Darf man spielen

„Responsible Gaming“, geht das überhaupt? Soll der gute Mensch sein Geld im Glücksspiel setzen? Und gibt es unterschiedliche Gefährdungsstufen bei verschiedenen Spielen?

Keine Sorge, es geht hier nicht um die Frage, ob man bei Kaiserwetter zu Hause im dunklen Zimmer vor der Spielkonsole hängen darf oder ob es in Ordnung ist, schon tagelang im Voraus Strategien für eine große Brettspielrunde durchzudenken. Nein, anlässlich unseres heutigen Mottos „Der gute Mensch“ wollen wir uns der Frage „Ist es gut– und gesund –, sich dem Glücksspiel hinzugeben?“ annähern.

Grundsätzlich hat das Glücksspielen, eine der ältesten Kulturtechniken der Menschheit, ja durchaus auch seine positiven Facetten: Wer sein Geld einsetzt, erlebt Nervenkitzel, er legt eine gewisse Distanz zum Materiellen an den Tag, indem er sein Geld ganz dem Zufall anvertraut, und kann – etwa im Fall des regelmäßigen Lottospielers– immer darauf hoffen, eines Tages doch das große Los zu ziehen.

Hingegen war die Welt des Glücksspiels immer auch eine zwielichtige: Überschuldung, Verwahrlosung – zerstörte Familien inklusive – und Beschaffungskriminalität hat es immer im Fahrwasser des Glücksspiels gegeben, noch dazu hing auch dem Gewinnen stets der moralische Makel an, nicht durch „ehrliche Arbeit“, sondern durch bloßes Glück zustande gekommen zu sein.

Grund genug für praktisch jede staatliche Gesellschaftsordnung, regelnd einzugreifen. Auf der ganzen Welt gibt es heute Gesetze, die Spieler davor schützen sollen, wegen ihres Unglücks abzugleiten und im schlimmsten Fall auch noch ihre Familien in den Abgrund mitzureißen. Dass Staaten hier weltweit besonders enthusiastisch eingreifen – was bei anderen potenziellen Unglücksquellen, wie etwa beim Alkoholismus, nicht so sehr der Fall ist –, mag auch damit zusammenhängen, dass sich mit Steuern auf das Glücksspiel relativ einfach Geld verdienen lässt: Da die Veranstaltung von diversen Ausspielungen von der Wahrscheinlichkeitsstatistik und damit von einer möglichst hohen Zahl an Spielern lebt, lassen sich Veranstalter vergleichsweise einfach ausmachen – und vom Fiskus für die Abgabeneintreibung anzapfen. Diese Doppelrolle des Staates – einerseits als Schutzherr der Spieler und ihrer Familien, andererseits als Profiteur diverser Steuern (lange Zeit noch dazu kombiniert mit staatlichen Glücksspielmonopolen) – führt immer wieder zu Spannungen in der Glücksspielgesetzgebung.

Okay, Glücksspiel kann also gut sein oder auch schlecht – aber wie kann das der Einzelne beurteilen? Die Experten der American Psychiatric Association haben das heute weltweit verwendete Klassifikationssystem für psychische Krankheiten, die Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz DSM, entworfen, die zehn Kriterien für Spielsucht enthält: Der Spieler...
1. ...ist stark vom Glücksspiel eingenommen, das Spielen wird zentraler Lebensinhalt (zum Beispiel dauerndes gedankliches Nacherleben von Spielerfahrungen).
2. ...muss immer höhere Einsätzen spielen, um die gewünschte Erregung zu erreichen.
3. ...hat wiederholt erfolglose Versuche unternommen, das Spielen zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben.
4. ...ist unruhig und gereizt beim Versuch, das Spielen einzuschränken oder aufzugeben.
5. ...spielt, um Problemen zu entkommen.
6. ...kehrt, nachdem er beim Glücksspiel Geld verloren hat, zurück, um den Verlust auszugleichen.
7. ...belügt andere, um das Ausmaß seines Spiels zu vertuschen.
8. ...hat illegale Handlungen (zum Beispiel Fälschung, Diebstahl, Betrug oder Unterschlagung) begangen, um das Spielen zu finanzieren.
9. ...hat eine wichtige Beziehung oder seinen Arbeitsplatz wegen des Spielens gefährdet oder verloren.
10. ...verlässt sich darauf, dass andere ihm Geld geben, um die durch das Spiel verursachte finanzielle Situation zu überwinden.

Schon wer drei oder vier dieser Kriterien erfüllt, zählt als „problematischer Spieler“ – wer fünf oder mehr erfüllt, ist „pathologisch“, braucht also professionelle Hilfe.

Wie verbreitet so problematisches Spielverhalten in Österreich ist, geht etwa aus Spielerbefragungen in der Studie „Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich“ des Hamburger Politologen Jens Kalke aus dem Jahr 2011 hervor – die aber selbst zugibt, trotz komplexer Stichprobenauswahl und nachträglicher Gewichtung letztlich nur eine Schätzung bieten zu können: „Ein problematisches Spielverhalten zeigen in Österreich zwischen 0,27Prozent und 0,59Prozent der Bevölkerung. Hochgerechnet auf die in Österreich lebenden Personen im Alter von 14 bis 65 Jahren sind dies zwischen 15.700 und 34.500 Betroffene“, schreibt Kalke. Und weiter: „Das Intervall des Anteils der Spielsüchtigen variiert zwischen 0,46 Prozent und 0,86 Prozent. Absolut zeigen somit zwischen 26.900 und 50.200 ÖsterreicherInnen ein pathologisches Spielverhalten.“

Automaten am gefährlichsten

Große Unterschiede gibt es Kalke zufolge auch nach der Spielart: Während nur 0,7 Prozent jener Menschen, die sich ausschließlich an Lotterien beteiligen, problematisches oder pathologisches Spielverhalten aufweisen, sind es bei Sportwetten bereits 12,5 Prozent. Besonders gefährlich sind nach Kalkes Studie Spielautomaten, die außerhalb von Kasinos aufgestellt sind: 17,7Prozent der Spieler an solchen Geräten weisen ein problematisches, weitere 15,5 Prozent ein pathologisches Spielverhalten auf.

Selbst wenn man in Betracht zieht, dass die Studie von den Lotterien gefördert wurde, deren Mutterkonzern, Casinos Austria, im Wettbewerb um Casinolizenzen gestanden ist: Dass Spielautomaten jene Glücksspielart mit der höchsten Suchtgefahr sind, gilt in der Fachliteratur mittlerweile als weitgehend unbestritten – weswegen sich Unternehmen, die solche Vergnügungsautomaten aufstellen, inzwischen in „Responsible Gaming“-Spielerschutzmaßnahmen nur so überbieten, um dem Gesetzgeber zuvorzukommen.

Dass Schutzmechanismen wie etwa die Möglichkeit, vorab die Spielzeit an den Automaten zu limitieren, nur eingeschränkt wirksam sind, haben etwa die Experimente des australischen Psychologen Alexander Blaszcynski gezeigt, die er am Donnerstag bei einer „Responsible Gaming“-Tagung der Casinos Austria in Wien präsentiert hat. „Es deutet vieles darauf hin, dass die einzigen Faktoren, die Einfluss auf Problemspieler haben, einerseits der höchste mögliche Einsatz und andererseits der höchste Gewinn sind“, sagt Blaszcynski – hier könnten Gesetzgeber ansetzen. Um das Spielen auf der guten Seite zu halten, zum Beispiel. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2013)

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