Mayröcker schreibt ein Blütenmeer

„ich sitze nur GRAUSAM da“, der Titel ihres Prosabandes, führt auf die falsche Fährte.

Gladiolen. Oder Magnolien. Hagebutten auf dem Waschtisch. „die kl. Spitzen der weiszen Veilchen“. Eine mit Regenwasser bis an den Rand gefüllte Regentonne, mit Iris umwuchert. Und immer wieder, bedrohlich: die dunkeln Tupfen von Tannen. Wie schon früher durchsetzt Friederike Mayröcker ihren jüngsten Text mit Blumen, Vögeln, Schmetterlingen. Das komme, erklärte sie einmal, weil sie am Land, in Deinzendorf aufgewachsen ist. Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr besaß ihre Familie dort einen Vierkanthof mit großem Vorgarten samt Brunnen. Es war eine Idylle. Sie sei eine Naturliebhaberin, so Mayröcker.

Eine Liebhaberin der gezähmten oder der harmlosen Natur, möchte man ergänzen. Es sind meist freundliche Tiere, die uns in diesem, ihrem jüngsten Band wieder begegnen: Hündchen und Rehe, Finken und Kolibris und Zeisige, natürlich Schmetterlinge, hin und wieder eine Mücke oder ein Silberfischchen. Die Pflanzen, von denen Mayröcker schreibt, sind Pflanzen des Gartens und des Treibhauses. Lilien duften vom Flur her, Jasminblüten quellen aus einem erbrochenen Brief und in einem südlichen Gastgarten stehen ein paar struppige Olivenbäume. Das wildeste an Natur, dem wir bei Mayröcker begegnen, ist ein städtischer Park mit Eiben und Ahorn – oder ein Obstgarten. Die dunklen Tupfen von Tannen einmal ausgenommen. Aber die sind fern.

Dornröschens Dotterblumen

Wie gesagt: Die Hortensien und Hyazinthen kennen wir auch von früheren Arbeiten, ob Prosa oder Lyrik – aber noch nie hat in einem Text von Friederike Mayröcker die Natur dermaßen gewuchert. Die Pflanzen durchdringen den Text vollkommen, sie halten die Autorin in der Gegenwart, führen sie zurück in die Erinnerung, begleiten sie im Alltag, bei der Lektüre. Wir begegnen ihnen in ihren Träumen und Wünschen: „ich ersehnte mir einen DORNRÖSCHENSCHLAF, einen sehr tiefen Schlaf, da fällt man tief, tief, in einen Schacht oder in einen Brunnen und landet auf einem Wiesengrund, sage ich, mit gelben Dotterblumen, verstreuten Dotterblumen.“ Und kann es sein, dass im Laufe des Buches die Hinweise auf den Winter mehr werden, auf die noch gar nicht sichtbaren Knospen an den kahlen Ästen, auf die Schneekristalle? „1 Sträuszchen von Tau und Sternen“.

„ich sitze nur GRAUSAM da“ hat Friederike Mayröcker ihren Band genannt. Doch das führt in die Irre. Betont freudig ist dieses Buch geraten, als sage sich die Autorin, dass nun endlich Schluss sein müsse mit der Beschreibung des eigenen Verfalls, der eigenen Trauer (die sich dann doch nicht ganz zurückdrängen lässt). Rundum, sagt uns Friederike Mayröcker, steht alles in vollem Saft: Es treibt aus, es blüht und gedeiht, es ist eine Pracht, eine dunkle manchmal, aber eine Pracht ist es allemal. Und die Autorin mittendrin, zaghaft und zögernd, verwundert und verzaubert: „Ich faltete die Hände und hockte mich ins Geäst.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2012)

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