Ziellos zum Erfolg

Im Fahrwasser von „Minecraft“ kommen immer mehr Spiele auf den Markt, bevor sie noch fertig sind. Das kann enorm spannend sein – aber auch mächtig nach hinten losgehen.

Was ist ein gutes Computerspiel eigentlich wert? 60 Euro? Das wäre der Standardpreis für die meisten Konsolentitel. Oder 45 Euro? Oder 25? Oder nur 15 Euro? – Andere Frage: Was ist ein schlechtes Computerspiel wert? Eines, dessen Idee zwar bestechend sein mag – dessen Umsetzung aber (noch) nicht. Soll man Geld ausgeben für ein solches Spiel – für ein unfertiges Spiel? Und wenn ja, wie viel?

Und warum stellt sich diese Frage überhaupt? Die Antwort ist – in einem Wort: „Minecraft“. Das oft als „digitales Lego“ umschriebene Spiel stammte (ursprünglich) aus der Tastatur eines einzigen Mannes. Markus „Notch“ Persson kündigte 2009 seinen Programmiererjob, weil er ein eigenes Spiel entwerfen wollte. Einfach so. Nur für sich.

Persson hat erste Alphaversionen von „Minecraft“, dessen Ästhetik nicht zufällig an PC-Spiele der 1990er-Jahre erinnert, einfach ins Internet gestellt. Zuerst fand es wenige Fans. Dann mehr. Dann Millionen. Vier Jahre später sind weltweit 30 Millionen diesem Ding verfallen, das so schwer zu beschreiben ist, weil keine Welt der anderen gleicht und die zahlreichen Modifikation aus der Community nicht nur schier, sondern tatsächlich unendliche Möglichkeiten eröffnen.

Und scheinbar fast nebenbei hat Persson die Videospielwelt auf den Kopf gestellt. Nicht zufällig ist „Minecraft“ das neueste der 20 Computerspiele, die bisher ihren Weg in die Sammlung des Museum of Modern Art in New York gefunden haben. Es war auch deswegen ein derart großer Erfolg, weil es praktisch alle Regeln der Branche bricht. Weil es nicht auf HD-Grafik setzt. Weil es kein Tutorial hat. Noch nicht einmal ein Ziel hat „Minecraft“. Es ist – um bei der Analogie zu bleiben – eine große Kiste voller Legosteine. Was daraus wird, ist ausschließlich dem Spieler überlassen. Die meisten Game-Blockbuster sind heutzutage aber ganz anders strukturiert. Eher so wie komplizierte Lego-Technik-Teile, die man genau nach Plan bauen muss. Ach – und da ist noch der Preis: „Minecraft“ kostet 20 Euro. Einmal. Die Mods sind gratis. Höchstens für einen Server muss man zahlen, wenn man mit Freunden spielen will. Man vergleiche das mit den Kosten für einen Konsolenhit wie „Call of Duty“: 60 Euro für das Spiel und noch einmal mehr als 50 für die Kartenpakete.

Was Wunder also, wenn das „Minecraft“-Modell Schule macht. Dass Computerspiele durch Plattformen wie Steam (und den angeschlossenen Store) eine Renaissance erleben und nicht mehr im Schatten der Konsolentitel stehen, tut sein Übriges. Und dank Steam gibt es auch einen Begriff für das Phänomen: „Early Access“ – „früher Zugang“.

Erfahrene Spieler mit dem Hang zum Zynismus werden jetzt sagen: „Ist nichts Neues, viele Spiele sind zu früh erschienen und waren erst nach vielen Patches spielbar. Die Spieler wurden als Tester missbraucht.“ Und das stimmt auch. Nur dass die „Early Access“-Methode ehrlicher ist.

Wer sich ein Spiel kauft, das noch in der Alphaphase steckt, wird die Entwicklung des Titels hautnah miterleben dürfen. Wenn man sich freiwillig als Tester meldet, darf man sich im Nachhinein über Bugs nicht beschweren. Wer also beispielsweise für 20Euro „Prison Architect“ im Steam-Store kauft, der weiß: Diese 20Euro sind weniger Kaufpreis – sondern vielmehr eine Investition in das Potenzial einer Idee.

Bei „Prison Architect“ ist es eine simple. Auf einem 2-D-Spielfeld im Geiste von „SimCity 2000“ und „Theme Hospital“ muss man ein Gefängnis entwerfen, bevor die ersten Häftlinge geliefert werden. Das Spiel liegt mittlerweile in der 14.Alphaversion vor. Und während es sicher zu den interessantesten Titeln bei Steam „Early Access“ zählt – ist es bei Weitem nicht allein. Auf Steam tummeln sich inzwischen mehr als ein Dutzend interessanter Spiele mit unterschiedlichem Potenzial.

Da wäre „Spacebase SF9“, das sich direkt mit „Prison Architect“ anlegt und auch ein praktisch identes Spielprinzip verfolgt. Man muss allerdings statt eines Gefängnisses eine Raumstation bauen. Oder wie wäre es mit „Planetary Annihilation“? Für dieses ambitionierte Strategiespiel muss man gleich 50Euro hinblättern. Dann gibt es da noch „Castle Stories“, das (Überraschung!) ein bisschen an „Minecraft“ erinnert. Der Spieler muss von seinen Arbeitern eine Burg errichten lassen, und zwar bevor es dunkel wird. Denn dann kommen die Angreifer, denen die Burg standhalten muss.

Eine Simulation muss funktionieren

Oder man greift zu „Godus“ – bei dem man als Gottheit eine ganze Zivilisation aufbauen und betreuen muss. Allesamt gute Ideen? Fraglos. Und diese „Early Access“-Spiele verstärken den Trend zu innovativen Indie-Spielen abseits der mit großem Marketingtamtam beworbenen Blockbuster von Electronic Arts und Co. Es gibt nur ein Problem: An den Erfolg von „Minecraft“ werden sie nicht anschließen können. Für manche Titel ist der „Early Access“-Weg sogar richtiggehend gefährlich.

Warum? Weil sie allesamt Ziele haben. Da liegt das Problem. In der „Open World“ von „Minecraft“ war es kein Hindernis, dass viele Features erst nach und nach eingebaut wurden. Sie wurden nicht vermisst! Der Spieler hatte ja keinen Auftrag zu erfüllen, kein konkretes Ziel vor Augen.

Bei Titeln wie „Prison Architect“ ist das aber anders. Das Ziel ist klar: Man muss ein möglichst großes, funktionierendes Gefängnis aufbauen. Aber was, wenn das nicht und nicht klappen will? Nicht, weil das Spiel zu schwer ist. Sondern, weil es noch nicht fertig ist. Klar, als Früher-Zugang-Käufer darf man sich kein fertiges Spiel erwarten. Aber wird man einem Spiel, das einen einmal frustriert hat, eine zweite Chance geben? Wohl kaum.

Eine Simulation kann nur gut ankommen, wenn sie funktioniert. Spielern, die Frust vermeiden wollen, bleibt nichts anders übrig, als die Alphaphase abzuwarten und erst zuzugreifen, wenn das Spiel offiziell veröffentlicht wird – wenn also die Entwickler zufrieden mit ihrem Produkt sind.

Wie sehr das „Early Access“-Prinzip nach hinten losgehen kann, zeigt sich bei „Godus“. Hinter dem Spiel steckt Peter Molyneux, ein Branchenpionier – und Entwickler des 1990er-Jahre-Hits „Dungeon Keeper“. „Godus wurde von der Community bereits verurteilt: zu langweilig, zu viel sinnloses Geklicke. Das Spiel ist noch nicht einmal veröffentlicht und gilt schon als gescheitert. Auch so kann es gehen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

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