Egon und Oskar – das ist der Gipfel!

Nix Nostalgie, Ostalgie! In Simon Urbans "Plan D" agieren reale und fiktive Personen in einer heute noch bestehenden DDR. Ein Toter an der Grenze belastet schwer die deutsch-deutschen Beziehungen – ein Satiregenuss in Krimiform.

Es sollen ja heute noch so manche Deutsche davon träumen, dass die am 13. August 1961 errichtete Mauer nach dem „historischen Irrtum von 1989“ einfach wieder da steht und der Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ost nicht mehr zu zahlen ist. Keine Jammerossis gehen den Besserwessis mehr auf die Nerven und an die Brieftasche! Der 1975 in Hagen geborene Simon Urban hat diese Utopieseufzer in seinem Debütroman „Plan D“ zu einer fulminanten Dystopie-Satire in Krimiform ausgebaut.

Der deutsche Rest ist heute noch immer ein eigenständiger Staat, auferstanden als Ruine. Zwar hat der Staatsratsvorsitzende Egon Krenz – er folgte dem am 1. April 1989 aus „gesundheitlichen Gründen“ zurückgetretenen Erich Honecker nach – die „Wiederbelebung“ der DDR nach Perestroika-Vorbild versucht und Ende 1989 die Grenzübergänge zur BRD geöffnet, wegen der einsetzenden Massenflucht nach Monaten die Türen aber wieder geschlossen. Im Berliner Vertrag von 1994 hat man zu einem verbesserten Modus vivendi gefunden, BRD-Bundeskanzler Schäuble hatte dabei die Beachtung der Menschenrechte durchgesetzt.

Nun aber steht ein wichtiger Termin an: Der neue Bundeskanzler – seit 1. April! 2011 – Oskar Lafontaine will nach Weimar reisen und mit Krenz einen für beide Seiten wichtigen Wirtschaftsvertrag abschließen. Die BRD braucht für ihre Industrie dringend das russische Erdgas, die DDR Devisen als Entgelt für den Transport. Nur peinlich, dass da nahe der Grenze ein alter Mann tot aufgefunden wird und viele Spuren auf einen Stasi-Mord hindeuten. Zu viele Spuren, denkt sich der mit der Aufklärung des Falls beauftragte Volkspolizist Hauptmann Martin Wegener von der Kripo Köpenick (!).

Noch dazu war der Tote ursprünglich der westdeutsche Universitätsprofessor Hoffmann, der in den Osten ging, um mit seiner Ideologie des „Posteritatismus“ – der Synthese aus These Marktwirtschaft und Antithese Sozialismus – den dilettantischen SED-Kadern den ordentlichen Marxismus zu erklären. Er hatte Krenz beim Putsch gegen Honecker die Hand geführt, war von diesem dann aber kaltgestellt worden. Zuletzt hatte er nur mehr Zugang zum Ostberliner Ministerpräsidenten Gregor Gysi und werkte als Gärtner.

Um den durch den Mord gefährdeten innerdeutschen Gipfel zu retten, werden Wegener auf Betreiben Lafontaines westdeutsche Ermittler beigegeben. Vieles an der Causa stimmt Wegener nachdenklich. So blöd kann doch der DDR-Geheimdienst nicht sein, dass er bei einem Mord so überdeutlich auf sich aufmerksam macht. Schon gar nicht bei einem Minister Otto Schily, der 1989/90 in die DDR übergewechselt war und Erich Mielke als Stasi-Chef abgelöst hatte. Viele fürchten Hoffmanns Erzählungen und Thesen. An seinem Tod hatten einige Interesse – wollte er doch ein „grünes“ Deutschland mit zukunftsträchtigen Energieparks im Osten. Das hätte russische Erdgasoligarchen und westdeutsche Energiekonzerne wenig gefreut. Auch eine im Untergrund operierende ostdeutsche Terrorgruppe hätte an einer Stabilisierung der DDR gar kein Interesse. Bombenanschläge der „Brigade Bürger“ auf den Palast der Republik und ein Kino, in dem ein Film mit dem strahlenden DDR-Star Sahra Wagenknecht Premiere feiern soll, machen alles noch komplizierter.

Urbans Roman setzt stark aufs satirische Spiel mit Namen realer Personen, Produkte, Zustände. Im östlichen Paralleldeutschland heißt das Potenzmittel nicht Viagra, sondern Aufrecht, die Arbeitslosenversicherung nicht Hartz IV, sondern Lötzsch 2 – nach Gesine L., eine der zwei Parteivorsitzenden der Linken –; Wolfgang Lippert moderiert die TV-Sendung „Wetten, dass ich...“, Angela Kasner hat für die DDR den Physiknobelpreis geholt und sich so das Gemerkele als deutsche Bundeskanzlerin erspart; Michael Ballack ist immer noch Kapitän des DDR-Nationalteams und hat bei der EM 2008 also nicht das unverdiente 1:0-Siegestor der BRD gegen Österreich erzielen können.

Der Romanheld Martin Wegener erinnert an den „Helden von Mogadischu“, Ulrich Wegener, der im Oktober 1977 als Kommandant der Antiterroreinheit GSG 9 die entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ befreit hatte. Dieses inflationär verwendete Strickmuster verliert mit der Zeit den Überraschungseffekt, sorgt aber immer wieder für zum Brüllen komische Stellen. Etwa wenn in einem DDR-Seniorenheim die greise Margot Honecker, noch immer wütend über Erichs Absetzung, andere dort Wohnende – etwa die Autorin Christa Wolf und die frühere TV-Journalistin und nunmehrige Linke-Abgeordnete Luc Jochimsen – permanent molestiert, indem sie laut unstatthaftes Liedgut schmettert – von Wolf Biermanns „Ermutigung“ bis zum „Deutschlandlied“.

Und weil „Plan D“ in die Rubrik Krimi und Thriller fallen will, gibt es auch ein High Noon, Autoverfolgungsjagden, Schießereien und erotisches Getändel, dass ein John le Carré seine Freude daran hätte. Das stört nicht wirklich und ist quasi eine Sättigungsbeilage zum satirischen Zerrspiegel, den Urban dem real existierenden Deutschland vors Gesicht hält. Das Modell ist ausbaufähig – bei einer Fortsetzung könnten weitere Volksgeißeln in diese fiktive DDR entsorgt werden: Dieter Bohlen etwa als Thomaskantor in Leipzig. Helmut Kohl, Michel Friedman und Karl-Theodor zu Guttenberg als moralischer Instanzenzug auf der Berliner S-Bahn. Und halb Kärnten nach Bautzen! ■


Der Autor liest im Rahmen der Wiener
Kriminacht am 20. September um 18 Uhr im Café Drechsler, Linke Wienzeile 22.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.