Abendessen zusammen mit seiner „Neuen Freien Presse“ auf einem Tablett aufs Zimmer servieren ließ, hätte eine standesgemäße Heirat entschieden bevorzugt. Als sie ihm ihren ersten Vertrag mit einem Theater zum Unterschreiben vorlegt, grummelt er nur: „In einem Bordell unterzeichnen sie wenigstens keine Verträge.“

Geheiratet hat Salka, wie sie sich dann nannte, schon, aber erstens einen Geschiedenen, zweitens einen Theatermann und drittens einen, der gegen ebenjenes Bürgertum opponierte, dem sich ihr Vater zuge-hörig fühlte: Hatte Berthold Viertel doch einst für das Organ des deklarierten Feindes der „Neuen Freien Presse“, für Karl Kraus' „Fackel“, geschrieben. Und so brach für Dr.Steuermann im Jahre 1918 die Welt, für die er stand, doppelt zusammen. Für das Brautpaar jedoch brachte die neue Zeit erst einmal berufliche Erfolge. Berthold wurde als Regisseur ans Königliche Theater in Dresden verpflichtet, und Salka erhielt ein Engagement an den Münchner Kammerspielen bei Otto Falckenberg.

Vielleicht aber war sie doch zu vornehm für das Theater. Denn berühmt wurde sie als Bühnendarstellerin, trotz einiger Achtungserfolge in den 1920er-Jahren in Deutschland, nie. Berühmt hingegen wurde später ihr Haus in der Mabery Road in Santa Monica. Es wurde zum Sammelpunkt etlicher emigrierter europäischer Künstler, die in Hollywood ihr Glück versuchten. Das Ehepaar Viertel war, inzwischen mit drei Söhnen, bereits 1928 in die USA gekommen, weil die Fox Film Berthold das Angebot gemacht hatte, Drehbücher zu schreiben und Regie zu führen. Die Einladung kam zum rechten Zeitpunkt, hatte sich doch der Plan, im Düsseldorfer Schauspielhaus die Nachfolge von Luise Dumont und Gustav Lindemann anzutreten, zerschlagen.

Ursprünglich war ein dreimonatiger Aufenthalt in den USA vorgesehen. Die Viertels kamen, wie fast alle Autoren und Schauspieler, nach Hollywood, „um Geld zu verdienen“, und alle wollten „so bald wie möglich wieder weg“, so Salka in ihren Erinnerungen, die nun in einer Prachtausgabe neu aufgelegt wurden. Sehr zur Freude aller, die über die Atmosphäre der Boheme, über die Verbindungen und Verstrickungen diverser Künstler, über die Vertreibung des Geistes aus Europa sowie über das Emigrantenleben Näheres erfahren wollen. Denn Salka Viertels mit einigen Briefzitaten ausgestattete Memoiren sind eine Fundgrube von Geschichten und an Berühmtheiten. Die Gästeliste im Haus in der Mabery Road fängt bei Alfred Adler an, führt über Sergej Eisenstein und Friedrich Wilhelm Murnau und hört bei Fred Zinnemann noch lange nicht auf. Kaum ein deutschsprachiger Emigrant, der nicht bei Salka vorbeigeschaut hätte.

Legendär wurde etwa die Feier für Heinrich Mann zum 70.Geburtstag, die statt im März erst im Mai 1941 stattfinden konnte, weil Bruder Thomas davor in Berkeley Vorlesungen hielt. Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Ludwig Marcuse, Walter Mehring, Alfred Polgar und zirka 40 weitere Gäste lauschten den Würdigungen der Männer, bis zuletzt Martha Feuchtwanger aufstand und einen Toast auf die Frau ausbrachte, „die Heinrich Mann das Leben gerettet hat“. Nelly Mann wurde rot, sprang auf und dabei platzte ihr rotes Samtkleid, sodass man „ihren vollen Busen in einem Spitzenbüstenhalter“ sah. Abwesend war im Übrigen Berthold, weil das Ehepaar seit 1932 nur noch freundschaftlich verbunden war und er sich die meiste Zeit in New York aufhielt.

Was Salka Viertels Erinnerungen wohltuend von den vielen Memoirenbänden bekannter Schauspielerinnen unterscheidet, ist die Unaufgeregtheit, mit der sie über die vielen aufregenden Begegnungen schreibt. Bei ihr stehen tatsächlich die Personen im Vordergrund, über die sie berichtet, nicht sie selbst. Wenn sie zum Beispiel über Greta Garbo schreibt, die sie in gewisser Weise „managte“, dann erfährt man wirklich etwas über den geheimnisvollen Star: „Sie war von stählerner Elastizität, aber überempfindlich und nervös und deshalb leicht verletzbar. Sie karikierte sehr komisch die Gleichförmigkeit ihrer Verführungstechnik.“ Möglicherweise lag Salka die Rolle der beratenden Darstellerin mehr als die der ausübenden. Auch wenn sie dementiert, „Lehrerin“ der Garbo gewesen zu sein, diskutierten die beiden doch ausgedehnt deren Rollen.

Als „Garbo-Spezialistin“ hat Salka auch einen Vertrag mit der MGM bekommen, doch je länger sie durch die Unterhaltungsmühle Hollywoods gedreht wurde, umso größer wurde ihr Widerwille: „Ich hielt die Arbeit beim Film und die damit verbundene unerträgliche Überbetonung dessen, was ich als vulgär und falsch betrachtete, nicht mehr aus.“ Just zu dem Zeitpunkt, zu dem sie amerikanische Staatsbürgerin wurde, holte sie ihre europäische Identität ein. Sie sehnte sich zurück nach Europa, das gerade im Faschismus versank. Im Sommer 1939 nutzt sie die Chance, für Recherchen zu einem Film über Marie Curie nach Paris zu reisen.

Ab da werden Salkas Erinnerungen dramatisch und politisch hochbrisant. Wie sie es nach Kriegsausbruch gerade noch schaffte, zurück in die USA zu kommen, wie mühsam und nervenaufreibend es war, mitten im Krieg ihre Mutter von Moskau nach Kalifornien zu holen, welche Probleme sie wegen „unamerikanischer Umtriebe“ hatte, einen Pass zu bekommen, all dies macht Salkas Leben zu einem symptomatischen dieser Ära.

Von dieser Dramatik findet sich in Michael Lentz Nachwort leider nichts. Zu Recht verweist der Autor auf die Differenz von „lebendem und erzähltem beziehungsweise erinnerndem und erinnertem Ich“. Solche Nüchternheit mag in wissenschaftlichem Kontext wohltuend sein. Das „unbelehrbare Herz“ hingegen hätte sich angesichts dieser exemplarischen Lebensgeschichte doch ein wenig mehr Empathie gewünscht. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2011)

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