Treffer: Im Herbst aber wird gelesen

Der junge Mann befand sich, nach Abschluss der großen Arbeit, in recht schwankender Gemütsverfassung. Er hatte getan, was er konnte, und das Manuskript war versandbereit.

Der junge Mann befand sich, nach Abschluss der großen Arbeit, in recht schwankender Gemütsverfassung. Er hatte getan, was er konnte, und das Manuskript war versandbereit. So trat denn das Werk – sein Erstling, wenn man von einem mäßig erfolgreichen Erzählungsbändchen absieht – die Reise in die Welt an, vorerst ins Ungewisse, in ein Verlagshaus in Berlin.

Nun hieß es warten. Es war Mitte August. Der Verleger weilte mit seiner Familie auf Sommerfrische in Gossensaß, jenem heute längst aus der Mode gekommenen Kurort am Brenner. „Ich würde mich sehr freuen, einige Tage mit Ihnen zu verleben“, schrieb er von dort dem Autor. Der fuhr nicht nach Gossensaß; wer weiß, warum nicht. Er befand sich allerdings, wie erwähnt, nach Abschluss der großen Arbeit in einigermaßen schwankender Gemütsverfassung.

So trafen die beiden Herren erst Ende August in München aufeinander. Einem Freunde berichtete der Schriftsteller: „Bei dem Souper gestern ist natürlich nichts Positives herausgebraten. Das Beisammensein verlief so nichtssagend wie nur immer möglich.“ Der Verleger, von seinenFreunden seit je nur „Sami“ genannt, war damals 40 Jahre alt, gut 15 Jahre älter als der Autor. Einer kleinbürgerlichen Kaufmannsfamilie entstammend, hatte er sich in Wien und Berlin im Buchhandel hochgearbeitet, dann einen Verlag gegründet und diesen binnen zehn Jahren zum führenden der modernen deutschen Literaturgemacht – ein Selfmademan, wenn es jeeinen gab.

Der junge Autor scheint indes so sehr über sich selbst bekümmert gewesen zu sein, dass ihm im Gespräch nicht aufging, wie sehr „Sami“ ihm in vielem ähnlich war. Es dauerte noch eine Weile, bis sie einander recht eigentlich erkannten,sodass der Dichter am Ende sagen konnte: „Ich habe immer gefühlt, dass ich der geborene Autor für ihn und er mein geborener Verleger war.“

Immer – aber noch nicht. Einstweilen stand der Roman – über den Verfall einer Familie – als eine unbekannte Größe nochzwischen ihnen. Sie konnten über dasOpus an jenem Abend in München wohl kaum sprechen, denn der Verleger hatte überhaupt noch keine Vorstellung vondem, was daheim auf seinem Schreibtisch auf ihn wartete. ■


Wer traf wen? Von welcher „großen Arbeit“ ist die Rede? Und von welchem mäßig erfolgreichen Bändchen?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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