Einer, der nicht lachen kann

„Die sieben Leben des Felix Kannmacher“: Jan Koneffkes moderner Schelmenroman führt von Deutschland über Rumänien nach Wien. Zuletzt kommt es zum Totentanz des Schelms, der die Wirren des 20. Jahrhunderts überlebt hat.

Die Liste der pikaresken Romane, also der Schelmenromane, ist lang. Und viele der schelmischen Helden kennt jeder: Till Eulenspiegel, Don Quijote, Simplicius Simplicissimus, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Schwejk, Felix Krull, Oskar Matzerath. Der pikareske Roman erzählt, wie ein Oberschelm durch ein ganz und gar nicht erfreuliches Leben schreitet, weil die Zeitumstände, also die große Historie, ihm dauernd Prügel vor die Füße wirft. Doch der Erzschelm meistert sein Leben trotz aller widrigen Umstände. Zudem ist derpikareske Roman meist in der Form einer fingierten Autobiografie verfasst.

So gesehen ist Jan Koneffkes neue Prosaarbeit ein klassischer Schelmenroman. Das Problem dabei: Sein Schelm, der Felix Kannmacher heißt und zeitweise den fingierten Namen Johann Gottwald annehmen muss, lacht äußerst selten. Das irre Lachen Tills, das Gekicher Sawyers und Finns, das verschmitzte Lächeln Schwejks und der markige Schrei Oskars, der jegliches Lachen zum Erstarren bringt, ist einem gegenwärtig. Gegen Ende seines Lebens, das aller Widrigkeiten zum Trotz lange währt, sinniert Kannmacher Folgendes: „Ich kam mir mehr und mehr vor wie ein Bergsteiger, der einen einsamen Gipfel erklommen hat und benommen das Land in der Tiefe betrachtet – die sich vor meinen Augen erstreckende Lebenszeit –, das in Dunst und Nebel versinkt, als sei es eine Luftspiegelung seiner Einbildungskraft.“ Das ist äußerst unschelmisch gedacht und jedem, der diese Gedanken liest, wird kaum zum Lachen zumute sein. Vielmehr meint man, dass Koneffkes Antischelm heimlich Camus und Sartre gelesen haben muss. Er ist von der Frage nach dem Sinn der Existenz angenagt und kommt zu dem Schluss, dass ebendieses Leben einen wurmstichigen Apfel abgibt. Von paradiesischen Versuchungen, trotz aller Erotik im Roman (!), ist man also weit entfernt.

Der Roman „Die sieben Leben des Felix Kannmacher“ umfasst den Zeitraum von 1935 bis 2001. Den fiktiven Lebensbericht von Koneffkes Antischelm schlägt man auf, als dieser Ende 20 ist und sich bereits im rumänischen Exil befindet. Zuvor hat er in einem Berliner „Esslokal“ die Gäste beim Schmausen mit Klaviermusik begleitet. Hitler und seine Höllenhunde sind bereits an der Macht, und so kommt es, wie es kommen muss: Da das Restaurant einem Juden gehört, wird es verwüstet. Dabei tritt ein SA-Mann mit seinem genagelten Stiefel wuchtig auf Kannmachers Hand, einige Finger brechen, an völlige Heilung ist nicht zu denken und damit auch nicht an eine Karriere als Pianist. Kannmacher reicht's und mithilfe des bekannten rumänischen Klaviervirtuosen Victor Marcu gelingt die Flucht.

Ab nun verbringt der Romanheld seine Zeit am Meer oder in Bukarest und füllt seine neue Aufgabe geflissentlich aus: Kannmacher wird zur männlichen Gouvernante von Victor Marcus kleiner Tochter Virginia. Diese Virginia ist ein verwöhnter Fratz und zudem äußerst schelmisch veranlagt. Sie ärgert Kannmacher, wo sie nur kann, aber mit einer gehörigen Portion Ironie und auch mit zärtlich-kindlicher Zuneigung. Wovon das Mädchen nicht genug bekommen kann, sind Kannmachers erfundene Geschichten. Wie in „Tausendundeiner Nacht“ wird der Held im Roman Geschichten um Geschichten zum Besten geben, so, als ob man damit dem tragischen Weltgeschehen Paroli bieten könnte. Und es ist eine gottlose Zeit.

Gott ist entweder ein Werbemittel, so wird Victor Marcu marktschreierisch als „Gott am Klavier“ bezeichnet, oder es ist ein ganz ferner Gott, der sich um den Lauf der Welt nicht kümmert. Der Jude Slumowitz, der ein Casino betreibt und bei dem Kannmacher später Unterschlupf und Arbeit findet, nennt diese göttliche Transzendenz „Gott des Massels und Schlamassels“. Unter solchen Bedingungen muss man sein Leben selbst in die Hand nehmen, sei man Schelm oder Antischelm.

Das 1881 ausgerufene Königtum Rumänien versuchte, mit diplomatischem Geschick zwischen den Großmächten zu lavieren. Was im und nach dem Ersten Weltkrieg noch von Erfolg gekrönt war, wurde mit dem Aufstieg Hitlers und Stalins zum Problem. Man begegnet in Jan Koneffkes Roman dem unglücklich agierenden König Carol II., der terroristischen und faschistischen Formation „Eiserne Garde“, dem antisemitischen Diktator Ion Antonescu, und man erlebt, wie Rumänien während des Zweiten Weltkriegs zum Spielball deutscher und sowjetischer Interessen verkommt. Inmitten dieses historischen Desasters steht Felix Kannmacher.

Lange Zeit gelingt es ihm, sich in solch gefährlichen Zeiten zu behaupten. Er wird sogar Angestellter in einem Casino und fast nebenbei zum Liebhaber zahlloser Damen, die von ihren vergreisten Ehemännern außer Geld nichts mehr zu erwarten haben. Erst als die Sowjets in Rumänien das Sagen haben, wird es eng: Man vermeint in Kannmacher einen deutschen Spion zu erkennen,foltert ihn, verurteilt ihn zum Tode. Doch Kannmacher wird wundersam errettet, ihm gelingt die Flucht nach Wien, und ein Weilchen sogar kann er sich am eigenen Ruhm als Klaviervirtuose erfreuen. Doch selbst jetzt kann Kannmacher nicht lachen. Nicht einmal das existenzialistische irre Lachen eines Schelms, der die Wirren und Grausamkeiten der Geschichte überlebt hat, mag gelingen. Aber warum nur?

Am Ende des Romans begegnet Felix Kannmacher noch einmal der großen Liebe seines Lebens: Virginia, der Tochter des Pianisten. Sie selbst ist zur Filmdiva aufgestiegen, doch auch das ist schon Vergangenheit. Felix und Virginia sind alt, sehr alt geworden. Man sieht sie im Garten eng umschlungen tanzen. Man weiß, es ist ihr letzter Tanz, ihr Totentanz. Und irgendwie spürt man, dass auch Jan Koneffkes Roman eine Art Totentanz abgibt, in dessen Mitte ein Schelm wider Willen sich dreht und sich dreht.

Ohne Zweifel, der Autor kann erzählen. Man folgt gern seiner Geschichte, man liest aufmerksam, was er kunstvoll zu berichten hat. Doch Koneffkes Schelm bleibt ohne Konturen. Man könnte nicht sagen, wie er aussieht. Vielleicht mag er genau deswegen nicht lachen. Denn er weiß eines: Dem geschundenen Mittelmaß des menschlichen Seins kann man kein Gesicht geben. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)

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