Treffer: Als das Rauchen noch geholfen hat

Sind der Polak und der Friedmann vielleicht krank, weil man sie seit Tagen nicht sieht?“ Das war – vor mehr als 100 Jahren – tagelang wohldie meistgestellte Frage der Stammgäste im Wiener Szenetreff Café Central. Keine Angst, die beiden hatten sich nur in eine Wohnung zurückgezogen, um eine Gemeinschaftsarbeit auszuknobeln. Da sollte wieder einmal der pedantischen Schulmeisterei der satirische Prozess gemacht werden: Ein Olympier aus dem Reich der Literatur stieg da aus dem Jenseits herab, um einem verzweifelten Schüler bei einer Prüfung zu helfen, bei der es um das reiche Leben des Titanen ging. Eloquent beantwortete dieser die Fragen des Pädagogen nach seiner Biografie, musste sich aber von dem Kreidedompteur volle Ahnungslosigkeit vorwerfen lassen.

Eine der üblichen „Spasseteleien“ der beiden halt, murrte ein Stammtischbruder des Cafés – Arzt und selbst umstrittener Autor – nach dem Besuch des Programms, das am 31. Dezember 1907 Premiere im Cabaret „Fledermaus“ hatte und eine Aufführungsserie von 300 Vorstellungen en suite erreichte. Den Literatur-Giganten spielte der dickere der beiden Autoren, sah er sich doch auch selbst als Polyhistor. Den alten, vertrockneten Lehrer mimte ein aufstrebender jungerMaler mit deutlichen Textschwierigkeiten. „Bei der 124. Aufführung versprach er sich noch so herzig und hatte die gleichen pikanten Gedächtnisstörungen wie bei der Premiere. Die Rolle des Schulrats besteht aus vier Sätzen“, notierte später der ältere Autor.

Wer nun mehr zum Erfolg des Stücks beigetragen habe, darüber herrschte später Uneinigkeit. Der Dicke: „Von mir ist gewöhnlich der schöpferische Einfall, die treibende Grundidee... Die mehr untergeordnete Arbeit der detaillierten Ausführung dieser fruchtbaren, zielweisenden Gedanken war dann seine Sache. Nur in einem ergänzen wir uns nicht: Ich bin faul, und er ist nicht fleißig. Das heißt: Er besitzt nur Fleiß in der Ausbosselung der Einzelheiten, aber zu etwas Systematischem langt es nicht.“ Der Ältere: „Wir arbeiteten also in seiner Stube. Das heißt: Ich arbeitete. Er lag auf der Ottomane, rauchte lange Pfeife und schlief.“

Hätte man gesondert die Herren John Lennon und Paul McCartney zur Genese der Beatles-Hits befragt, die Antwort wäre wohl ähnlich gewesen. ■


Wer traf wen? Der murrende Arzt?
Der aufstrebende junge Maler? Wie starb
der Dicke?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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