Wie Hadley Ernest sah

Bei Paula McLain spricht Hemingways erste Gemahlin.

Hemingways 100.Geburtstag am 21.Juli 1999 wurde mit einer Neuauflage seiner wichtigsten Werke gewürdigt, kurz vor seinem 50. Todestag am 2. Juli erscheint Paula McLains Roman „Madame Hemingway“: Hadley Richardson. Nicht nur die (feministisch-)kritische Hemingway-Forschung hat längst erkannt, dass die erste seiner vier Ehefrauen wohl den wichtigsten Beitrag zum Werk des Literatur-Schwergewichtsweltmeisters geleistet hat – aber bis heute unterschätzt wird.

Während ihre Nachfolgerinnen Pauline Pfeiffer für „Vanity Fair“ und „Vogue“, Martha Gellhorn unter anderem über die Befreiung des KZ Dachau schrieben, MaryWelsh für den London „Daily Express“ tätig war, heiratete Hadley fünf Jahre nach der Scheidung den Auslandskorrespondenten Paul Mowrer, der 1929 immerhin den Pulitzer-Preis gewann – ihre nicht einmal fünfeinhalb Jahre dauernde Ehe mit Ernest scheint tatsächlich das Highlight des 87 Jahre langen Lebens von Frau Richardson gewesen zu sein.

Paula McLain, Jahrgang 1965, ist angetreten, um das Gegenteil zu beweisen. Sie studierte „Kreatives Schreiben“, lebte in der legendären Künstlerkolonie Yaddo, wo schon Truman Capote seinen ersten Roman schrieb, und lässt Hadley als Icherzählerin zu uns sprechen. Die Herausforderung bei diesem „Faction-Verfahren“ (und Stoff) sind die engen Grenzen der Fiction. Die vielen Neurosen und Psychodefekte des berühmtesten Großwildjägers der Literaturgeschichte sind sattsam bekannt und auch der Wikipedia-Eintrag zu Hadley Richardson um-fasst sechs Seiten, auf denen unter anderem steht, dass sie als Kind einmal aus dem Fenster des zweiten Stocks gefallen und ein Jahr lang im Spital gelegen ist.

Ein Mauerblümchen blüht auf

McLains Heldin erzählt mit Fabulierfreude von dem Vorfall. Wir erfahren, dass sie mit 28 Jahren als jüngstes von vier Kindern noch zu Hause in St. Louis sitzt, die kranke, dominante Mutter bis zum Tod pflegt, die einzige Abwechslung das Klavierspielen bietet, während ihre Freundinnen im Leben stehen. Doch dann fährt sie nach Chicago, um Freunde zu besuchen, und lernt auf einer Party den 21-jährigen Hemingway kennen.

Dass dieser Charismatiker an einem späten Mädchen wie ihr etwas findet, wagt sie sich nicht vorzustellen, doch es ist die große Liebe auf beiden Seiten. Heirat, Bekanntschaft mit Sherwood Anderson, Paris, der erste Sohn John Nicanor, F. Scott und Zelda Fitzgerald, John Dos Passos, Ernests Kampf um literarischen Erfolg, das alles ist Literaturgeschichte, die McLain Punkt für Punkt abarbeitet. Sie tut das mit Einfühlungsvermögen, Rückgriffen auf den real existierenden Briefwechsel und „Paris – Ein Fest fürs Leben“, jenen 1964 aus dem Nachlass veröffentlichten Erinnerungen, die als Hemingways beste posthume Publikation gelten.

Indem sie eine zu Unrecht in die zweite Reihe abgedrängte Gestalt der Hemingway-Biografie nachträglich jene Hauptrolle spielen lässt, die sie verdient, gelingt der Autorin ein unterhaltsamer Blick auf einen männlichen Mythos. Dasssie dabei auf ein Meisterwerk Ernests zurückgreift, lässt eine höhere Wahrheit spürbar werden, die Paula McLain wohl nicht gemeint hat. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2011)

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