Nicht nur Janus ist schuld an der Blutkrankheit MPN

Wiener Forscher fanden nun eine zweite Genmutation, die eine schlimme Krankheit auslöst.

In den Augen von Giulio Superti-Furga, Leiter des Zentrums für Molekulare Medizin (CEMM) der ÖAW, ist es „einer der wichtigsten Befunde in der Krebsforschung der vergangenen 20 Jahre in Österreich“: Eine Gruppe um Robert Kralovics (CEMM) und Heinz Gisslinger (Med-Uni Wien) fand nun eine Genmutation (CALR), die zusammen mit einer bereits bekannten Störung nun bei (fast) allen MPN-Patienten die Ursache der Krankheit erklärt. Dadurch wird eine viel genauere Diagnose möglich – was auch zielgerichtetere Therapien erlaubt.

Hinter dem Kürzel MPN verbirgt sich der komplizierte Name „Myeloproliferative Neoplasmien“, das ist ein Überbegriff über mehrere Formen einer Blutkrankheit, bei der zu viele rote Blutkörperchen und Blutplättchen produziert werden. Die Folge ist, dass das Blut dicker wird und zu Thrombosen (Blutgerinsel) neigt, zudem entwickelt ein Teil der Patienten schwer behandelbare Leukämien. In Europa sind rund 300.000 Menschen erkrankt, weltweit sind es an die vier Millionen.

Die Geschichte der Entdeckung der CALR-Mutation ist ebenso spannend wie der Fund selbst: Der tschechisch-stämmige Molekularbiologe Kralovics– damals noch in Basel tätig – war einer von mehreren Forschern, die 2005 bei MPN-Patienten eine Mutation im JAK2-Gen fanden: In diesem DNA-Abschnitt liegt der Bauplan für das Enzym Janus Kinase 2, das eine entscheidende Rolle bei der Zellvermehrung spielt.


Torwächter. JAK2 sorgt dafür, dass Signale durch Wachstumsfaktoren von der Membran in den Zellkern geleitet werden – daher auch der Name: Janus ist der römische Gott der Tore, des Eingangs und Ausgangs, der sowohl nach vorn als auch nach hinten blicken kann. Eine Mutation in diesem Gen führt dazu, dass das Protein hyperaktiv wird und sich die Zellen ungehemmt teilen. Diese Entdeckung ebnete den Weg für die Entwicklung eines treffsicheren Medikaments, das die bisher unspezifische Krebsbehandlung revolutionierte: Die Krankheit kann zwar nicht geheilt, aber stabilisiert werden.

Das galt allerdings nur für drei Viertel der MPN-Patienten, die restlichen haben ein intaktes JAK2-Gen. Es musste also noch einen zweiten Defekt geben. Und nach jahrelanger Suche wurden Kralovics und Gisslinger nun fündig: Es handelt sich um eine Mutation im CALR-Gen. Ein überraschender Fund, weil das Genprodukt Calreticulin eigentlich kein Teil der JAK2-Signalkette ist. Gefunden werden konnte die Mutation nur durch moderne Verfahren der Gensequenzierung. „Die Auflösung mit modernen Methoden ist viel höher; früher haben wir die Mutation übersehen“, erläutert Superti-Furga.

Das veränderte CALR-Protein hat interessanterweise seine Funktion und seine Lokalisierung verändert – warum und mit welchen Folgen ist derzeit Gegenstand weiterer Forschungen. Den Patienten nützt die neue Erkenntnis jedenfalls schon jetzt: Nun ist eine beinahe lückenlose Diagnose von MPN möglich. Und ein Medikament für die von der CALR-Mutation Betroffenen wird, so hofft Gisslinger, nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.